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Die NATO-Mission „Wesentliche Ernte“ in Mazedonien ist nach Bosnien und dem Kosovo der dritte Einsatz der westlichen Allianz im ehemaligen Jugoslawien. Ebenso wie die beiden ersten Missionen könnte auch die Mission in Mazedonien zu einer Art Lan Die NATO-Mission „Wesentliche Ernte“ in Mazedonien ist nach Bosnien und dem Kosovo der dritte Einsatz der westlichen Allianz im ehemaligen Jugoslawien. Ebenso wie die beiden ersten Missionen könnte auch die Mission in Mazedonien zu einer Art Langzeitmission werden, obwohl die Waffenabgabe der albanischen Freischärler der UCK zunächst auf etwa 30 Tage anberaumt ist und die gesamte Mission an sich nicht länger als 60 Tage dauern sollte, wenn man den Beginn des Einsatzes mit dem Eintreffen der ersten Soldaten in Skopje fest-legt. Doch der Einsatz könnte aus zwei Gründen länger dauern als zunächst geplant: erstens haben die Freischärler bereits mitgeteilt, daß ihre „freiwillige“ Entwaffnung binnen 30 agen nicht zu schaffen ist; hinter dieser Aussage steht zweifellos auch der Wunsch der UCK, daß die NATO länger in Mazedonien bleibt, während die Mazedonier die Dauer der Mission so kurz wie möglich halten wollen. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen führen bereits zum zweiten Argument, warum der Einsatz länger dauern sollte; der Grund dafür liegt in den massiven Spannungen zwischen Albanern und Mazedoniern, die nach einem raschen Abzug der 3.500 NATO-Soldaten bald wieder zu Gefechten führen könnten. Denn an eine vollstän-dige Abgabe der Waffen durch die UCK glaubt wohl selbst in Brüssel niemand; außerdem gibt es am Balkan und in Albanien genügend Waffen, um eine Wiederbewaffnung der UCK rasch durchführen zu können. Hinzu kommt jedoch noch, daß auch die Mazedonier in den im Kampfgebiet liegenden Dörfern inzwischen bewaffnet sind und mit den „Löwen“ eine maze-donische paramilitärische Formation besteht, die das Friedensabkommen ebenso ablehnen wie die „Albanische Nationalarmee“ (ANA), die eine Splittergruppe der ANA sein könnte. Die ANA hat in Mazedonien bei einem Hinterhalt zehn mazedonische Soldaten getötet und in Südserbien im August zwei Polizisten erschossen.
Doch nicht nur die bewaffneten Falken auf beiden Seiten lassen die NATO-Mission „Wesent-liche Ernte“ zu einem Einsatz in einem „Minenfeld“ werden. Denn in den vergangenen sechs Mnaten haben es NATO und EU im Verein mit der nationalistisch orientierten mazedoni-schen Presse geschafft, zum Buhmann der Mazedonier zu werden. Wesentlich dazu beige-tragen haben NATO-Generalsekretär George Robertson und Javier Solana, der Beauftragte für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Robertson und Solana bezeich-neten noch vor wenigen Wochen in Skopje die UCK als Terroristen und blutige Mörder, mit denen es nichts zu verhandeln gebe. Bei den Friedensgesprächen in Ohrid saß die UCK aber indirekt mit am Verhandlungstisch und außerdem war die NATO regelmäßig in Kontakt mit dem politischen Führer dieser Organisation, mit Ali Achmeti, mit dem sich auch die Waffen-abgabe vereinbarte. Hinzu kommt, daß viele westliche Politiker die territoriale Integrität Mazedoniens wortgewaltig unterstützen, der Westen schließlich jedoch weitere Waffenlie-ferungen der Ukraine und Bulgariens an Mazedonien verhinderte. Nicht vergessen werden darf auch, daß der Westen noch vor weniger als einem Jahr in einer falschen Lagebeurteilung immer wieder Mazedonien als Beispiel für das friedliche Zusammenleben zwischen Mazedo-niern und Albanern lobte, nun aber aus der Sicht der Slawen massive Zugeständnisse an die Albaner verlangte. Die slawische Bevölkerung fühlt sich somit vom Westen und insbeson-dere von den USA verraten, die pauschal als Freunde der Albaner angesehen werden, wobei sämtliche Verschwörungstheorien am Balkan ihre Wiederauferstehung erfuhren. Ergänzt wird diese Einstellung noch durch eine weitgehend unrealistische Beurteilung der eigenen Stärke, die dazu führt, daß viele Mazedonier glauben, eine militärische Lösung des Konflikt wäre möglich. Doch die mazedonischen Kräfte sind zu schwach, und das Gelände ein großer Vor-teil der UCK. Ein Niederringen der Freischärler wäre daher wenn überhaupt nur mit einem Blubad und massiven Vertreibungen der Zivilbevölkerung zu erreichen, die mehrheitlich die Freischärler zweifellos unterstützt. Angesichts all dieser Rahmenbedingungen wird die NATO somit ihren Einsatz in „feindlichem“ Umfeld durchführen müssen, wobei Straßen-blockaden durch Mazedonier bereits einen Vorgeschmack auf die herrschenden Gegeben-heiten geliefert haben.
Noch mehr enttäuscht als vom Westen sind die Mazedonier nur von ihrer eigenen Führung, die es angesichts des Volkszorns kaum wagte, an Begräbnissen gefallener Soldaten und Poli-zisten teilzunehmen. Zu spüren bekommen diese Wut vor allem westliche Journalisten, die der mazedonischen Zivilbevölkerung als Blitzableiter dienen, denn ihre Spitzenpolitiker machen kaum „Frontbesuche“ und Solana und Robertson sind nicht greifbar im wahrsten Sinne des Wortes. So wurde ein deutsches Kamerateam von aufgebrachten Dorfbewohnern nach einem Anschlag albanischer Freischärler mit Waffen bedroht; die Stimmung war so geladen, daß es auch mazedonische Teams nicht wagten, in diesem Dorf zu drehen. Während die Wut der Bevölkerung verständlich ist, ist die Unfähigkeit oder Unwilligkeit der mazedo-nischen Führung unbegreiflich, ihre als gerecht empfundene Sache auch „medial zu verkau-fen“. Statt Journalisten an die Schauplätze der Anschläge albanischer Freischärler zu führen, sind Drehmöglichkeiten sehr restriktiv, ist das Filmen mazedonischer sind mazedonische Politiker nur nach einem Dauerlauf und zusätzlichen Interventionen zu Interviews zu bewe-gen. Die Freischärler der UCK sind im Propagandakrieg weit besser. Ist ein Mal ein Kontakt hergestellt, versucht die UCK stets Verbindung zu halten, wobei direkt aus den Stellungen die UCK ausländische Journalisten via Mobiltelefon über ihre Sicht der Dinge informiert oder zu Drehterminen einlädt. So entsteht vor allem aus diesem Ungleichgewicht im Umgang mit den Medien das Bild einer einseitigen Berichterstattung, das ein auf Ausgewogenheit bedachter Journalist unter großem zeitlichen Aufwand korrigieren muß. Denn die unparteiische Dar-stellung beider Seiten bleibt oberstes journalistisches Gebot, doch ohne Zugang zur mazedo-nischen Seite ist deren Haltung auch weit schwerer darstellbar.
Leicht darstellbar ist der Inhalt des Friedensabkommens zwischen mazedonischen und albani-schen Parteien, jedoch ist nur schwer vorstellbar, daß selbst nach dessen Umsetzung das Zu-sammenleben beider Völker besser funktionieren könnte. Denn wie bei jedem Kompromiß erhalten die Albaner weniger als gefordert; doch viele Mazedonier habenden Eindruck, daß die Zugeständnisse beim Gebrauch der albanischen Sprache, bei Polizei und Verfassung der erste Schritt zu einer Teilung des Landes sind. Dieser Eindruck kann durchaus richtig sein, falsch sind nur die Grundannahmen. Denn die Abwanderung der beiden Völker aus dem je-weils anderen Landesteil dauert bereits seit Jahren und hat nicht erst mit den Gefechten ein-gesetzt. Ein gutes Beispiel dafür bildet die Hauptstadt Skopje; Mazedonier gehen nur in „ihre“ Geschäfte und Restaurants, Albaner machen es genau so. Das Schulsystem ist weitgehend getrennt, eine gemeinsame Identität existiert ebenso wenig wie ein gemeinsames Staatsbe-wußtsein. Die Ereignisse der vergangenen sechs Monate haben diese Trennung massive verstärkt und auch das Friedensabkommen wird an diesem Zustand nichts ändern können. Die Stationierung der NATO in Mazedonien wird daher nach all dem gesagten länger dauern müssen, um einen möglichen Bürgerkrieg zu verhindern. Gleichzeitig könnte diese Mission jedoch auch dazu führen, daß eine Art Demarkationslinie zwischen den beiden Völkern entsteht, wobei vor allem die Frage völlig ungelöst ist, wie das Nebeneinander von Maze-doniern und Albanern in Skopje funktionieren wird, denn ein zweites Nikosia sollte keine Option sein. Mazedonien stand und steht nach sechs Monaten Gefechten am Rande des Abgrundes. Das Friedensabkommen und die NATO-Präsenz können ein kleiner Schritt zurück von diesem Abgrund sein; eine dauerhafte Stabilisierung des Landes wird lange dauern, wobei vor allem die für Herbst geplante Volkszählung unter internationaler Über-wachung sowie die Wahlen im Jänner Schritte zu mehr Stabilität sein können, wenn die Ergebnisse auch von beiden Seiten akzeptiert werden. Der Westen hat in Mazedonien jedenfalls wieder ein Mal seine alten Schwächen im ehemaligen Jugoslawien bewiesen: präventive Diplomatie existiert nicht und außerdem hat der Westen auch in Mazedonien gezeigt, daß er nicht agiert, sondern stets nur ein Getriebener der Ereignisse am Balkan ist. Doch Stabilität in dieser Region wird ohne eine grundsätzliche Lösung der albanischen Frage nicht zu erreichen sein, womit wir am Beginn des 21. Wiederum am Beginn des 20. Jahrhunderts angelangt wären.
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