Lage in Afghanistan aus der Sicht Usbekistans
Die UNO warnt vor einer humanitären Katastrophe in Afghanistan. Unmittelbar vor Beginn der kalten Jahreszeit drohen demnach mehr als der Hälfte der 23 Millionen Afghanen Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Die Kombination aus Trockenheit, Krieg, Krise und Corona haben massive Folgen für den Lebensstandard der Bevölkerung. Vor einer humanitären Katastrophe warnt auch das Nachbarland Usbekistan, über das nicht nur humanitäre Kontakte, sondern auch politische Verbindungen zu den Taliban laufen. In Taschkent hat Christian Wehrschütz mit dem Sondergesandten des usbekischen Präsidenten Ismatilla Igraschew gesprochen; hier sein Bericht:
Der 61-jährige Ismatilla Igraschew beschäftigt sich seit seiner Studienzeit mit Afghanistan; er spricht die Landessprache und war im sowjetischen Afghanistan-Krieg zwei Jahre im Land im Einsatz. Usbekistan tritt dafür ein, dass die eingefrorenen afghanischen Devisenreserven freigegeben werden; das begründet Ismatilla Igraschew so:
29'55'1 - Hilfe und Einfluss - 30'22'1 (24)
"Man darf Afghanistan nicht isolieren, sondern muss mit der neuen Führung sprechen und dadurch auf sie einen positiven Einfluss ausüben. Man muss wirtschaftlich helfen, damit sich das Leben des Volkes verbessert; durch die schrittweise Verbesserung der wirtschaftlichen Lage wird sich auch die Lage der Menschenrechte und auch der Frauen verbessern."
Der usbekische Außenminister war bereits in Kabul, und Anfang Oktober fand in der usbekischen Grenzstadt Termez ein hochrangiges Treffen beider Seiten statt. Ein Ergebnis ist, dass Usbekistan weiter Strom liefert, obwohl Afghanistan seine Schulden von mehr als 10 Millionen US-Dollar derzeit nicht bezahlen kann. Zu den weiteren Ergebnissen des Treffens zählt Ismatilla Igraschew:
27'12'3 - Taliban und der Norden - 28'42 - 28'54 (42)
"Die Taliban haben an der Nordgrenze zu Usbekistan keine Verbrechen verübt und sich auch nicht an früheren Mitarbeiter staatlicher Organe gerächt. Durch unseren Dialog mit den neuen Machthabern haben wir erreicht, dass in der Nordprovinz Balch die Mädchen von der ersten bis zur 12. Klasse die Schule besuchen. In den anderen Provinzen besuchen die Mädchen nur bis zur sechsten Klasse die Schule. Bei unserem Treffen sagte uns die afghanische Delegation, dass diese Erfahrung aus Balch in weiteren vier Provinzen im Norden umgesetzt wird. Bis Jahresende soll das in ganz Afghanistan der Fall sein, was eine große Sache ist."
Usbekistan hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet und auch keine Flüchtlinge aus Afghanistan aufgenommen; das begründet der Sondergesandte des usbekischen Präsidenten so:
25'12'5 - Keine Flüchtlinge - 26'52'5 (35)
"Wir sprechen schon sehr lange mit allen politischen Kräften in Afghanistan, auch mit den Taliban. Wir wollen den politischen Dialog in Afghanistan unterstützen, um eine nationale Aussöhnung zu erreichen, weil das die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden ist. Daher haben wir keine Flüchtlinge aufgenommen, die Vertreter politischer Gegner der neuen Machthaber sein könnten. Das würde sich negativ auf unsere Neutralität auswirken. Hinzu kommt, dass Flüchtlinge für uns auch eine enorme soziale und wirtschaftliche Belastung wären."
Usbekistan war im Sommer nicht nur die Drehscheibe bei der Rettung afghanischer Flüchtlinge, sondern informierte auch schon lange davor den Westen über seine Einschätzung der Lage, die sich oft von dem Bild unterschieden hat, das etwa die USA von Afghanistan hatten.