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202507 KLZ Interview Landwirtschaftsminister Vitalij Koval Wehrsch

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Kleine Zeitung
Berichte Ukraine

VK: „Die Landwirtschaft der Ukraine ist in Zonen organisiert ist. Zum Beispiel ist die Zone der aktuellen Kampfhandlungen der sogenannte Milchgürtel, wo die Milchproduktion sehr stark entwickelt war, es gab Viehzucht. Wenn wir über Kulturen sprechen, so sind Cherson, Saporischschja Gebiete mit sehr starker Produktion von Gemüse. Daher sind die Verluste nicht gleichmäßig verteilt. Was die landwirtschaftlich genutzten Flächen betrifft, so schätzen wir, dass heute 21Prozent vorübergehend besetzt sind; beim Gemüse sind es mehr als 50 Prozent. Nach Schätzungen der Weltbank hat die Ukraine allein im Agrarsektor direkte und indirekte Verluste von 83 Milliarden Dollar erlitten. 30.000 Traktoren wurden entweder gestohlen, zerstört, gesprengt oder verbrannt, 2500 Erntemaschinen fielen der Aggression zum Opfer.“

KLZ: Die Ukraine galt historisch als die Kornkammer Europas. Wie wichtig ist die Landwirtschaft trotz aller Zerstörungen derzeit für Ihr Land?

VK: „Die Landwirtschaft ist das Fundament der Wirtschaft. Die Landwirtschaft und die landwirtschaftliche Verarbeitung machen 17,5 % des BIP des Landes aus. Der Durchschnittswert in europäischen Ländern liegt bei etwa 2 Prozent. Jeder fünfte Ukrainer arbeitet im Agrarsektor. 60 Prozent der Exporte entfallen auf den Agrarsektor. Aber wenn wir über absolute Zahlen sprechen, so sind das leider kleine Zahlen; unsere 60 Prozent Agrarexporte bedeuten 24,7 Milliarden Dollar. Im Vergleich dazu exportiert Polen für 56 Milliarden. Belgien, das um ein Vielfaches kleiner als die Ukraine ist, exportiert für 60 Milliarden Dollar. Daher muss die Ukraine in vielerlei Hinsicht ihre Nachbarn einholen, die europäischen Länder einholen und ihre Agrarpolitik sowie den Agrarsektor transformieren.“

KLZ: Apropos Polen – seine Bauern bildeten die Speerspitze der Proteste gegen Agrarimporte aus der Ukraine; doch auch in Österreich sind die Bauern deshalb sehr unzufrieden mit der EU-Agrarpolitik. Die Ukraine war im Vorjahr etwa ein wichtiger Exporteur von Zucker in die EU. Was entgegnen Sie dem Vorwurf der Dumpingpreise?

VK: „Die EU importierte im Vorjahr 960.000 Tonnen Zucker. Das heißt, ob es die Ukraine auf der Landkarte des Zuckerbusiness der EU gibt oder nicht, die EU wird eine bestimmte Menge importieren. Was ist Zucker in der Ukraine? Die Samen werden in der EU gekauft; Diesel für Traktoren und Mähdrescher ebenso. Die Saatmaschinen wurden in der EU gekauft; dasselbe gilt für mineralische Düngemittel und Pflanzenschutzmittel. 80Prozent der Kosten für die Zuckerrübe, die wir anbauen, sind europäische Komponenten.“

KLZ: Trotzdem gibt es Widerstände und Befürchtungen vor einem massiven Eindringen ukrainischer Agrarprodukte in den EU-Markt …

VK: „Die EU importiert für 195 Milliarden Euro pro Jahr Agrarprodukte. Davon stammen 13 Milliarden aus der Ukraine. Das sind also insgesamt 6,7 %. Wir sind nicht der erste und nicht der zweite Exporteur. Gleichzeitig exportiert die EU Agrarprodukte im Wert von 230 Milliarden Euro. Daher muss man das Ganze betrachten, wer wir für die EU sind. Und wir sind ein großer Absatzmarkt und ein stabiler Partner, der die Lebensmittelpreise stabilisiert.“

KLZ: 52 Prozent aller ukrainischen Agrarexporte gegen nun in die EU; vor dem Krieg waren es 29 Prozent. Wie sehr trifft es die Ukraine, dass die EU nun die freien Exporte wieder eingeschränkt und teilweise zum Quotenregime zurückgekehrt ist? Das wirkt sich zum Beispiel auch massiv auf ukrainische Zuckerexporte aus. Die Rede ist von finanziellen Einbußen von mehr als drei Milliarden Euro für die Ukraine.

VK: Heute hören wir sehr oft, dass die EU uns bittet, vorhersehbar zu sein. Und das bitten wir auch die EU, seien Sie vorhersehbar, denn das Schlimmste ist, wenn sich die Handelsbedingungen und die Bedingungen der Zusammenarbeit so schnell ändern. Heute haben wir sozusagen eine Übergangslösung, die es den ukrainischen Exporteuren ermöglicht, innerhalb der Quoten des Jahres 2021 zu arbeiten. Diese sind schon lange nicht mehr realistisch und spiegeln nicht das Handelsniveau wider, das zwischen uns und der EU möglich ist. Aber die Existenz dieses Mechanismus ermöglicht es uns, den Anpassungszeitraum sanfter zu durchlaufen. Und ich bin zuversichtlich, dass in naher Zukunft eine Handelsvereinbarung erreicht wird, die auf Langfristigkeit basieren wird.“

KLZ: Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte in Kiew Christian Wehrschütz

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