20250217 MiJ Interview mit der ukrainischen Justizministerin Wehrschütz
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Mitte Dezember 2023 fassten die 27 Mitglieder der EU den historischen Beschluss, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Im Februar 2024 erhielt dann die Führung in Kiew einen Plan zur Erfüllung aller Empfehlungen zu jedem einzelnen der 33 Kapitel, die in sechs Clustern zusammengefasst sind. Heuer im Frühling sollen nun die konkreten Verhandlungen zwischen Brüssel und Kiew eröffnet werden. Aus diesem Anlass hat unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz mit der für die EU zuständigen Ministerin Ohla Stefanischina in Kiew gesprochen; hier sein Bericht:
Auch im Fall der Ukraine stand zu Beginn der Beitrittsverhandlungen das sogenannte „Screening“, das ist die Durchleuchtung des Rechtsbestandes der Ukraine. Dieser Prozess dient dazu, um festzustellen, in welchen Bereichen sich ein Beitrittswerber von seinen Gesetzen her an den Rechtsbestand der EU anpassen muss. Dazu sagt in Kiew Olha Stefanischina, die Ministerin für die Integration in die EU:
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„Der Prozess des Screenings steht nun kurz vor dem Abschluss; dann werden wir verstehen, welches Ausmaß an Verpflichtungen wir haben. Wir bereiten uns auf April auf die Entscheidung vor, die Verhandlungen zum ersten Cluster zu eröffnen; dies sind die ersten neun grundlegenden Kapitel. Da die Verhandlungen von nationaler Bedeutung sind, sind alle staatlichen Organe, das Parlament, die Judikative, die Regierung sowie die Gemeinden und auch Experten beteiligt. Das ist eine große Gruppe. Nur für die erste Screening-Runde hatte die ukrainische Delegation mehr als 300 Vertreter, die für spezifische Themen verantwortlich waren.“
Das erste Cluster beinhaltet auch die besonders heiklen Kapitel 23 und 24, Justiz und Grundrechte, die auch für EU-Beitrittswerber am Balkan eine besondere Herausforderung darstellen. In diesem Zusammenhang ist es für die Ukraine vielleicht sogar von Vorteil, dass Olha Stefanischina auch Justizministerin ist.
Eine Voraussetzung für die Öffnung des ersten Clusters war, dass die Ukraine eine Strategie zur Entwicklung des Justizwesens vorlegte, erläutert die Ministerin und fährt fort:
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„Wir haben ein solches Dokument vorbereitet. Der Hauptakzent liegt derzeit auf der Effizienz, das heißt, wir haben alle Organe, die für die Auswahl von Richtern und die Bewertung der Integrität zuständig sind, völlig neu gestartet. Jetzt konzentrieren wir uns darauf, dass die Stellen mit integren Richtern besetzt werden, damit die Justiz integer arbeitet und das Antikorruptionsgericht voll funktionsfähig ist. Derzeit wird ein Verwaltungsgericht eingerichtet, das Beschwerden über Entscheidungen der Staatsorgane prüfen wird.“
Und wie sieht das Verhältnis zu den Westbalkan-Ländern aus, die ebenfalls der EU beitreten wollen, aber schon viel länger mit Brüssel verhandeln als die Ukraine, frage ich Olha Stefanischina
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„Nach Meinung der Ukraine haben wir einen sehr guten Dialog mit den Westbalkanländern, wir koordinieren uns ständig im Verhandlungsprozess mit Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und auch mit dem serbischen Verhandlungsteam. Am Ende des Tages, wenn der Konsens von 27 EU-Mitgliedstaaten erforderlich ist, kämpft jedes Land für sich selbst. Aber in der Zwischenzeit kooperieren wir natürlich ständig, um einander zu unterstützen.“