20241215 Krone Bunt Ukraine Friedenssehnsucht mit Hindernissen Wehrs
Dieser Wille geht nach seriösen Umfragen in Russland und der Ukraine zurück. So ergab eine Erhebung des russischen „Lewada-Zentrums“ vom September, dass 54 Prozent der befragten Russen den Beginn von Friedensgesprächen mit der Ukraine unterstützen (38 Prozent dagegen). Noch höher ist der Wunsch bei Frauen und jungen Russen (jeweils mehr als 60 Prozent), während die Männer geteilt sind. Das Fehlen einer „Kriegsbegeisterung“ zeigt die Frage, ob die „Spezielle Militäroperation“ mehr Nutzen oder mehr Schaden gebracht hat: 28 Prozent (2023: 38) sagten mehr Nutzen, 47 Prozent (2023: 41) mehr Schaden und 21 Prozent (2023: 41) wussten keine Antwort. Aufschlussreich ist auch die Einstellung zu einer Feuerpause. Gefragt, ob sie einen Beschluss von Präsident Vladimir Putin unterstützen würden, sollte er sofort und ohne Vorbedingungen die Kampfhandlungen einstellen, sagten 72 Prozent JA. Würde Putin jedoch eine sofortige Feuerpause unter der Bedingung anordnen, dass die eroberten Gebiete der Ukraine zurückgegeben werden, so sinkt die Zustimmung auf 31 Prozent!
Angesichts der vielen Gefallenen, Verwundeten und Invaliden ist diese Haltung kein Wunder; sie zeigt aber auch, die große Bedeutung dieser territorialen Frage, wobei offen ist, ob Vladimir Putin zu Zugeständnissen bereit wäre. Gerade die in der Verfassung festgeschriebene Annexion ukrainischer Gebiete wird eines der schwierigen Themen allfällige Gespräche sein. Denn es ist wohl ausgeschlossen, dass die Ukraine und der Westen einer Friedenslösung zustimmen, solange Russland Gebietsansprüche gegenüber seinem Nachbarn erhebt.
Die Frage nach möglichen Gebietsabtretung im Tausch für Frieden hat im Herbst auch das „Kiewer Internationale Institut für Soziologie“ (KMIS) gestellt. Grundsätzlich sind 58 Prozent der befragten Ukrainer klar dagegen und nur 32 Prozent dafür. Im Gegenzug für eine NATO-Mitgliedschaft oder gleichwertige Sicherheitsgarantien wären jedoch 50 Prozent bereit, die bestehende Frontlinie als Waffenstillstandslinie zu akzeptieren; mehr als 60 Prozent wären bereit, die Befreiung des Donbass und der Halbinsel Krim zu verschieben. Wie wichtig die NATO-Mitgliedschaft für die Befragten ist, zeigt, dass in diesem Fall auch die Hälfe bereit wäre, die Befreiung der Regionen von Saporischja und Cherson hintanzustellen. Doch gleichzeitig sind 40 Prozent kategorisch dagegen, diese zwei Gebiete auch nur unter russischer Besatzung zu lassen. Trotzdem sind in der Ukraine der Wille zum Frieden und Kriegsmüdigkeit drastisch gestiegen. Waren nach Gallup-Umfragen im Jahre 2022 noch mehr als 70 Prozent für einen Kampf bis zum Sieg, so sind nun 52 Prozent für Verhandlungen, und 38 Prozent für ein Weiterkämpfen.
Diese Daten zeigen, wie sehr die Zustimmung zu einer Friedenslösung in der Ukraine nicht nur vom Verhandlungsergebnis, sondern vor allem auch davon abhängen wird, in welchem Ausmaß insbesondere die führenden Mitglieder der NATO (USA, Deutschland etc). bereit sein werden, der Ukraine Garantien zu geben, die diesen Namen auch verdienen. Das gebrannte Kind scheut das Feuer – und die Erinnerungen an das „Budapester Memorandum“ vor genau 30 Jahren sind in Kiew noch sehr lebendig. Damals erhielt die Ukraine nur ein Papier dafür, dass sie all ihre Atomwaffen ablieferte, die sie zwar nicht hätte halten aber vielleicht als gewisses Faustpfand nutzen können. Auch damals waren die USA nicht bereit, Sicherheitsgarantien zu geben. Somit bleibt als Kernfrage, wie EU und USA die Ukraine in eine Sicherheitsarchitektur in Europa einbinden wollen, eine Kernfrage, die seit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 besteht.
Die Friedenssehnsucht der Völker ist eine Sache – aber der Weg zum Frieden ist Sache der Politiker. Daraus ergibt sich sofort die Frage, ob Vladimir Putin bereit zu Verhandlungen sein wird - und wenn ja unter welchen Bedingungen. „Motivierend“ könnten nicht nur der Verzicht der Ukraine auf einen NATO-Beitritt wirken, wobei ein derartiger Verzicht an sich nicht bedeutet, dass der ukrainische Sicherheitsapparat nicht völlig NATO-kompatibel werden kann. „Motivierender“ wirken möglicherweise der Mangel an Arbeitskräften in der russischen Wirtschaft, ihre Überhitzung, sowie die massive Stärkung der ukrainischen Eigenproduktion an Waffen aber auch der Faktor Donald Trump, der für Putin wohl viel unberechenbarer aber wohl auch entschlossener ist als Joe Biden. Trumps erklärtes Ziel ist es, die Achse Peking-Moskau zu schwächen, ein Bündnis, bei dem Russland in der Rolle des Juniorpartners ist. Dieser Umstand könnten für Putin ebenfalls „motivierend“ wirken, während offen bleiben muss, ob eine Friedenslösung für die Ukraine möglich ist, ohne dass sich auch das Verhältnis zwischen Washington und Peking verbessert.
Noch ungewisser ist die Rolle der Europäer! Die EU in der Frage Ukraine gespalten, und Kernländer wie Frankreich und Deutschland sind in einer tiefen innenpolitischen Krise. Hinzu kommt der anhaltende Migrationsdruck, eine Völkerwanderung, die durch die jüngsten Entwicklungen in Syrien noch stärker werden könnte.
Der Weg zum Frieden für die Ukraine ist ein Marathon, doch er muss gegangen werden! Politiker, die vom sicheren Westen aus in die „Kriegstrompete“ stoßen, bei Donald Trump nur die Nase rümpfen und all beschimpfen, die feststellen, dass die Atommacht Russland in Europa nicht verschwinden wird, sollten einen Blick auf die demographische Katastrophe in der Ukraine werfen. Das Land blutet personell aus und die Opfer an Menschen und Material sind enorm. Die Ukraine braucht einen Frieden, der ihre staatliche Existenz sichert, aber so rasch wie möglich – damit es nicht heißen muss: Operation gelungen, Patient tot.