20231211 ORF III Ukraine Wirtschaft und Ausblick Wehrschütz Mod
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus der Ukraine
Inserts: Grigorij Kukurusa, Herausgeber von Ukraine Economic outlook
Gesamtlänge: 5’27
Die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine seit der Unabhängigkeit gleicht vielfach einer Achterbahnfahrt. Auf massive Einbrüche wie in den Jahren 2008, 2015 und 2022, folgten leichte Erholungen; diese Linie dürfte sich auch heuer fortsetzen, wird doch für 2023 ein Wirtschaftswachstum um etwa fünf Prozent erwartet. Dieser Wert darf aber nicht isoliert betrachtet werden, betonen Wirtschaftsexperten:
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„Unsere Wirtschaft ist im Jahr 2022 um mehr als 29 Prozent gesunken. Alles, was jetzt passiert, ist eine sehr geringe Erholung auf das Vorkriegsniveau, selbst bei einem Wachstum von fünf Prozent erreichen wir lediglich 74% des Vorkriegsniveaus. In den ersten Monaten des Krieges herrschte oft Stillstand, doch dann sperrten Betriebe wieder auf, anderen gelang es, in ruhigere Gegenden umzuziehen. Trotzdem ist diese Erholung um etwa fünf Prozent nach einem Rückgang um fast ein Drittel eine sehr langsame Erholung.“
Kriegsdienst, Flucht, Millionen von Gastarbeitern bereits vor dem Krieg, haben massive demographische Spuren hinterlassen; das zeigt auch die Schätzung der Gesamtbevölkerung, die auf 31 Millionen gesunken ist; zum Vergleich: bei der Unabhängigkeit der Ukraine Ende 1991 betrug sie 52 Millionen. Dieser massive Rückgang wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus:
02-38
„Vor dem Krieg hatten wir etwa 13 Millionen Arbeitskräfte, die regulär arbeiteten. Jetzt haben wir offiziell etwa 9,5 Millionen Arbeitskräfte, die Steuern zahlen. Davon befindet sich etwa 2,5 Millionen,im Ausland. Wir berücksichtigen sie weiterhin in unserer Statistik, aber das ist nicht korrekt. Wenn man bedenkt, dass diese 2,5 Millionen gegangen sind, und mindestens eine Million in den Streitkräften ist, dann haben wir jetzt noch sechs bis sieben Millionen im privaten Sektor, der die gesamte Wirtschaft trägt. Das sind Männer und Frauen im erwerbsfähigen Alter, die etwas produzieren, somit das Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften.“
Entscheidend für einen erfolgreichen Wiederaufbau nach dem Krieg werden nach Ansicht des Wirtschaftsexperten zwei Faktoren sein; das sind massive ausländische Direktinvestitionen und damit verbunden ein Stimulus für die starke und rasche Rückkehr geflüchteter Ukrainer:
19-15
Die Bevölkerung schätzt ausländische Unternehmen, insbesondere europäische und amerikanische, weil sie weiß, dass diese Steuern zahlen, neue Arbeitsplätze schaffen und eine neue Unternehmenskultur einführen. Wenn wir über Investitionen sprechen, meinen wir nicht nur Geld. Wir sprechen darüber, dass sie Ihre Werte und Herangehensweisen zum Geschäftsbetrieb mitbringen. Sie sind schon lange in der Ukraine, und es hat sich verbessert im Vergleich zu dem, wie es vor 15 Jahren war. Wenn meine Kollegen mir erzählen, wie es damals war, war es wirklich schrecklich. Also gibt es allmählich eine Evolution. Kann man einen Menschen in einem Jahr komplett ändern? Nein. Allmählich bewegt er sich jedoch in die richtige Richtung.
Allmählich könnte aber nicht schnell genug sein; das betrifft sowohl die Frage nach einem zeitlich ungewissen Kriegsende und nach dem ebenso ungewissen Erfolg beim Kampf gegen die Korruption; denn ohne besseres Investitionsklima werden keine Massen an privaten Investoren kommen, und je länger der Krieg dauert, desto geringer dürfte auch die Zahl der Rückkehrer sein.
Doch der Krieg beschleunigt auch massiv die wirtschaftliche Transformation der Ukraine. Viele alte Giganten der Schwerindustrie aus sowjetischer Zeit sind nun zerstört oder auf russisch-besetztem Territorium. Doch immer stärker bildet sich nun eine Rüstungsindustrie heraus, von der kleinen FPV-Drohne und Modellen mit großer Reichweite bis hin zu Drohnen, die im Wasser der feindlichen Flotte das Leben schwer machen; wirtschaftliche Folgen werden nicht ausbleiben:
32‘43:
„Viele Waffen haben jetzt Tests in der Ukraine bestanden, und haben bereits eine höhere Bewertung auf dem internationalen Markt. Allein die türkische Bayraktar-Drohne kostet jetzt offenbar ein Vielfaches mehr, nachdem sie in der Ukraine erfolgreich war. Es gibt jetzt eine riesige Warteliste dafür. Es werden wahrscheinlich gemeinsame Rüstungsfabriken gebaut, höchstwahrscheinlich zunächst ukrainisch-amerikanische Fabriken. Das wird die Produktion von Waffen und Munition in sehr großen Mengen sein. Und das wird wahrscheinlich der Haupttreiber für die Industrie sein.“
Das mag ein unbefriedigender Befund sein, doch unerwartet kommt er wohl nicht, denn die Weltgeschichte ist voll von Kriegen, die die technische Entwicklung beflügelt haben.