La Boheme in Odessa
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Odessa
Insert1: Marina Najmitenko, Sängerin der Mimi
Insert2: Vladislav GoraiJ, Sänger des Rodolpho
Insert3: Dmitro Pawljuk, Sänger des Colline
Insert4: Alina Tkatschuk, Sängerin der Musette
Insert5: Igor Tschernetski, Dirigent des Orchesters der Oper von Odessa
Insert6: Vasilij und Anastasija, Opernbesucher
Insert7: Jelena und Jelana, Opernbesucher
Gesamtlänge: 7’05
Die Oper in Odessa zählt zu den architektonischen Prunkstücken dieser Hafenstadt. Besucher nutzen daher sehr rege die Gelegenheit, sich im Inneren des Baus zu fotografieren, der ganz stark an die Wiener Staatsoper erinnert. …
Vor Beginn der Aufführung weist nichts darauf hin, dass Krieg in der Ukraine herrscht und auch Odessa beschossen wird, doch dann erfolgt diese Durchsage:
"Bei Fliegeralarm sind alle Zuschauer verpflichtet, den Luftschutzkeller aufzusuchen, der sich im Theater befindet. Sollte der Alarm kürzer als eine Stunde dauern, wird die Vorstellung fortgesetzt; dauert er länger, wird die Vorstellung beendet, und die Besucher können ihre Karte kostenlos für eine andere Vorstellung eintauschen."
La Boheme zählt auch in der Ukraine zu den populärsten italienischen Opern. Das Werk des Komponisten Giacomo Puccini zählt auch in Odessa zu den beliebtesten italienischen Opern. Orchester, Chor und Solisten stammen alle aus der Ukraine. …
Im Ensemble vertreten sind fast alle Altersgruppen; so wird die Sängerin der Titelpartie, der Mimi, Marina Najmitenko, heuer erst 30 Jahre alt. Sie ist seit drei Jahren an der Oper in Odessa engagiert: ...
Was motiviert Marina Najmitenko in diesen Zeiten?
2'58'5 - Zeigen, dass es wert ist - 3'16'5
"Wir sind bestrebt, in diesem Theater an den Sieg zu denken, und dass die Welt sieht, dass hier Menschen sind, für die man kämpfen muss."
Najmitenkos Partner in La Boheme ist Vladislav Goraj; der 58-jährige singt die Rolle des Rodolfo …
Die Bedeutung der Oper in Kriegszeiten sieht Vladislav Goraj so:
1'56'9 - Einsteigen in diese Oper total - 3'08'1
"Wenn ich diese Oper singen, dann bin ich eine handelnde Person in diesem Stück; und dann lebe ich diese Rolle, und ich fühle keinen Einfluss des Alltags, weil diese Geschichte so genial ist, dass sie völlig ausreicht. Ich glaube, dass uns diese Opern ablenken von unserem Alltag, der uns belastet. Deswegen kommen die Leute in die Oper, um abgelenkt zu werden, und das ist jetzt unsere Mission."
Alle Künstler sind von patriotischem Geist durchdrungen und waren und sind auch als freiwillige Helfer im Einsatz. Ein Beispiel dafür ist der Sänger Dmitro Pawljuk; er verkörpert in der Oper die Rolle des Philosophen Colline, der am Schluss noch seinen Mantel opfert, um Medikamente für Mimi zu kaufen …
Die Symbolik der Mantelarie beschreibt Dmitro Pawljuk so:
Pawljuk 4'12 - Mantelarie und die ukrainische Realität - 5'10'2
"Als der Krieg begann, wenn Menschen sterben und fliehen müssen, dann singst Du alles, unabhängig vom Stück, unter diesem Gesichtspunkt, was jetzt in unserem Land geschieht. Das gilt auch für die Mantelarie; ich spreche nicht gerne darüber, aber natürlich helfe ich, soweit es meinen Möglichkeiten entspricht; dazu zählen die Streitkräfte, aber auch Binnenflüchtlinge. Somit drückt auch diese Arie den Wunsch aus, dass man mehr den Menschen helfen möchte, die es brauchen."
Alle Sänger und Sängerinnen stimmen darin überein, dass sie gerade in Kriegszeiten eine wichtige Rolle bei der Stärkung der Moral und Widerstandskraft der Bevölkerung spielen. Das unterstreicht auch Alina Tkatschuk, die in La Boheme die Rolle der Musette verkörpert; die 35 jährige schildert aber auch die seelischen Belastungen, denen sie als Mensch und Sängerin ausgesetzt ist:
Tkatschuk 4'18'1 - Alarm und psychische Belastung - 4'50'1
"Es ist etwas schwierig, wenn du die Sirenen hörst; du wirst erschöpft, weil du dich fürchtest, und danach ist es schwieriger zu arbeiten. Als ich die Gilda im Rigoletto sang, war das sehr schwierig, weil ich die ganze Nacht davor nicht geschlafen habe. Doch ich lasse mich von der Kraft meines Volkes inspirieren, und ich verstehe, dass ich Stand halten muss an meiner kulturellen Front und zu singen habe."
Das Orchester der Oper von Odessa leitet Igor Ternetski; er ist 54 Jahre alt, stammt aus der Westukraine, lebt und arbeitet aber bereits mehr als 30 Jahre in Odessa. Den Einfluss des Krieges auf seine Arbeit beschreibt der Dirigent so:
Igor Tschernetski 1'50'1 - Einfluss Krieg auf Repertoire - 2'31'3
"Wir haben dem russischen Repertoire völlig entsagt. Immer wieder werden Aufführungen aber auch Proben durch Fliegeralarm unterbrochen. Viele Solisten mit kleinen Kindern sind ins Ausland gegangen. Somit hat der Krieg großen Einfluss; dazu zählt die Angst der Menschen; andererseits wurde das Gemeinschaftsgefühl im Volk gestärkt, das stärker und überzeugter ist, dass der Feind den Sieg nicht erringen kann."
In diesem Sinne zählte zu den Besuchern der Aufführung auch ein Kontingent ukrainischer Soldaten in Uniform. Grundsätzlich war das Publikum gemischt; zum ersten Mal in der Oper waren Vasilij und Anastasija; bei waren von La Boheme tief beeindruckt:
20230624 Vasilij i Anastasija vox pops opera Boemi Odessa
21'9 - Motive - 33'5
"Wir wollten etwas Helles und Reines, etwas Hohes; angesichts der bestehenden Lage wollten wir etwas Helles und Echtes."
1'09'5 - Super - 1'13'4
"Ich bin begeistert. Mir fehlen die Worte."
Regelmäßige Opernbesucher sind die beiden Jelenas, Damen in den besten Jahren. Beide bedauern die Einschränkung des Repertoires:
20230624 Jelena i Jelena vox pops opera Boemi Odessa
1'21'5 - Italienisch und Russisch - 1'57'7
„Ein wenig sehnen wir uns nach den russischen Opern. Es ist sehr schade, dass Ballette gestrichen wurden wie Schwanensee mit der Musik von Tschaikowski. Das ist sehr traurig, doch wir hoffen, dass irgendwann die Zeit kommt, wo diese Musik wieder gespielt wird, denn das ist ein großer Verlust für das Theater und für uns."
Dieser Zeitpunkt ist ebenso wenig absehbar wie ein Kriegsende; bleibt zu hoffen, dass er ein glücklicheres Ende findet als die Oper La Boheme …
Mimi …. Finale