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Der Krieg in der Ukraine und die Wirtschaft

Fernsehen
ECO und ORFIII
Berichte Ukraine

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus der Ukraine
Kamera: Nenad Dilparic, Schnitt: Mica Vasiljevic

Insert1: Gerhard Bösch, Generaldirektor der Privatbank in der Ukraine

Insert2: Gerhard Bösch, Generaldirektor der Privatbank in der Ukraine

Insert3: Alex Lissitsa, Agrarproduzent in der Ukraine

Insert4: Alex Lissitsa, Agrarproduzent in der Ukraine

Insert5 Katerina Matherinova, Leiterin der EU-Ukraine-Task-Force

Insert6: Olena Romaschko, Direktorin der Firma „Backaldrin“ in der Ukraine

Insert7: Olena Romaschko, Direktorin der Firma „Backaldrin“ in der Ukraine

Insert8: Svitlana, Leiterin eines Supermarktes in Kiew

Insert9: Michajlo, IT-Ingenieur in Lemberg

Insert10: Svetoslav Kavecki, IT-Manager in Lemberg

Insert11 Katerina Matherinova, Leiterin der EU-Ukraine-Task-Force

Gesamtlänge:

Der Krieg in der Ukraine trifft Wirtschaft und Unternehmen auf vielfältige Weise. Dazu zählen Produktionsausfälle durch Beschuss, zerstörte Betriebe, einberufene Mitarbeiter aber auch getötete Mitarbeiter, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. So starben in diesem Wohnhaus in Dnipro Anfang Jänner mehr als 40 Personen. Dazu zählen mindestens zwei Mitarbeiter der verstaatlichten Privatbank sowie Angehörige von Mitarbeitern. Generaldirektor ist der Vorarlberger Gerhard Bösch; die Sozialleistungen der Bank sind auch auf den Krieg abgestimmt:

Gerhard Bösch Privatbank
3'50'7 - Kriegsleistungen für Mitarbeiter – 4'25'4
"Wir unterstützen so gut es geht ... in allen Teilen des Landes."

Trotz aller Digitalisierung durch das sogenannte E-Banking ist auch die Privatbank mit ihren 1.100 Filialen in den Nicht-Besetzten-Gebieten nach wie vor ein Logistik-Unternehmen und erbringt so massive Dienstleistungen:

Gerhard Bösch Privatbank
5'54 - Bank als Logistikunternehmen - 6'30'1
"Wir befüllen nahezu täglich bis zu 6000 Bankomaten .und wir haben nahezu 10.000 Selbstbedienungsautomaten; hunderte von Geldtransportern sind täglich unterwegs; das heißt, diese Logistik am Laufen zu halten, teilweise unter extremen Bedingungen, auch sehr, sehr nahe an der Front - da können Sie sich vorstellen, wie viel Star Links wir brauchen, wie viele Generatoren wir angeschafft haben seit Oktober, seit die Angriffe auf die Infrastruktur begonnen haben, um das ganze Werk am Laufen zu halten, und das gelingt bisher sehr, sehr gut."

Das Bankwesen blieb in der Ukraine im Vorjahr stabil, und die Wirtschaft hat den Krieg bisher – auch dank massiver westlicher Finanzhilfe – weit besser überstand als erwartet.
Eine wesentliche Rolle spielte das Getreideabkommen - zwischen Russland und der Ukraine unter Vermittlung der UNO, das Ausfuhren über den Hafen Odessa ermöglicht. Wichtig sind diese Exporte für Afrika, den arabischen Raum und für die Ukraine, die vor dem Krieg zu den größten Getreideproduzenten der Welt zählte.
Doch auch die Exporte über Schiene und Straße haben massiv an Bedeutung gewonnen; dabei waren die EU und die Ukraine bestrebt, Stehzeiten an den Grenzen zu verringern:

Katerina Matherinova, Leiterin der EU-Ukraine-Task-Force
18'01'3 - Solidaritätsfahrstreifen - 20'14'9
"Wir haben ein Programm, das Solidaritäts-Fahrstreifen heißt. Damit werden sehr detaillierte und manches Mal auch triviale Maßnahmen gemeint, die etwa eine bessere Zollabwicklung durch zusätzliche Scanner und Ausbildung der Zöllner oder zusätzliche Fahrstreifen umfasst. Dazu zählt, dass es auch einen Fahrstreifen gibt, der nur für leere LkWs da ist, die in die Ukraine zurückfahren. Da geht es um eine ganze Reihe von Maßnahmen, auch was etwa die Spurumstellung bei Zügen betrifft. Ausgebaggert wurde auch die Fahrrinne der Donau, um die Nutzung des Hafens von Constanza zu verbessern. All diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Exporteinnahmen der Ukraine auf diesem Weg drei Mal höher sind als über den Hafen Odessa, der durch das Getreideabkommen mit Russland genutzt wird.“

Mehr als 100.000 Hektar bewirtschaftet die Firma IMK, dessen Eigentümer in Berlin studiert hat. Seine Siloanlage im Norden der Ukraine ist wegen russischem Beschuss zu Kriegsbeginn noch immer schwer beschädigt; 50.000 Tonnen Getreide konnten nicht exportiert werden; insgesamt werden die Anbauflächen heuer deutlich kleiner ausfallen:

Alex Lissitsa, Agrarproduzent in der Ukraine
10'55'8 - Weizen minus 45 Prozent -11'34‘5
"Also die Ukraine, einer der größten ... anstelle von 27 Millionen Tonnen."

Während die Auswirkungen für den Weltmarkt noch nicht klar sind, ist klar, dass der Ukraine Deviseneinnahmen fehlen werden. Geld ist generell knapp, nicht zuletzt wegen spürbarer Preissteigerungen für Treibstoff und Dünger:

Alex Lissitsa, Agrarproduzent in der Ukraine
20'42'1 - Spardruck enorm - 21'08'8
"Wir verwenden jetzt 20 Prozent ... weil wir kein Geld haben."

Den Spar- und Kostendruck spürt auch dieser Hersteller von Backmischungen und Backwaren in der Nähe von Kiew. Die Firma ist die Tochter eines Herstellers aus Oberösterreich, der vor 40 Jahren den Kornspitz erfand. Zwar sind die unmittelbaren Spuren der russischen Besatzung beseitigt, doch die indirekten Folgen des Krieges wiegen schwer:

Olena Romaschko, Direktorin der Firma „Backaldrin“ in der Ukraine
20'49'4 - Rückgang der Produktion - 21'24'4
"Was die Produktion für die Ukraine betrifft, so ist die Erzeugung um 20 Prozent geringer; außerdem haben wir vor dem Krieg Teile unserer Produkte exportiert, und zwar nach Weißrussland, Polen und auch in die Slowakei. Weißrussland ist jetzt als Markt geschlossen, während Polen sehr schwierig ist, weil die Schlangen an der Grenze groß sind, und es Probleme mit dem Transport gibt. Daher exportieren wir nun nicht dorthin. Auch das beeinflusste unsere Produktion um ein Minus von 10 bis 15 Prozent."

Dank eines eigenen Generators läuft die Produktion weitgehend stabil, doch die Kosten sind dadurch höher. Teurer wurden auch Transport und Rohstoffe; versucht wird, mehrere Lieferanten zu beschäftigen und längerfristig einzukaufen:

Olena Romaschko, Direktorin der Firma „Backaldrin“ in der Ukraine
9'20'5 - Krieg und Angebote - 10'08'4
"Immer wenn es eine Krise gibt, oder als der Krieg im Jahre 2014 begann, geht die Produktion des Premiumsortiments zurück. Die Kunden greifen zu mittleren oder niedrigeren Angeboten, das sind einfachere Brotsorten, wie Weißbrot oder Mischbrot; teurere Sorten treten in den Hintergrund."

Der Lebensmittelsektor sowie die meisten Wirtschaftszweige leiden nicht nur unter unmittelbaren Zerstörungen; noch größer sind die Folgen von Flucht und Vertreibung von Millionen Ukrainern ins Ausland sowie aus den Kriegsgebieten in andere Landesteile, vor allem in den Westen. Gab es unmittelbar nach Kriegsbeginn Panikkäufe auch in Kiew aus Angst vor Versorgungsengpässen und wegen der Ungewissheit des Kriegsverlaufs, so hat sich nun die Lage nicht nur in der ukrainischen Hauptstadt weitgehend normalisiert. Die Regale sind gut gefüllt, doch die Preise für Lebensmittel sind nach Angaben des statistischen Zentralamts um mehr als 25 Prozent gestiegen. Bei Gemüse sind es sogar fast 70 Prozent, bei Fisch 30 und bei Brot 20 Prozent. So kostet jetzt ein Kilo Zwiebeln statt etwa umgerechnet 50 Cent mehr als einen Euro. Wegen der Kriegsschäden kürzten Unternehmen Löhne sogar um 20 Prozent, während die Inflation auf 30 Prozent geschätzt wird:

Insert1: Svitlana, Leiterin des Supermarktes
1'37'1 - Hauptaufgabe - 2'06'4
"Unsere Hauptaufgabe besteht darin, unseren Kunden die Hoffnung zu geben, dass es besser wird, dass sie hier die Waren kaufen können, die sie sich leisten können; dafür tun wir alles."

Diese enorme Einsatzbereitschaft ist ein Grund, warum die Wirtschaft der Ukraine bisher Standhalten konnte. Zu ihren Stützen zählt weiterhin der IT-Sektor, der bereits vor dem Krieg ein entscheidender Wachstumsmotor war. Dieser Betrieb mit Sitz in Lemberg beschäftigt 2000 Ingenieure; 40 Prozent der Kunden kommen aus den USA; unterstützt werden auch die ukrainischen Streitkräfte, doch Details müssen zwangsläufig geheim bleiben; das gezeigte Beispiel wurde für die Autoindustrie entwickelt:

20230211 Mihailo N-iX interview Lemberg
8'59'7 - Projekt für E-Autos - 10'20'3
"Dieses Projekt hilft dem Fahrer eines E-Autos, weite Strecken wie etwa von Lemberg nach Kiew sicher zurückzulegen. Dieses System berechnet und prognostiziert den erforderlichen Ladezustand einer Batterie, um das Ziel erreichen zu können. Dazu müssen sehr viele Faktoren berechnet werden, und daher ist dieses System auch mathematisch kompliziert. Zu den Faktoren zählen der Ladestatus der Batterie, das Wetter, der Zustand der Straße, der gewählte Weg, wobei das System auch die beste Strecke und die Höchstgeschwindigkeit empfiehlt. Außerdem werden alle Geschwindigkeitsbeschränkungen befolgt, die der Fahrer nicht überschreiten kann. Hinzu kommen Empfehlungen, wie etwa zum Zurückschalten der Klimaanlage, die viel Strom verbraucht."

IT-Spezialisten sind kaum an fixe Arbeitsplätze gebunden; trotzdem hat die große Mehrheit trotz des Krieges der Ukraine bisher die Treue gehalten. Nach Berechnungen des IT-Clusters gab es vor Kriegsbeginn 285.000 Ingenieure; 57.000 haben das Land verlassen und sind vor allem nach Mitteleuropa übersiedelt. Maßgebend für Bleiben oder Gehen ist weniger der Krieg, sondern vor allem die innenpolitische Entwicklung der Ukraine; das negativste Szenario sieht nach einer Studie des IT-Clusters so aus:

20230118_Svetoslav Kavecki_interview_N-iX_it_company_Kiew
11'45'9 - Negatives Szenario - 12'20'8
"Die Ukraine stoppt die EU-Integration und der Staat reguliert die Wirtschaft stark, etwa durch höhere Steuern. In diesem Fall würde mehr die Hälfte der IT-Spezialisten versuchen, auszuwandern. Etwa 20 Prozent sind unentschlossen, und nur 30 Prozent würden sicher in der Ukraine bleiben."

Vor Kriegsbeginn gab es kaum Dynamik bei der EU-Integration, eine EU-Mitgliedschaft stand überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Nun hat die Ukraine zwar den Status eines Beitrittskandidaten, doch grundlegende Probleme wie der Kampf gegen die Korruption sind geblieben – auch in Kriegszeiten; so musste Präsident Volodimir Selenskij mehr als zehn Spitzenpolitiker austauschen, die unter Korruptionsverdacht stehen:

Katerina Matherinova, Leiterin der EU-Ukraine-Task-Force

7'05'4 - Kampf gegen Korruption - 8'58'0
"Beim Skandal zur Beschaffung von Lebensmitteln durch das Verteidigungsministerium waren die Aufdecker die Medien; doch bei der Verhaftung und Entlassung des ersten stellvertretenden Ministers für regionale Entwicklung war es eine Untersuchung durch die Antikorruptionsbehörde NABU. Derartige Probleme bestehen nicht nur in der Ukraine. Die entscheidende Frage ist, ober Korruption mit Entschlossenheit bekämpft wird, und das passiert sehr oft in der Ukraine. Wichtig ist natürlich, dass es auch zu Strafverfolgung und Verurteilung kommt.“

Doch bisher wurden große Fische nicht abgeurteilt. Vor einigen Jahren sollte eine Korruptionsausstellung im Botanischen Park in Kiew die Bevölkerung für den Kampf gegen dieses ukrainische Krebsübel sensibilisieren. Die Ausstellung ist Geschichte, die Korruption geblieben; ihre Bekämpfung ist wichtiger denn je! Der Wiederaufbau wird hunderte Milliarden Euro kosten; auch daher sollten Ukraine und EU darauf bedacht sein, das Versickern europäischer Steuergelder so schwierig wie möglich zu gestalten.

 

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