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Königsfeld ein Dorf ohne Strom

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Kleine Zeitung
Berichte Ukraine


Die russischen Angriffe auf die Stromversorgung der Ukraine haben Land und Leute massiv getroffen. Die Führung in Kiew ist gezwungen bei der Versorgung drastisch zu sparen und klare kriegswichtige Prioritäten zu setzen. Das spürt zwangsläufig die Zivilbevölkerung in jenen Regionen umso stärker, die keine militärisch entscheidende Bedeutung haben. Dazu zählen Dörfer etwa in den Karpaten in der Westukraine; ein derartiges Dorf liegt 50 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt im Karpatenvorland; Strom ist dort pro Tag nur wenige Stunden vorhanden. Der ukrainische Name der 1.500 Einwohner zählenden Ortschaft lautet Ust Tschorna, doch auf der Ortstafel bei der Einfahrt steht auch in deutscher Sprache: „Willkommen in Königsfeld.“ So hieß der Ort, den deutsche Aussiedler aus Tirol, Oberösterreich und Niederösterreich im 18. Jahrhundert gründeten, die von Maria Theresia ins Karpatenvorland entsandt wurden, um die Wälder und die Region urbar zu machen. Reste dieser Sprachinsel haben sich hier noch erhalten, einige Pensionisten sprechen noch den Dialekt ihrer Ahnen.

Die Ortschaft lebte vor dem Krieg vor allem von der Holzwirtschaft sowie vom ländlichen Tourismus. Nun ist die Lage viel schwieriger, doch die Freundlichkeit der Bewohner ist geblieben. Soldaten Essen nicht, wenn sie hungrig sind, und schlafen nicht, wenn sie müde sind, sondern wenn sie Zeit dazu haben, weil niemand weiß, wann die nächste Gelegenheit wiederkehrt. An dieses Sprichwort erinnert mich die Bäckerei im Dorf Königsfeld; sie versorgt nicht nur das Dorf, sondern den Gemeindebund mit seinen 7.000 Einwohnern. Brot backen hier die beiden Mitarbeiterinnen Ala und Viki nicht in den frühen Morgenstunden, sondern wenn es eben Strom gibt. Das ist an diesem Tag am späteren Nachmittag der Fall; geknetet wird vor allem ein Wecken von 800 Gramm, der umgerechnet etwa 50 Eurocent kostet; Ala ist sehr flink bei der Arbeit und erzählt: "Ich nehme fünf Wecken mit; ich habe sieben Kinder zu Hause; das älteste ist 24 Jahre alt; es arbeitet in Tschechien, das jüngst Kind ist vier Jahre."

Kaum gesprochen ist das Licht weg; zielsicher, weil nicht zum ersten Mal, geht Ala in den Hof und wirft den kleinen Generator an; für Notfälle reicht er, aber nicht für einen längerer Betrieb; dazu ist Treibstoff einfach zu teuer.
Ein weiters Sprichwort, das auf Ust Tschorna (Königsfeld) zutrifft, auf das die 1500 Bewohner aber gerne verzichten würden, lautet: „Im Dunkeln ist gut Munkeln“. Entlang der Hauptstraße, die durch das Dorf führt, ist es zappenduster; die wenigen Passanten auf der Straße beleuchten ihren Weg mit Taschenlampen oder Handys. Spärliches Licht dringt aus dem Parterre eines Hauses aus einer Seitenstraße. Darin leben die Deutsch-Lehrerin Natalja, mit ihrem Mann und ihren vier Kindern. Im Wohnzimmertisch brennen einige Kerzen; plötzlich geht das Licht an, und Natalja zählt auf, was nun alles zu tun ist: "Ich muss die Waschmaschine einschalten, ich muss Duschen und die Haare föhnen, weil morgen wird es nicht möglich. Ich muss schnell bügeln, ich muss Wasser kochen, einmal für die Teekanne für morgen und einm,al fürs Frühstück, damit wir warmen Tee haben einfach zum Trinken."

Am nächsten Tag in der Schule ist der Strom wieder weg, und das spürt auch die zweite Klasse der Grundschule, in der Natalja die erste Deutsch-Stunde hält. Mit einer kleinen Taschenlampe beleuchtet sie die Tafel, auf der Natalja hin und wieder deutsche Vokabel schreibt. In der Klasse ist es in der ersten Stunde kühl und dunkel. Doch der fehlende Strom wirkt sich nicht nur auf den Unterricht aus, erläutert Natalja: "Ich habe die Kinder gefragt, wie sie die Hausaufgabe gemacht haben. Das eine hat gesagt, die Mutter hat mir mit der Kerze geleuchtet, damit ich die Hausübung mache; das andere nutze eine Taschenlampe oder das Handy. Man muss irgendetwas benutzen, um die Hausübung zu machen, und es gibt Kinder, die das einfach nicht schaffen."

Ust Tschorna (Königsfeld) und weitere drei Orte des Gemeindesbundes beherbergen 460 Flüchtlinge aus anderen Landesteilen der Ukraine. Sie erinnern die Bewohner daran, dass die Lage in den frontnahen Gebieten noch viel schlimmer ist als in ihrer Ortschaft, wo es nur an Strom fehlt aber keine unmittelbare Lebensgefahr besteht.

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