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Reportage aus Dorf ohne Strom

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Berichte Ukraine


Die russischen Angriffe auf die Stromversorgung der Ukraine haben Land und Leute massiv getroffen. Die Führung in Kiew ist gezwungen bei der Versorgung drastisch zu sparen und klare kriegswichtige Prioritäten zu setzen. Das spürt zwangsläufig die Zivilbevölkerung in jenen Regionen umso stärker, die keine militärisch entscheidende Bedeutung haben. Dazu zählen Dörfer etwa in den Karpaten in der Westukraine; ein derartiges Dorf liegt 50 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt im Karpatenvorland; Strom ist dort pro Tag nur wenige Stunden vorhanden; besucht hat es jüngst unser Korrespondent Christian Wehrschütz; hier sein Bericht:

Soldaten Essen nicht, wenn sie hungrig sind, und schlafen nicht, wenn sie müde sind, sondern wenn sie Zeit dazu haben, weil niemand weiß, wann die nächste Gelegenheit wiederkehrt. An dieses Sprichwort erinnert mich die Bäckerei im Dorf Ust Tschorna; sie versorgt nicht nur das Dorf, sondern den Gemeindebund mit seinen 7.000 Einwohnern. …
… Brot backen hier die beiden Mitarbeiterinnen Ala und Viki nicht in den frühen Morgenstunden, sondern wenn es eben Strom gibt. Das ist an diesem Tag am späteren Nachmittag der Fall; geknetet wird vor allem ein Wecken von 800 Gramm, der umgerechnet etwa 50 Eurocent kostet; Ala ist sehr flink bei der Arbeit und erzählt:

1'49'0 - Sieben Kinder - 2'04'0
"Ich nehme fünf Wecken mit; ich habe sieben Kinder zu Hause; das älteste ist 24 Jahre alt; es arbeitet in Tschechien, das jüngst Kind ist vier Jahre."

Kaum gesprochen ist das Licht weg; zielsicher, weil nicht zum ersten Mal, geht Ala in den Hof und wirft den kleinen Generator an; …
… für Notfälle reicht er, aber nicht für einen längerer Betrieb; dazu ist Treibstoff einfach zu teuer.
Ein weiters Sprichwort, das auf Ust Tschorna zutriff, auf das die 1500 Bewohner aber gerne verzichten würden, lautet: „Im Dunkeln ist gut Munkeln“. Entlang der Hauptstraße, die durch das Dorf führt, ist es zappenduster; die wenigen Passanten auf der Straße beleuchten ihren Weg mit Taschenlampen oder Handys. Spärliches Licht dringt aus dem Parterre eines Hauses aus einer Seitenstraße. Darin leben die Deutsch-Lehrerin Natalja, mit ihrem Mann und ihren vier Kindern. Im Wohnzimmertisch brennen einige Kerzen; plötzlich geht das Licht an, und Natalja zählt auf, was nun alles zu tun ist:

(58‘2 – 1‘05‘7) Was alles zu tun - 1'20'9 (30)
"Ich muss die Waschmaschine … einfach nicht möglich. ---- fürs Frühstück Tee haben einfach zum Trinken."

Am nächsten Tag in der Schule ist der Strom wieder weg, und das spürt auch die zweite Klasse der Grundschule, in der Natalja die erste Deutsch-Stunde hält:

Der fehlende Strom wirkt sich nicht nur auf den Unterricht aus:

20221130_Natalija Lehrerin _Ust_Tschorna_skola_izjava
1'14'7 - Wie Aufgaben gemacht - 1'35'1
"Ich habe die Kinder gefragt ... einfach nicht schaffen."

Ust Tschorna und weitere drei Orte des Gemeindesbundes beherbergen 460 Flüchtlinge aus anderen Landesteilen der Ukraine. Sie erinnern die Bewohner daran, dass die Lage in den frontnahen Gebieten noch viel schlimmer ist als in Ust Tschorna, wo es nur an Strom fehlt aber keine unmittelbare Lebensgefahr besteht.

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