× Logo Mobil

Ukraine zwischen Hysterie und Unglauben

Zeitung
Kleine Zeitung
Berichte Ukraine

In Kiew war schien gestern die Sonne doch die Temperaturen waren bei leichtem Schneefall in der Früh nach wie vor winterlich. Auf der Flaniermeile im Zentrum herrschte recht reger Betrieb; von den großen Einkaufszentren kann das nicht gesagt werden. Zu Mittag herrschte im Gulliver gähnende Leer, nicht einmal Schnäppchenjäger waren anzutreffen, sind doch die Preise in vielen Geschäften um bis zu 70 Prozent reduziert. Da beginnt nun das Problem der richtigen Einschätzung: einerseits herrscht natürlich Winterschlussverkauf, andererseits sind natürlich die Folgen der Corona-Pandemie noch nicht überwunden, doch - drittens – könnte auch die Unsicherheit über die nächste Zukunft Kiews und der Ukraine eine Rolle spielen. Zwar war und ist die politische Führung bis heute bestrebt, die Katastrophenmeldungen aus dem westlichen Ausland abzumildern, doch beinahe zwangsläufig steigt in der Bevölkerung der Verunsicherung, gerade auch durch die jüngsten Aussagen und Handlungen.

So hat die Führung der USA am Freitag de facto erklärt, ein russischer Angriff können unmittelbar bevorstehen, also noch vor dem Ende der olympischen Spiele in China erfolgen. Genannt wurde sogar ein mögliches Datum, und zwar der 15. Februar, das ist der kommende Dienstag. Geheimdienst, insbesondere der USA, haben sich schon katastrophale Fehleinschätzungen geleistet oder einfach gelogen; dazu zählt die Behauptung, Saddam Hussein verfügte über Massenvernichtungswaffen, um einen weiteren Krieg gegen den Irak vom Zaun brechen zu können. Nicht richtig bewertet oder erkannt wurden Hinweise, die den Angriff auf das Welthandelszentrum am 11. September 2001 in New York verhindern hätten können. Legion sind somit Falscheinschätzungen aber natürlich auch verdeckte Operationen oder „Aktive Maßnahmen“ des KGB um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Natürlich könnten die USA dieses Datum und ihre massive Warnung auch offen ausgesprochen haben, um dadurch Russland von einem Angriff abzubringen, über den Wladimir Putin nach westlichem Zugeständnis der Unwissenheit jedenfalls noch nicht entschieden haben soll.

Doch wo Rauch ist, ist auch Feuer – lautet ein Sprichwort. Dass die USA nach dem Afghanistan-Fiasko besonders vorsichtig sind und zur Ausreise aus der Ukraine auffordern sowie ihr Botschaftspersonal reduzieren, muss an sich noch nicht besonders viel heißen. Doch immer mehr andere Länder folgen diesem Beispiel; so hat nun auch Deutschland eine Reisewarnung erlassen, während Österreich von Reisen in die Ukraine abrät aber noch nicht so explizit geworden ist. Bemerkenswert ist, dass auch Großbritannien nun alle militärischen Ausbildner aus der Ukraine abzieht, die die Streitkräfte bisher an modernen panzerbrechenden Waffen ausgebildet haben. Diese Information stammt vom stellvertretenden ukrainischen Verteidigungsminister. Somit ist weiter ganz klar, dass kein Soldaten eines NATO-Landes für die ukrainische Sache geopfert werden soll, so viele auch in den Mitgliedsstaaten in Osteuropa stationiert worden sind. Nachdenklich stimmt allerdings, dass nun auch Russland sein diplomatisches Personal reduziert, was die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau in so schönem Orwellschen Neusprech als „Optimierung“ des Personals bezeichnet hat. Unzweifelhaft hält Russland durch neue Manöver im Schwarzen Meer die Drohkulisse aufrecht, und der Vorwurf an den Westen, eine „Hysterie“ zu schüren, wirkt nur mehr bedingt glaubwürdig.

Ob die gestrigen Telefonate zwischen den Außenministern bieder Länder, Antony Blinkin und Sergej Lawrow, sowie die Telefonate von Joe Biden und Emanuel Macron mit Vladimir Putin zur mehr Klarheit oder gar zur Entspannung der Lage beitragen, bleibt abzuwarten. Klar ist jedenfalls, dass alle Bemühungen der vergangenen Tage und Wochen mehr oder weniger gescheitert sind, den Friedensverhandlungen für die Ostukraine neuen Schwung zu verleihen. Russland könnte somit auch in der Ostukraine den Druck auf Kiew und den Westen erhöhen, etwa durch eine diplomatische Anerkennung der sogenannten „Volksrepubliken“ von Donezk und Lugansk. Nicht wirklich klar ist, warum Russland – sollte Wladimir Putin das wirklich wollen – noch während der Olympischen Spiele in China angreifen sollte, das doch zu den Verbündeten Moskaus zählt. Denn einen wirklichen Zeitdruck für Vladimir Putin gibt es nicht, und daher ist ein weiteres Zuwarten bis nach dem 20. Februar wohl problemlos möglich. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob es einen großen Krieg in Europa geben oder die größte Krise seit dem Ende des Kalten Krieges doch noch friedlich beigelegt werden kann.

Facebook Facebook