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Krieg in der Ostukraine: Säbelrasseln und russische Truppenkonzentrationen

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Kleine Zeitung
Berichte Ukraine

Der administrative Grenzübergang Novotrojzkoe auf ukrainischer Seite entlang der Autostraße von der Hafenstadt Mariupol in die prorussische Rebellen-Hochburg Donezk war einst der wichtigste der fünf Übergänge von den Separatistengebieten auf ukrainisch-kontrolliertes Territorium. Täglich querten den Übergang etwa 12.000 Personen, die Verwandte oder Grundstücke auf der jeweils anderen Seite haben, oder eben Pensionisten, die ihre ukrainischen Renten beheben wollten. Nunmehr queren den Übergang im Durchschnitt noch etwa 200 Personen pro Tag, wobei die prorussische Seite ihren Übergang nur am Montag und Freitag offenhält. Durchgelassen werden nur Personen, die vorher überprüft wurden und auf einer Liste stehen. Wer nach Donezk will braucht eine Einladung und muss 14 Tage in Quarantäne. Der ukrainische Übergang ist täglich geöffnet, wobei Personen, die ihn überqueren einen Corona-Schnelltest durchführen müssen. Faktum ist, dass die prorussische Seite vor allem in Donezk die Corona-Pandemie genutzt hat, um ihr Gebiet noch stärker von der Ukraine abzuschotten. Je länger der Krieg dauert und die Reintegration in die Ukraine auf sich warten lässt, desto stärker wird der russische Einfluss. Dahinter steckt Methode, auch was die Ausgabe russischer Pässe betrifft; mehr als 300.000 Personen haben bereits dieses Dokument, wobei es massive Gerüchte gibt, dass diese Personen auch bei der Wahl zur russischen Staatsduma im Herbst stimmberechtigt sein sollen.

Die Zeit arbeitet somit gegen die Ukraine, auch deshalb, weil die Friedensgespräche in Minsk, die Corona-bedingt nur online geführt werden, keine Fortschritte zu verzeichnen haben. Dasselbe gilt für die Verhandlungen im sogenannten Normandie-Format, die von Vertretern Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs geführt werden. Der Normandie-Gipfel in Paris im Dezember 2019 brachte zwar konkrete Vereinbarungen, die aber vor allem von Russland und seinen Vasallen in Donezk und Lugansk nicht umgesetzt wurden.

Die Ostukraine ist aus den Medien weitgehend verschwunden. Denn seit der Friedensvereinbarung von Minsk im Februar 2015 und noch mehr seit der neuerlichen Waffenstillstandsvereinbarung im Sommer des Vorjahres sind die Opferzahlen entlang der mehr als 400 Kilometer langen Fronlinie in der Ostukraine massiv gesunken. Der Krieg ist ein Stellungskrieg mit gelegentlichen Feuergefechten mit Artillerie und Schusswaffen. Hinzu kommt ein äußerst schmutziges Element des Krieges durch den Einsatz von Minenwerfern und Scharfschützen sowie durch Drohnen, die Sprengkörper auf feindliche Stellungen aber auch auf zivile Objekte abwerfen.

Doch die Ostukraine ist eben noch kein eingefrorener Konflikt, und das macht diesen potentiellen Brandherd in Europa so gefährlich. Aus diesem medialen Dämmerschlaf rissen dieses Gebiet sowie die von Russland seit 2014 annektierte Halbinsel Krim Angaben aus Kiew, wonach Russland seine Truppen an der ukrainischen Grenze und auf der Krim massiv verstärkt hat. Seitdem gibt es divesre Spekulationen über eine Eskalation in der Ostukraine, die auch zu massiven westlichen Reaktionen geführt haben. So warf die NATO Moskau „destabilisierende Maßnahmen“ vor. Dazu beigetragen haben Berichte, wonach diese Truppen mit starken Treibstoffvorräten und medizinischer Infrastruktur für das Gefechtsfeld ausgestattet sein sollen, die über das Ausmaß für reine Militärmanöver hinausgehen sollen. Die USA sicherten der Ukraine ihre volle Unterstützung im, Falle eines Angriffs zu, was immer das auch konkret bedeuten mag. Deutschland rief beide Seite auf, die Spannungen abzubauen.

Schwierig bleibt eine umfassende Bewertung des Säbelrasselns, weil über die Motive der Entscheidungsträger nur spekuliert werden kann. Klar ist, dass die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland sowie zwischen Moskau und Kiew wirklich sehr schlecht sind. Einerseits fehlt es Kiew an einer klaren und widerspruchsfreien Strategie bei der Umsetzung des in der Ukraine ohnehin höchst unpopulären Friedensplans von Minsk. Zweitens stößt das Streben Kiews nach einer NATO-Mitgliedschaft in Moskau natürlich auf massiven Widerstand. Andererseits war Russland mit seinen Vasallen in Donezk und Lugansk zu keinerlei Zugeständnissen bereit, was etwa die Bewegungsfreiheit der OSZE-Beobachter in der Ostukraine aber auch konkrete Punkte des Friedensplans betrifft. Kiew wiederum hat die prorussischen Kräfte in der Ukraine vor einigen Monaten massiv geschwächt, und zwar durch Sanktionen gegen führende prorussische Politiker sowie durch die Schließung von drei TV-Sendern, denen prorussische Propaganda vorgeworfen wurde. Das war zweifellos auch ein Schlag gegen Vladimir Putin, und die Truppenkonzentration könnte eine mögliche Antwort sein. Möglich ist auch, dass die russischen Truppenbewegungen davon ablenken sollen, was derzeit in Weißrussland geschieht. Denn Präsident Lukaschenko hat durch seine Wahlfälschung bei der Präsidentenwahl und die Niederschlagung der Protestbewegung im Westen jeden Rückhalt verloren und muss sich nun immer stärker an Russland anlehnen, militärisch und wirtschaftlich, und da schafft Moskau derzeit Fakten in Weißrussland. Auch der ukrainischen Führung könnten die Spannungen derzeit nicht ganz ungelegen kommen, weil sie doch vom Versagen im Kampf gegen das Corona-Virus ablenken. Moskau hätte zweifellos im Jahre 2014 weite Teile der Ostukraine militärisch weit „billiger“ annektieren können als heute; doch dass Moskau an einer stabilen und wirtschaftlich erfolgreichen Ukraine nicht gelegen sein kann, steht weitgehend außer Zweifel; doch um zu einem derartigen Land zu werden muss Kiew einfach viel mehr an Reformen umsetzen, die die politische Führung bisher leider auch unter Präsident Volodimir Selenskij weitgehend schuldig geblieben ist.      

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