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Konflikt um die Autokephalie

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Berichte Ukraine

Die Ukraine zählt zu den großen christlichen Nationen in Europa; 90 Prozent der mehr als 40 Millionen Einwohner sind Christen. Die große Mehrheit ist orthodox; dabei zeigen Untersuchungen, dass etwa 40 Prozent dieser Christen orthodox sind, ohne sich klar zu einer bestimmten orthodoxen Kirche zu bekennen. Ein Grund dafür ist, dass in dem seit 1990 unabhängigen Land der Prozess der Nationsbildung noch nicht abgeschlossen ist. Dominant ist nach wie vor die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats; von ihr hat sich bereits in den 90iger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Ukrainische Kirche abgespaltet, die den Anspruch auf Selbständigkeit, auf Autokephalie, erhebt. Diesen Status hat vor zwei Jahren der Ökumenische Patriarch in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, anerkannt. Dieser Schritt hat den Konflikt zwischen Konstantinopel und der russisch-orthodoxen Kirche verschärft, mit dem nun die gesamte orthodoxe Christenheit zu kämpfen hat. Über die kirchlichen, politischen und internationalen Dimensionen des Kirchenkonflikts in der Ukraine hat unser Korrespondent in Kiew, Christian Wehrschütz den folgenden Beitrag gestaltet:

Jahrhundertelang beherrschte Russland die Ukraine; das galt auch für die russisch-orthodoxe Kirche. Sie gewährte im Jahre 1990 - als der Zerfall der Sowjetunion bereits absehbar war – der sogenannten Orthodoxen Kirche der Ukraine eine breite Autonomie; doch die Verbindung mit dem Moskauer Patriarchat und damit mit Russland besteht nach wie vor. Sie wurde zum massiven Problem als Moskau vor fast sieben Jahren die Halbinsel Krim annektierte und seit damals auch die prorussischen Rebellen in der Ostukraine massiv unterstützt. Damit verschärfte sich der Kirchenkonflikt in der Ukraine, der seit der Abspaltung einer orthodoxen Kirche des sogenannten Kiewer Patriarchats unter Patriarch Filaret besteht. Filaret hatte sich ebenfalls in den 90iger Jahren des vorigen Jahrhunderts von der Russisch-Orthodoxen Kirche abgespalten. Der frühere ukrainische Präsident Petro Poroschenko betrieb massiv die Anerkennung der Selbständigkeit der ukrainischen Kirche durch Bartholomeus, den Patriarchen von Konstantinopel. Der feierliche Akt mit der Übergabe des Tomos an Metropolit Epifani fand schließlich im Herbst 2018 im Phanar in Istanbul statt. Überwunden wurde damit die Kirchenspaltung in der Ukraine allerdings nicht, wie die Stellungnahme des Pressesprechers der Orthodoxen Kirchen der Ukraine des Moskauer Patriarchats, Mikola Danilewitsch zeigt:

 

Mikola Danilewitsch (1)

Bilder Kiew – Poroschenko in der Kirche

11'19 - Tomos und Berliner Mauer - 11'42'7 (25)

"Der Tomos hat sich sehr negativ auf die religiöse Lage in der Ukraine ausgewirkt; er hat eine Berliner Mauer für die Orthodoxie in der Ukraine geschaffen, weil er ein Volk in religiöser Hinsicht in zwei Teile geteilt hat. Den größeren Teil bilden wir, den kleineren die Vertreter der Orthodoxen Kirche der Ukraine."

Diese Orthodoxe Kirche der Ukraine hat mit dem Tomos allerdings Einschränkungen der Selbständigkeit akzeptieren müssen. So ist Konstantinopel oberste juristische Instanz bei Streitigkeiten zwischen Bischöfen und auch bei der Seelsorge in der Diaspora hat der ökumenische Patriarch den Vorrang, weil der Wirkungskreis dieser orthodoxen Kirche auf das ukrainische Staatsgebiet beschränkt ist. Massiv für die Selbständigkeit kämpfte Patriarch Filaret, der jedoch der neuen Kirche den Rücken kehrte, die nun von einem Metropoliten geführt wird. Den Tomos bewertet Filaret negativ:

Patriarch Filaret

6'36 - Beschränkte Autokephalie Anerkennung - 9'43 Enttäuschung (45)

"Wir erwarteten denselben Status wie alle anderen Kirchen, das ist die völlige Unabhängigkeit von Konstantinopel. Doch bekommen haben wir ein Dokument, in dem unsere Autokephalie eingeschränkt ist, und wir in Abhängigkeit von Konstantinopel sind. Sie besteht bei anderen orthodoxen Kirchen nicht. Diesen Tomos haben nur drei Kirchen anerkannt, die anderen aber nicht, und ich denke, dass sie das auch nicht tun werden. Denn dieser Tomos enthält die Überlegenheit der Macht des Patriarchen von Konstantinopel in der Orthodoxen Kirche. Das ist ein Schritt zum Papsttum; doch die Reinheit des orthodoxen Glaubens besteht darin, dass alle Kirchen gleich sind."

In der katholischen Kirche gibt es eine klare Hierarchie mit dem Papst in Rom an der Spitze. Diese Hierarchie fehlt in der Orthodoxie, in der der Patriarch von Konstantinopel nur einer Erster unter Gleichen ist. Seine reale Macht ist beschränkt, weil seine Kirche nur wenige Tausende Gläubige zählt, denn Christen sind in der Türkei nur eine kleine Minderheit. Doch unter Berufung auf das Konzil von Chalzedon, das im Jahre 451 im heutigen Istanbuler Stadtteil Kadiköy standfand, beansprucht der Patriarch die Zuständigkeit für die orthodoxe Diaspora und das Vorrecht, die Selbständigkeit orthodoxer Kirchen anzuerkennen. Diese Forderungen wurden in der Ukraine umgesetzt, betont in Wien der Universitätsprofessor für Ostkirchenrecht, Richard Potz:

Richard Potz:

19'12'9 - Ukraine und Machtanspruch - 20'01'4 (53)

"Der ökumenische Patriarch konnte auf diese Weise seinen Anspruch zuständig zu sein für Autokephalie-Erklärungen an diesem Beispiel durchexerzieren. Er hat an diesem Beispiel gezeigt, dass sein Rechtsanspruch umgesetzt werden kann. Im Grund genommen war er, als er gefragt wurde, sei es von der Politik vom ukrainischen Präsidenten, und von Teilen der ukrainischen Kirche, er war fast gezwungen, das so zu tun, weil das seine die ganze Zeit von ihm vertretene Rechtsansicht war; und jetzt musste er Farbe bekennen, und er hat das offenbar sehr gerne getan."

Massiv war allerdings auch der Widerstand, auf den nicht nur in Moskau dieser Machtanspruch des ökumenischen Patriarchen stieß. Die russisch-orthodoxe Kirche hat alle Kontakte mit jenen Orthodoxen Kirchen abgebrochen, die Konstantinopel folgten. Widerstand kommt auch aus Serbien, das vor allem in Nord-Mazedonien mit einer ähnlichen Herausforderung zu kämpfen hat. Die serbisch-orthodoxe Kirche wirft Patriarch Bartholomeus vor, seine Befugnisse überschritten zu haben, erläutert in Belgrad der Kirchenexperte Jovan Janjic,

Jovan Janjic Kirchenexperte Serbien

26‘34'8 - Pocetak Ukraina

27'40'5 - Verstoß gegen Kanon - 28'37'3 (35)

"Der Patriarch von Konstantinopel hat das Kirchenrecht verletzt. Er hätte die Autokephalie der abgespaltenen ukrainischen Kirche nicht anerkennen dürfen. Denn das Kirchenrecht sagt klar, dass die Autokephalie oder die Autonomie nur die Mutterkirche gewähren kann. Im Falle der Ukraine kann die Autokephalie nur die russisch-orthodoxe Kirche gewähren, die im Jahre 1990 auch die breite Autonomie der ukrainisch-orthodoxen Kirche gewährt hat."

Doch in Serbien und in Russland ist die Orthodoxie nicht nur eine Kirche, sondern auch Träger der nationalen Identität. Im Falle Russlands ist die Kirche auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion auch ein Faktor im Streben Moskaus, seinen politischen und geistigen Einfluss auf diesem Territorium zu wahren. Der Kirchenkonflikt in der Ukraine wird daher von der russischen Führung auch als Teil des geopolitischen Ringens mit den USA angesehen; ein Beispiel für diese Haltung findet sich in der Pressekonferenz, die der russische Außenminister Sergej Lawrow Mitte Jänner in Moskau abgehalten hat:

 

Sergej Lawrow Russischer Außenminister (45)

„Unter dem gröbsten und nicht verborgenen Druck Washingtons folgte der ökumenische Patriarch dem Weg einer Spaltung in der Ukraine und schuf eine Marionette, die sogenannte orthodoxe Kirche der Ukraine. Jetzt versucht er zusammen mit den Amerikanern, andere orthodoxe Kirchen zu bearbeiten, um den Weg dieser subversiven antikanonischen Aktionen gegen die östliche Orthodoxie fortzusetzen. Die von den Amerikanern für Bartholomeus vorbereitete Mission, mit dem sie unter dem Motto "Religions- und Glaubensfreiheit" zusammenarbeiten besteht darin, den Einfluss der Orthodoxie in der modernen Welt zu begraben.“

Dieser Vorwurf ist mehr als nur eine russische Verschwörungstheorie, erläutert der Wiener Universitätsprofessor Richard Potz:

Richard Potz:

29'59'6 - Kommentar zu Lawrow Vorwurf - 30'38'5 (40)

"Es ist gar keine Frage, daß die ukrainischen Kirchen in den USA und in Kanada dort sehr stark sind, Strukturen entwickelt haben, so dass man - wenn man jetzt Leute sucht, um sie einzusetzen, sei es als Bischöfe oder auf theologisch-wissenschaftlicher Ebene, die überproportional vertreten sind. Dadurch gibt es diese Querverbindung; und das kann man vor allem aus der Sicht der russischen Politik sehr schnell als einen amerikanischen Einfluss interpretieren."

Dieser Einfluss ist in der Ukraine deutlich spürbar. Doch das durch Corona, Krieg und Korruption belastete Land hat seinen festen Platz in Europa zwischen der EU und Russland noch nicht gefunden. Das gilt auch für die kirchliche Einheit. Sie ist eine Voraussetzung dafür, dass sich der Metropolit der seit Herbst 2018 bestehenden Orthodoxen Kirche der Ukraine dereinst auch mit dem Titel eines Patriarchen wird schmücken können; den Weg dorthin beschreibt der Pressesprecher dieser Kirche, Erzbischof Ewstratij Zorja, so:

31'03 - Patriarchat - 33'30 (40)

"Erstens geht es um die innere Einheit, weil derzeit eine große Kirche besteht, die der Russisch-Orthodoxen Kirche untergeordnet ist. Solange die Vereinigung nicht abgeschlossen ist, kann ein derartiger Anspruch nicht erhoben werden. Zweitens geht es um die äußere Anerkennung durch andere Orthodoxe Kirche. Erst wenn wir diese beiden Wege beschritten haben, können wir das Recht haben, die Frage zu stellen, dass wir den Ehrenstatus eines Patriarchats erhalten, der sich allerdings in nichts darin unterscheidet, was die Selbständigkeit betrifft."

Erzbischof Ewstratij weist den Vorwurf zurück, die von Konstantinopel gewährte Selbstständigkeit beinhalte zu viele Einschränkungen zugunsten von Patriarch Bartholomeus. Unabhängig davon wird der Weg zur kirchlichen Einheit in der Ukraine ein langer und steiniger sein; dasselbe gilt auch für die Überwindung der massiven Konflikte zwischen den orthodoxen Kirchen in der Welt, die durch die ukrainische Frage offen zutage getreten sind.

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