× Logo Mobil

Interview mit Krawtschuk Friedensprozess Minsk

Fernsehen
MiJ
Berichte Ukraine

Der Krieg in der Ostukraine dauert nun bereits mehr als sechs Jahre, trotzdem ist ein Ende noch nicht in Sicht. Positiv ist, dass die Feuerpause an der mehr als 400 Kilometer langen Frontlinie bereits mehr als einen Monat hält. Festgefahren sind dagegen derzeit die Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges. Anlass dafür ist ein Beschluss des ukrainischen Parlaments, wonach Lokalwahlen in den prorussischen Rebellengebieten von Donezk und Lugansk erst dann stattfinden sollen, wenn die Ukraine ihre Grenze mit Russland wieder vollständig kontrolliert. Dieser Beschluss widerspricht klar dem Friedensplan von Minsk und daher blockieren Russland und seine Staathalter in der Ostukraine alle anderen Fragen, die auf dem Weg zum Frieden gelöst werden müssen. Mit dem ukrainischen Delegationsleiter bei den Verhandlungen in Minsk, Leonid Krawtschuk, hat unser Korrespondent in Kiew, Christian Wehrschütz, um die Chancen für eine Friedenslösung gesprochen; hier sein Bericht:

Der 86-jährige Leonid Krawtschuk ist eine historische Persönlichkeit der Ukraine. Er war nicht nur der erste Präsident des Landes, sondern auch einer der drei Unterzeichner jener Vereinbarung, mit der vor fast 30 Jahren die Auflösung der Sowjetunion besiegelt wurde. Krawtschuk ist sich völlig im Klaren, dass ohne Aufhebung des Parlamentsbeschlusses Fortschritte auf dem Weg zum Frieden nicht zu erreichen sind. Die innenpolitische Lage in Kiew beschreibt Leonid Krawtschuk so:

17'21 - Parlament - Kreml und Brüssel - 18'02 Selenskij - Paris

"Leider gibt es im Parlament zwei Gruppen von Abgeordneten; die eine orientiert sich am Kreml, die andere an Brüssel. Der Kampf dieser zwei Gruppen im Parlament macht es schwierig, Entscheidungen im Parlament zu treffen."

Die Vereinbarung von Minsk war in der Ukraine nie populär, daher sind die Stellungnahmen der politischen Führung einschließlich von Präsident Volodimir Selenskij oft widersprüchlich. Das nutzen die Machthaber in Donezk und Lugansk, die jedenfalls kein gesteigertes Interesse an einer Reintegration dieser Gebiete haben, und die Verhandlungen vielfach obstruieren. Dabei geht es um lebenswichtige Fragen für die Bevölkerung, die Leonid Krawtschuk so beschreibt:

10'43 - Wirtschaftliche Fragen und Gruben und IKRK - 12'21

"Zu den wichtigen wirtschaftlichen Fragen zählen der Verkehr, die Lieferungen von Wasser und Kohle. Wichtig ist auch der Umweltschutz auf dem von uns nicht kontrollierten Territorium. Dort stehen Kohlegruben unter Wasser; das kann zu einer Umweltkatastrophe führen. Die Ukraine ist bereit mit Spezialisten zu helfen, doch die Machthaber von Donezk und Lugansk lassen unsere Spezialisten nicht auf ihr Territorium. Das ist ein grundlegendes Problem, denn auch die Vertreter des Roten Kreuzes haben keinen Zugang zu Häftlingen in Gefängnissen auf der anderen Seite. Es ist sehr schwierig, irgendeine Frage zu lösen."

Bis zur Corona-Krise querten pro Tag etwa 30.000 Personen die fünf Übergänge an der Frontlinie. Nunmehr ist dieser Verkehr weitgehend zum Erliegen gekommen. Das trifft vor allem Pensionisten in den Rebellengebieten besonders hart, weil sie ihre Rente nur auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet beheben können. Dazu sagt Leonid Krawtschuk:

30'45'6 - Pensionisten und Bankomaten - 31'16

"Die wichtigste Frage, die wir heute lösen müssen, ist, wie wir Banken und Bankomaten einrichten können, damit diese Menschen nicht auf ukrainisches Territorium fahren müssen, sondern ihre Pensionen unmittelbar dort bekommen können, wo sie wohnen."

Ein guter Ansatz; doch wie und wann ukrainische Banken nach Donezk und Lugansk zurückkehren können, ist derzeit offen. Denn bei der Suche nach einer Lösung müssen auch Russlands Interessen in Rechnung gestellt werden. Sie bewertet Leonid Krawtschuk so:

18'24 - Haltung Russlands - 19'35

"Ich habe das Gefühl, dass es Russlands geopolitischen Interessen entspricht, in der Ukraine ein Territorium zu haben, durch das es Einfluss auf die Ukraine ausüben kann. Der Westen sollte verstehen, dass es für Russland nicht nur um innenpolitische Fragen in der Ukraine geht. Wladimir Putin hat mehrfach erklärt, dass die politischen und strategischen Interessen Russlands weit über die Grenzen der Ukraine hinausgehen."

Doch diesen Einfluss will Kiew wenig überraschend Moskau nicht zugestehen; der Krieg in der Ostukraine hat eben auch eine geopolitische Dimension, die eine Friedenslösung zusätzlich erschwert.

Facebook Facebook