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Orthodoxe Osternachlese in der Ukraine

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Berichte Ukraine

Die Ukraine war eines der wenigen orthodoxen Länder, in denen vergangenes Wochenende trotz des Kampfes gegen das Corona-Virus Gottesdienste stattgefunden haben. Zwar war die Zahl der teilnehmenden Gläubigen sehr viel geringer als in den Jahren zuvor, trotzdem kam es aber zu Verletzungen der vom Gesundheitsministerium in Kiew erlassenen Vorschriften; dazu zählt, dass an vielen Orten keine Masken getragen wurden, in den Kirchen zu viele Gläubige anwesend und auch Abstände vor den Kirchen nicht eingehalten wurden. Im Zentrum der Kritik steht in der Ukraine die bei weitem größte Kirche, die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats; die von ihr geführten drei bedeutendsten Klöster stehen nun alle unter Quarantäne; in zweien wurden während der Ostergottesdienste die Quarantäne-Vorschriften nicht eingehalten, während das Kiewer Höhlenkloster bereits vor Ostern unter Quarantäne stand, weil dort Mönche mit dem Virus infiziert waren. Verletzt wurden die Vorschriften aber auch bei anderen orthodoxen Kirchen zu Ostern, die jedoch weit weniger Gläubige zählen. Die politische Führung in Kiew konnte sich vor Ostern nicht zu einem Verbot der Gottesdienste durchringen; mehr als 26.000 Polizisten waren zu Ostern im Einsatz, um die Quarantäne-Bestimmungen bei den Gottesdiensten zu kontrollieren, die in 14.000 Kirchen stattfanden. In der Ukraine ist der religiöse Friede weiter brüchig; vor mehr als einem Jahr verlieh der ökumenische Patriarch in Konstantinopel der Orthodoxen Kirche der Ukraine die Autokephalie – gegen den massiven Widerstand der Ukrainisch Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der russisch-orthodoxen Kirche. Die Spannungen haben unter Präsident Volodimir Selenskij abgenommen, doch beigelegt ist der religiöse Konflikt in der Ukraine nach wie vor nicht.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz

Kamera: Wassilij Rud, Zurab Tedeluri, Andrij Dorotjuk, Sascha Alexejew

Schnitt: Mica Vasiljevic

Insert1: Igor Koslowskij, Religionswissenschaftler in Kiew

Insert2: Mikolaj Danilevič, Sprecher der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche

Insert3: Mikolaj Danilevič, Sprecher der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche

Insert4: Konstantin Bondarenko, Politologe in Kiew

Gesamtlänge:

Das Kloster Svatogorsk in der Ostukraine ist eines der drei bedeutendsten Klöster in der Ukraine und gehört zur orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. In der Osternacht war der Gottesdienst das Paradebeispiel für die Missachtung aller Empfehlungen der Regierung im Kampf gegen das Corona-Virus. Etwa 350 Gläubige und Geistliche drängten sich auf engstem Raum, kaum jemand trug eine Maske. Am Tag danach verhängten die Behörden eine Quarantäne über das Kloster, die Gläubigen mussten in die Selbstisolation gehen. Dieses Verhalten löste massive Kritik in der Ukraine aus:

„Es ist so eine Art Bigotterie und Unwissenheit, das heißt, Menschen, die in die Kirche kamen, dachten nur an den Ritus und gaben diesem Ritus magische Bedeutung. Meiner Meinung nach ist es kein Christentum mehr, es ist schon einerseits Dummheit, andererseits Fanatismus, andererseits Abneigung gegen sich selbst und den Nächsten.“

Doch es gab viele Kirchen auch des Moskauer Patriarchats, die versuchten, die Empfehlungen des Regierung umzusetzen. Ein Beispiel dafür ist diese Kirche in der Hafenstadt Odessa. Abgesehen von den Geistlichen war die Kirche leer; über Bildschirme und Lausprecher verfolgten die Gläubigen draußen die Messe. Das Moskauer Patriarchat ist mit 12.500 Kirchen, 5000 Mönchen und 13.000 Priestern die wichtigste Religionsgemeinschaft der Ukraine; Mäzene spendeten 850.000 Masken, die auch an Gläubige verteilt wurden.

Viele Gottesdienste wurden auch online übertragen; dieses Ange bot wurde offensichtlich genutzt, denn nur 130.000 Ukrainer sollen die Messen zu Ostern in etwa 14.000 Pfarren besucht haben:

"An den Ostergottesdiensten aller Kirchen nahmen im Vorjahr 7,5 Millionen Menschen teil, heuer waren es somit weniger als ein Prozent. Ich glaube, dass es insgesamt etwas mehr als 130.000 Gläubige waren, doch es waren nur sehr wenige, die im Vergleich zu den Jahren davor in dieser Zeit der Quarantäne gekommen sind."

Zu den Verletzungen der Quarantäne-Empfehlungen im Kloster Svatogorsk wollte Mikolaj Danilevic nicht Stellung nehmen – aber:

"Schon bei einer Sitzung des Heiligen Synod am 18. März wurden alle Menschen aufgerufen, nicht massenhaft die Kirchen zu besuchen, und wenn schon, dann Abstand zu halten; außerdem wurde dazu aufgerufen, sich an alle Empfehlungen des Gesundheitsministeriums zu halten. Wenn einzelne Geistliche etwas anderes gesagt haben, ist das deren Verantwortung, doch ich spreche hier von der offiziellen Position unserer Kirche, die allen Gläubigen bekanntgemacht wurde."

Die Realität in der Osternacht und am Ostersonntag bietet jedoch ein gemischtes Bild was die Einhaltung der Empfehlungen der Behörden betrifft. Dies trifft nicht nur für eine Kirche zu, sondern gilt für die meisten verschiedenen orthodoxen Bekenntnisse, wobei natürlich Unterschiede von Kirche zu Kirche bestehen. Bleibt die Frage warum die Staatsführung Gottesdienste nicht generell verboten hat:

"Präsident Selenskij versteht ausgezeichnet, dass die Ukrainische-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats die Basis jener Gläubigen ist, die in den Regionen leben, die seine Wählerbasis bilden; das sind der Osten und der Süden der Ukraine. Dort ist die überwiegende Mehrheit der Kirchen jene des Moskauer Patriarchats, und Selenskij will keinen Konflikt mit seinen Wählern."

Das berühmte Kiewer Höhlenkloster war bereits vor Ostern wegen Corona-Infizierungen unter Quarantäne; sie wurde nach Ostern auch über das Kloster Potschajew in der Westukraine verhängt. Ob Ostern zu spürbaren mehr Neuinfizierten geführt hat, werden die kommenden Wochen zeigen.

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