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Interview mit Martin Sajdik Bilanz als Chefvermittler

Fernsehen
ORFIII
Berichte Ukraine

Mehr als fünf Jahre dauert nun bereits der Krieg in der Ostukraine, und fast fünf Jahre wird nun bereits in der weißrussischen Hauptstadt Minsk über einen Frieden zwischen der Ukraine, Russland und der prorussischen Separatisten in Donezk und Lugansk verhandelt. Eine zentrale Rolle spielte dabei auch ein Österreicher; denn mehr als vier Jahre leitete Martin Sajdik als Chefvermittler der OSZE diese Gespräche. Sajdik brachte dazu viel internationale Erfahrung mit, war er doch Botschafter bei der UNO, in Moskau und Peking sowie Leiter der EU-Abteilung im Außenministerium in Wien, um nur einige Funktionen zu nennen. Bei den Gesprächen in Minsk führte er gestern seine letzte Verhandlungsrunde, weil Martin Sajdik diese Funktion mit Jahresende zurückgelegt hat. Seine Nachfolgerin ist eine Diplomatin aus der Schweiz, während ein Kandidat aus Österreich nicht als Nachfolger zum Zuge kam. Die Gespräche in Minsk werden weiter sehr wichtig sein, denn dort müssen jene Beschlüsse umgesetzt werden, die Anfang Dezember beim Ukraine-Gipfel in Paris gefasst wurden. Zum Abschluss seiner Funktion als Chefvermittler der OSZE in Minsk hat unser Ukraine Korrespondent Christian Wehrschütz in Kiew mit Martin Sajdik gesprochen:

Das Hotel Präsident in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ist der Ort, wo die Vertreter der Ukraine, Russlands, und der prorussischen Separatisten unter Vermittlung der OSZE verhandeln. Gefilmt werden durfte nur der Saal, nicht aber die Delegationen. In einem Nebenraum bereiteten sich Chefverhandler der OSZE, Martin Sajdik, und sein Team auf die Gespräche vor. Welche Bilanz zieht nun der Österreicher nach mehr als vier Jahren?

MS: Ich kann nicht behaupten, dass ich den Frieden gebracht habe für die Region, Leider nein, aber ich glaube dass wir einiges getan haben, um der Bevölkerung in der Ostukraine, und das sind auf beiden Seiten der sogenannten Kontaktlinie zirka vier Millionen Menschen, dass wir für sie das Leben erleichtert haben. Wir konnten in dieser Zeit die Zahl der zivilen Opfer wirklich signifikant senken durch Aufklärungskampagnen zu Minen, durch Warnungen vor Minen aber auch dass man beide Seiten darauf immer wieder hingewiesen hat, dass man nicht zivile Objekte beschießen soll, und das hat sich ausgewirkt. Wir konnten auch die Übergänge verbessern, und das spektakulärste Beispiel ist die Wiedererrichtung einer Brücke beim Übergang Stanica Lugansk; die trilaterale Kontaktgruppe wird in der nächsten Zeit noch sehr viel zu tun haben, da wir auch Vorgaben bekommen haben vom jüngsten Ukraine-Gipfel im Normandie-Format in Paris.

CW: Sie haben es erwähnt; zu den sichtbarsten Erfolgen zählt der Wiederaufbau der Fußgängerbrücke bei Stanica Luganska. Das ist der einzige Übergang von der Rebellenhochburg Lugansk auf Ukrainisch kontrolliertes Gebiet. Aber der Streit um diese Brücke und um den Wiederaufbau hat drei Jahre gedauert hat. Was sagt uns das über das Vertrauen zwischen den Konfliktparteien und über die Verhandlungen.

MS: Genau das, was sie eigentlich mit Ihrer Frage subsumieren, dass die beiden Seiten leider kein Vertrauen zueinander haben; und erst mit der Wahl des neuen ukrainischen Präsidenten haben sich da doch nicht nur atmosphärische Veränderungen ergeben im bilateralen Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland. Das hat sicherlich auch Auswirkungen gehabt dass auch diese Brücke wieder errichtet werden konnte. Ich habe aber als erster schon Anfang 2016 auf diese katastrophalen Zustände bei diesem Übergang wirklich hingewiesen. Und tatsächlich: Es hat so unglaublich lange gedauert dass das Ganze verbessert wurde. Aber jetzt geht’s wirklich gut.

CW: Im Mai dieses Jahres wurde Volodimir Selenskij als neuer Präsident der Ukraine vereidigt. Sein Erdrutschsieg hängt auch damit zusammen, dass sein Amtsvorgänger Petro Poroschenko sein Versprechen auf Frieden nicht umsetzte, sondern eine nationalistische Politik verfolgte. Wie sehr unterscheidet sich nun die Linie von Volodimir Selenskij auch bei den Friedensgesprächen in Minsk?

MS: Ich glaube, dass man sagen kann, es haben sich Veränderungen ergeben. Die Ukraine setzt sich mit den Maßnahmen auseinander die sie laut Minsker Vereinbarungen umzusetzen haben. Das sieht man zum Beispiel bei der Annahme der sogenannten Steinmeier-Formel, wenn es darum geht einen Sonderstatus für die Gebiete in der Ostukraine zu geben. Aber auch wenn man sieht, jetzt wird das Dezentralisierungsgesetz angenommen wird; denn Dezentralisierung ist auch ein Element, das in den Minsker Vereinbarungen vorgesehen ist.

CW: 30.000 Personen queren pro Tag die fünf Übergänge an der 400 Kilometer langen Frontlinie. Stundenlang muss oft an den Kontrollposten gewartet werden. Pensionisten müssen auf die ukrainische Seite, um ihre Rente zu bekommen. Der Andrang bei Bankomaten ist groß. Zu den Alltagsproblemen im Kriegsgebiet zählen auch Strom- und Wasserversorgung. Wie hat man in Minsk über derartige Probleme verhandelt?

MS: Es kommen gerade für diese Fragen Experten von allen Seiten, die sich dann wirklich sehr intensiv mit diesen Themen auseinandersetzen. Für das Wasser brauchst du Leute, die genau wissen wie die Leitungen gelegt sind, wo Schwachstellen sind. Eines der wesentlichen Probleme war natürlich auch immer die Bezahlung. Die Bezahlung für Wasser-Lieferungen; Wasser kommt aus dem von der Regierung kontrollierten Teil und fließt in die von Separatisten kontrollierten Gebiete und daher die Frage wie wird dieses Wasser durch die Separatisten bezahlt.

CW: Es gibt aber keine Bankverbindungen. Wie hat man das bezahlt?

MS: Das Geld ist in bar in Säcken über eine Brücke getragen worden und dann auf der anderen Seite gezählt worden.

CW: Im September fand ein Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und Russland statt. 35 Ukrainer kehrten heim, nach Moskau ausgeflogen wurden auch Ukrainer, die für die prorussischen Separatisten sind. Zwischen ihnen und Kiew ist ein weiterer Gefangenenaustausch geplant; was sind die besonderen Herausforderungen dabei?

MS: Das ist tatsächlich eine äußerst schwierige Frage, weil es eben um Menschen geht, die sich teilweise schon einige Jahre im Gefängnis befinden und dann auf die jeweils andere Seite gehen sollen. Es geht etwa um die Frage einer Amnestie für diese Personen. Gibt es dazu die entsprechenden rechtlichen Verfahren. Grundsätzlich ist zu sagen, dass auf der ukrainischen Seite um einiges mehr an Gefangenen sind als auf der Seite der von den Separatisten kontrollierten Gebiete. Und daher kann man immer von einem Verhältnis von ungefähr zwei zu eins manchmal sogar drei zu eins rechnen. Es sind hauptsächlich Ukrainer, aber es sind auch Staatsangehörige anderer Länder darunter, zuerst einmal Russen. Aber es gab auch einen Brasilianer, einen Esten, einen Usbeken die auf der Seite der Separatisten gekämpft haben.

CW: Werden diese Ukrainer gefragt, ob sie auf die Separatistengebiete übersiedeln wollen?

MS: Genau das ist der Punkt. Er wird gefragt. Und diese Befragung soll gemacht werden in dem Fall durch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes. Bedauerlicherweise werden bislang von den Separatisten derartige Befragungen nicht anerkannt. Wie überhaupt das IKRK leider bislang überhaupt keinen Zugang hatte auch zu Gefangenen in den Separatisten -Gebieten. Daher bin ich so froh, dass jetzt im Schlussdokument von Paris hier ein ganz klarer Passus drinnen ist der de. IKRK den Zugang gibt. Ich hoffe wirklich dass das umgesetzt wird.

CW: Vereinbart wurde beim Ukraine-Gipfel in Paris unter anderem, dass weitere zwei Übergänge an der 400 Kilometer langen Frontlinie geöffnet werden. Darüber soll ebenfalls in Minsk verhandelt werden. Welche Rolle spielt Minsk jetzt nach dem Gipfel in Paris?

MS: Eine sehr große Rolle. Denn wenn man sich das Abschlussdokument anschaut, steht ja nicht drinnen, welche Übergänge das sein werden. Es steht auch nicht drinnen zum Beispiel, welche Zonen es sein werden für eine weitere Truppenentflechtung. Alles das muss konkretisiert werden. Und bekanntlich steckt der Teufel immer im Detail.

CW: Dieser Ukraine-Gipfel in Paris fand nach mehr als drei Jahren im sogenannten Normandie-Format statt zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich. Sind nun die Chancen auf Frieden gestiegen?

MS: Da würde ich sagen Ja; ich glaube schon, dass das die Chancen auf Frieden gestiegen sind. Das Wichtigste ist gewesen, dass zuerst einmal ein persönlicher Kontakt etabliert wurde, zwischen dem neuen ukrainischen Präsidenten Selenskij und dem russischen Präsidenten Putin: das sind einfach große Nachbarn, und es ist notwendig trotz aller Probleme, dass die beiden miteinander reden. Auf der anderen Seite ist es einfach wichtig zu zeigen, dass die beiden größten europäischen Staaten politisch in der Europäischen Union, Frankreich und Deutschland, eben auch sehr engagiert sind in dieser Frage; dass das auch ein europäisches Anliegen ist, dass zwischen Russland und der Ukraine endlich Frieden geschlossen wird.

CW: Die Gebiete von Lugansk und Donezk könnten ohne umfassende russische Hilfe nicht überleben. Spielten oder spielen die Separatisten in Minsk überhaupt eine eigenständige Rolle, oder tun sie das, was Moskau vorgibt?

MS: Das ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Ich glaube aber diplomatisch sagen zu können, dass letztendlich ohne Zustimmung durch die russischen Vertreter Beschlüsse nicht zustande kommen würden.

CW: In Kiew haben ukrainische Nationalisten in den vergangenen Wochen mehrfach gegen den Friedensplan von Minsk demonstriert, den sie als Kapitulation vor Russland betrachten. Umstritten sind etwa die Amnestie für die Separatisten, der Sonderstatus der Gebiete von Donezk und Lugansk oder die Frage, wie dort demokratische Lokalwahlen abgehalten werden sollen. Wie sehr haben diese internen Gegensätze die Verhandlungen in Minsk erschwert?

MS: Es sind tatsächlich schwierige Fragen, die sie jetzt angeführt haben. Tatsächlich wird die Diskussion darüber schon einige Jahre geführt, und man hat durchaus Lösungsansätze gefunden, die eigentlich auch in der Ukraine akzeptabel sein sollten. Ich glaube, dass es der ukrainischen Diskussion gut tun würde, würde man mehr auf ausländische Experten zu diesen Fragen hören.

CW: Wie mühselig waren diese Verhandlungen? Wer waren die größten Nervensägen?

MS: Um es diplomatisch zu formulieren, der Nervensägen gibt es in Minsk viele. Und Sie jetzt persönlich zu nennen, würde wirklich nicht richtig sein. Aber ich kann Ihnen sagen, es war fast ein Nervensägen-Orchester. Aber das klingt dann nicht sehr gut.

CW: Was macht eigentlich einen guten diplomatischen Vermittler aus?

MS: Ich habe da kein einfaches Rezept dafür. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich glaube für mich war das Wichtigste immer Ehrlichkeit, Objektivität und Demut.

CW: Martin Sajdik spricht sehr gut russisch; nach den Verhandlungen in Minsk informierte er über die Ergebnisse die Medien stets in russischer Sprache. Doch Sajdik besuchte auch immer wieder die Frontlinie auch auf der Seite der prorussischen Gebiete. Warum hört jemand freiwillig auf, der so viel Einsatz für den Frieden gezeigt hat?

MS: Nach viereinhalb Jahren in dieser Position und mit dem Alter das ich nunmehr habe, ist es einfach Zeit, dass man weiß, dass vielleicht jetzt andere diese Funktion übernehmen sollen. Ich habe mich wirklich ernsthaft bemüht, und glauben Sie mir, das war der schwierigste Job, die schwierigste Position, die ich in allen meinen über 40 Jahren in der Diplomatie gehabt habe. Ich war Botschafter in China und Botschafter in New York und ich war auch im Außenministerium EU-Direktor. Aber das war das Schwierigste; und nach so langer Zeit hat man, glaube ich, auch das Recht, dass man sein eigenes Leben fortführt, in Österreich ist, und auch noch anderen Interessen frönen kann, und letztlich auch Zeit hat für seine Kinder und Enkelkinder.

CW: Neben Valentin Inzko als Hohem Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina sind Sie der einzige österreichische Diplomat, der in einer hohen internationalen Funktion als Vermittler tätig ist. Im Gespräch für Ihre Nachfolge war auch ein Österreicher. Warum kam es nicht zu dessen Ernennung?

MS: Es ist sehr schade, dass Österreich in der letzten Zeit es nicht geschafft, verschiedene Positionen wo auch Österreicher sehr gute Kandidaten gewesen wären, dass diese Personen nicht zum Zug gekommen sind. . Österreich hat für verschiedene Funktionen in der OSZE in der letzten Zeit Männer vorgeschlagen. Das war nicht erfolgsversprechend, zum Zug gekommen sind Frauen; ich glaube, wir sollten sehr darauf achten, in der Zukunft für Mediation, wenn man solche Posten in der internationalen Mediation anstrebt, vor allem auch Frauen zu fördern. Ich bin in diesem Zusammenhang wahnsinnig froh, dass im Menschenrechtsrat, das ist das oberste Menschenrechts-Gremium der Vereinten Nationen, nunmehr eine Österreicherin den Vorsitz übernehmen wird im nächsten Jahr. Das ist eine wirklich wichtige Funktion. Zur anderen Frage: Wir hätten einen wirklich ausgezeichneten Kandidaten gehabt, der aber leider in der Ukraine vor allem auch deshalb nicht angekommen ist, weil man Reminiszenzen an Österreich gehabt hat von der Vorgängerregierung. Und tatsächlich das Bild, das der Knicks unserer ehemaligen Außenministerin bei ihrer Hochzeit vor dem russischen Präsidenten gegeben hat, dieser Knicks ist in der Ukraine ein unvergessliches Bild geworden.

CW: Sind die österreichisch-ukrainischen Beziehungen schlecht?

Darüber kann ich nicht urteilen ich bin ja nicht der bilaterale Botschafter. Ich glaube, dass die Beziehungen, wenn ich jetzt von der Seite beobachte, das sagen kann, die Beziehungen sind bei Gott nicht schlecht. Der Ukraine würde es gut tun, etwas nüchterner aber die Bilder zu sehen, und vor allem daran zu denken, wie stark Österreich auch wirtschaftlich in der Ukraine involviert ist. Daher, ich glaube auch hier wäre es angetan, dass die Ukraine und die ukrainischen Entscheidungsträger etwas mehr Demut und Realismus zeigen könnten

CW: Herr Botschafter Sajdik, wir danken für das Gespräch.

MS: Danke, sehr gerne.

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