Die Parteivorsitzende hinter dem Frontmann
Ein ehemaliger politischer Kabarettist als Präsident und ein Rockstar als sein Koalitionspartner. Dieses Szenario kann in der Ukraine Wirklichkeit werden. Volodimir Selenskij ist bereits Präsident und auch überragender Sieger der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag. Den Einzug ins Parlament schaffte aber auch der populärste Rockstar der Ukraine, Swajtoslaw Vakartschuk. Der Leadsänger der Gruppe „Okean Else“ gewann mit seiner Partei „Stimme“ etwa sechs Prozent bei der Wahl; diese Partei ist die kleineste der fünf im Parlament vertretenen Parteien. Präsident Volodimir Selenskij ihr eine Koalition angeboten, obwohl er im Parlament über die absolute Mandatsmehrheit verfügt. Erklärtes Ziel der Partei „Stimme“ ist die Modernisierung der Ukraine und ihr Beitritt zu NATO und EU. Parteivorsitzender ist aber nicht Vakartschuk, sondern Julia Klimenko, eine Wirtschaftsexpertin. Mit ihr hat unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen und den folgenden Beitrag gestaltet:
Julia Klimenko ist mittelgroß, sportlich, hat einen festen Händedruck und macht auch darüber hinaus den Eindruck, dass sie klare Vorstellungen hat, was eine moderne Ukraine ausmacht. Die 43-jährige wurde in Kiew geboren, studierte Volkswirtschaft, arbeitete 17 Jahre in der Privatwirtschaft und war von 2015 bis 2016 stellvertretende Wirtschaftsministerin. Geht es nach dem Willen ihrer Partei sollen die ersten Schritte einer Reform der Ukraine so aussehen; Julia Klimenko:
„Was die Wirtschaft betrifft, so muss das Parlament vor allem eine ehrliche Regierung bilden, die alle Formen der Korruption beseitigt; das betrifft den Zoll, die Finanzbehörde. Kleine und mittlere Betriebe müssen sich entwickeln können, dann wird die Wirtschaft schon ziemlich rasch wachsen. Außerdem muss das Moratorium fallen, das den Verkauf von Land untersagt, auch das wird die Wirtschaft ankurbeln. Mit der Abschaffung des Moratoriums muss gleichzeitig ein Gesetz über die Nutzung von Agrarland verabschiedet werden. Da muss glasklar festgelegt werden, wer wann kaufen darf, und wie das Eigentumsrecht geregelt und geschützt wird.“
Unter Petro Poroschenko erfolgten in den vergangenen fünf Jahren kaum Privatisierungen von Staatsbetrieben. Das soll ändern, auch um einen weiteren Schlag gegen die Korruption zu führen, betont Julia Klimenko:
"Die Privatisierung fand nicht statt, weil es für die Regierung angenehmer war, auf den Korruptionsströmen der Staatsbetriebe zu sitzen als sie zu verkaufen. Außerdem wurden flüssige Mittel aus diesen Betrieben herausgezogen, die Betriebe wurden abgewertet, um sie billiger kaufen zu können. Privatisierung fand ausschließlich über Korruption statt. Gibt es den politischen Willen und transparente Prozesse dann kann man Betriebe für gutes Geld verkaufen unabhängig davon, ob der Investor In- oder Ausländer ist. Das führt zu Wissenstransfer und auch dazu, dass die Korruption in Staatsbetrieben beseitigt wird. Dann muss man sie nicht ständig aus dem Budget unterstützen."
Außenpolitisch ist die Partei stimme ganz klar prowestlich; EU- und NATO-Beitritt sind die Ziele. Der Konflikt mit Russland soll auf diplomatischem Wege und mit westlicher Hilfe gelöst werden, trotzdem brauche die Ukraine natürlich eine starke Armee. Doch wenn die Partei zwischen NATO und der Reintegration der Kriegsgebiete von Donezk und Luganks wählen müsste, wie würde diese Wahl ausfallen? Julia Klimenko antwortet so:
"Wir werden nicht wählen. Unser Beispiel sind West- und Ostdeutschland, die ihre Übergangsentscheidungen getroffen haben. Doch schließlich war Deutschland vereinigte sich und ganz Deutschland ist in der NATO."
Doch die deutsche Teilung währte 44 Jahre; Juli Klimenko hofft, dass es nicht so lange dauert, weil nach Putin eine neue Ära in Russland anbrechen könnte. Diese Hoffnung könnte trügerisch sein, doch selbst wenn nicht, eine hoffungsvolle Perspektive für Donezk und Lugansk bietet sie nicht.