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Gefährdete Religionsfreiheit in Donezk und Lugansk

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Berichte Ukraine

In der Ukraine ist die Freiheit der Religionsausübung auf verschiedene Weise gefährdet. So klagt einerseits die Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats über massiven politischen Druck durch die ukrainische Führung unter Präsident Petro Poroschenko, der sich massiv für die Bildung einer eigenständigen, autokephalen Kirche des Kiewer Patriarchats einsetzt. Hinzu kommt der Vorwurf nicht nur durch ukrainische Ultranationalisten, eine fünfte Kolonne Moskaus zu sein. Doch während das Moskauer Patriarchat derzeit nicht an seiner Religionsausübung gehindert, haben in den prorussischen Rebellengebieten verschiedene Kirchen und Religionsgemeinschaften massive Probleme. In Donezk wurden die Zeugen Jehovas als extremistische Organisation verboten, eine neue Registrierung aller religiösen Gemeinschaften muss bis Ende März erfolgen. In Lugansk ist die Frist dazu bereits abgelaufen, und eine Registrierung wurde vor allem jenen Kirchen verweigert, die als pro-ukrainisch gelten. Unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz war jüngst wieder in Donezk und hat auch mit Vertretern mehrerer Kirchen gesprochen; hier sein Bericht:

In der Ukraine sind religiöse Fragen Teil des politischen Kampfes im Land aber auch zwischen Kiew und Moskau sowie den von Moskau unterstützen abtrünnigen Gebieten von Donezk und Lugansk. In diesen Gebieten genießt die Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats eine privilegierte Stellung, während alle anderen Religionsgemeinschaften mit mehr oder minder großen Problemen zu kämpfen haben. Tatsache ist, dass religiöse Freiheit und religiöse Vielfalt in Lugansk und Donezk spürbar geringer geworden sind. Einige Male pro Jahr kommt aus Kiew der Apostolische Nuntius, Claudio Gugerotti, auf Pastoralbesuch nach Donezk und Lugansk. Seine Eindrücke schildert Claudio Gugerotti so:  

"Die Lage ist ziemlich schwierig, weil eine neuerliche Registrierung aller religiösen Gemeinschaften verlangt wird. Die Frist in Lugansk ist abgelaufen und viele Gemeinden wurden nicht registriert; einige Moscheen und Kirchen der Baptisten wurden geschlossen, einige Personen verhaftet, wobei auch die Zeugen Jehovas große Probleme hatten. Was die römisch- und die griechisch-katholische Kirchen betrifft haben wir noch keine klare Antwort. Die ukrainische Kirche des Moskauer Patriarchats wurde registriert, doch in Lugansk wurden alle Kirchen des Kiewer Patriarchats geschlossen, dann wurde eine wieder geöffnet, und eine weitere zwischenzeitlich geöffnet."

Hinzu kommt der personelle Aderlass durch Flucht und Auswanderung; sie spürten und spüren natürlich die Bezirke besonders stark, die in unmittelbarer Nähe zu den Kriegsgebieten liegen. Dazu zählt Saporoshije mit der gleichnamigen Bezirkshauptstadt, die auch Sitz eines katholischen Bischofs ist. Die Diözese umfasst sieben Bezirke mit 20 Millionen Einwohnern und etwa 60.000 Katholiken. In Donezk und Lugansk verblieben sein dürften noch etwa 300 Katholiken, schätzt der Bischof in Saporoschije, Jan Sobio:

"Der Krieg hat das religiöse Leben sehr stark beeinflusst; im ersten Jahr herrschte eine völlige Lähmung in den Frontgebieten sowie in Donezk und Lugansk. Dort blieben bis heute nur zwei katholische Geistliche. Die ausländischen Studenten verließen Lugansk und Donezk, viele Bürger polnischer Nationalität wurden evakuiert. Bis heute verlassen ganze Familien diese Gebiete, weil jetzt die Hoffnung verloren geht, dass sich die Lage beruhigt und ein Ende des Konflikts nicht absehbar ist. Diese Familien übersiedeln entweder in andere Teile der Ukraine oder überhaupt gleich nach Europa."

Eine Flüchtlingswelle verzeichneten auch die Zeugen Jahovas, die in der Ukraine seit fünf Jahren vom Grazer Volker Calisto geleitet werden. Nach seinen Angaben zählen die Zeugen Jehovas in der Ukraine 140.000 aktive Mitglieder, 25.000 von ihnen lebten in der Ostukraine; die Kriegsfolgen schildert Volker Calisto so:

"Wir hatten seit dem Jahre 2014 direkt aus dem Kriegsgebiet etwa 7.000 Flüchtlinge. Unsere Organisation in der Ukraine hat sich sehr gut um all diese Flüchtlinge gekümmert, viele sind weg gegangen, einige zeitweilig und sind dann auch wieder zurückgegangen, weil sie dort auch Familien und Angehörige haben; aber auch manche sind ständig weggegangen. Der zweite Punkt ist, dass im Laufe der Zeit die Religionsfreiheit immer mehr eingeschränkt wurde."

Ein besonderes Feindbild in den prorussischen Rebellengebieten sind die Zeugen Jehovas; seit Kriegsbeginn wurde ein Fünftel der 60 sogenannten Königreichsäle beschlagnahmt oder verwüstet. Lugansk und Donezk folgten dabei offensichtlich der Religionspolitik in Moskau, das die Zeugen Jehovas zur extremistischen Organisation erklärt und verboten hat. Die Lage in den prorussischen Rebellengebieten beschreibt in Kiew Volker Calisto so:

"In Donezk wurde schon früher damit begonnen, einige unserer Publikationen als extremistisch zu bezeichnen, auch unsere Webseite wurde Ende August offiziell verboten; am 26. September wurde überhaupt unsere Organisation verboten. Das was uns besonders beunruhigt ist der Umstand, dass einfach ein Verbot erlassen wurde; das Gericht hat das entschieden, es gab keine Anhörung. Lugansk ist da eher passiv in dieser Hinsicht, aber die Schwierigkeiten sind größer dort. Ich war im Vorjahr persönlich bei einem unserer Kongresse dort, wo dann der Kongress unterbrochen wurde, wo unsere Glaubensbrüder dann detailliert nach ihren Dokumenten gefragt wurden, und wo einige dann auch wirklich Schwierigkeiten hatte. Dieser Königreichsaal wurde dann im Frühling angezündet, der wurde ganz vernichtet. Die Schwierigkeiten sind in Lugansk größer als in Donezk, obwohl Donezk ein offizielles Verbot hat und Lugansk nicht."

Warum gerade die Zeugen Jehovas aber auch diverse protestantische Gemeinde mit massiven Problemen zu kämpfen haben, ist unklar. Eine mögliche Erklärung bietet der katholische Bischof in Saporoschije, Jan Sobio:

"Die protestantischen Gemeinden waren dort sehr stark; das hat wahrscheinlich der Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats nicht gefallen. Dasselbe gilt auch für die Zeugen Jehovas, die in den Straßen gepredigt haben; ich denke, dass ihr Verbot damit verbunden ist, dass sie der Orthodoxen Hierarchie des Moskauer Patriarchats nicht gefallen haben, die in den Zeugen Jehovas eine Konkurrenz sahen, obwohl sie ganz ruhig tätig waren. Ich sage ganz klar, dass ich das Verbot für einen großen Fehler halte, den die Machthaber in Donezk und Lugansk damit begangen haben; dasselbe gilt auch für die Führung in Moskau."  

In Lugansk und Donezk haben die sogenannten Parlamente Religionsgesetze verabschiedet; sie sehen vor, dass sich alle religiösen Organisationen neuerlich registrieren müssen; in Lugansk ist die Frist dazu bereits abgelaufen, in Donezk läuft die Frist noch bis Ende März. Trotzdem seien bereits jetzt deutliche Unterschiede zu erkennen, betont Bischof Jan Sobio:

"In Lugansk wird härter mit religiösen Organisationen umgegangen als in Donezk. So verläuft der Prozess der neuerlichen Registrierung in Donezk ruhiger, es besteht mehr Zeit, zur Vorbereitung aller Dokumente, dagegen war die Zeit in Lugansk dafür sehr beschränkt, und auch die Anforderungen waren härter, man brauchte sehr viele Papiere. Die Geistlichen verschiedener Kirchen, mit denen ich gesprochen habe, sagten mir, dass es viel schwieriger ist, diese Fragen in Lugansk zu lösen als in Donezk. Das kann natürlich auch mit den handelnden Personen zu tun haben, die als Beamte vor Ort zuständig sind. In Lugansk herrscht da möglicherweise noch stärker eine sowjetische Mentalität, in Donezk ist das etwas leichter."

Doch auch eine Registrierung in Donezk bedeutet in den Augen ukrainischer Kirchen eine de facto Anerkennung der Staatlichkeit dieser Gebiete; dazu ist etwa die Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats nicht bereit. Was geschieht dann mit den Kirchen, die zur neuerlichen Registrierung nicht bereit sind? Dazu sagt in Donezk der Vorsitzende der sogenannten Volksrepublik von Donezk, Denis Puschilin:

"Die These - bereit oder nicht bereit; ist für mich nicht ganz verständlich; denn es gibt Gesetze der Republik, die de facto für alle gelten. Ausnahmen wird es hier nicht geben, der Staat handelt im Rahmen der Gesetze, die er verabschiedet hat. Ich sehe da keine Probleme, denn so ist es wahrscheinlich in allen Staaten. Bei uns sind Staat und Kirche getrennt, trotzdem wird niemandem gestattet, die Gesetze der Volksrepublik zu missachten; das ist auch hier klar ersichtlich."

Die religiöse Vielfalt in den prorussischen Rebellengebieten dürfte somit wohl noch geringer werden, denn auch eine kirchen-politische Entspannung zwischen Donezk – Kiew und Moskau ist nicht in Sicht.

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