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Der Kampf um die Autokephalie der Ukraine

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Berichte Ukraine

Die Christenheit erlebt zurzeit die größte Erschütterung seit dem Bruch zwischen Byzanz und Rom im Jahre 1054. Doch während vor knapp eintausend Jahren die Einheit der Christenheit durch die Spaltung in katholische und orthodoxe Welt zerbrach, geht es nun um eine tiefe Krise der Orthodoxen Welt. Anlass dazu ist ein doppelter Machtkampf; einerseits geht es um den Kampf der Ukraine um ihre Unabhängigkeit von Russland, ein Kampf, der nicht nur mit der Annexion der Halbinsel Krim und dem Krieg in der Ostukraine verbunden ist, sondern der auch eine religiöse Dimension hat. Noch dominiert die Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats das religiöse Leben in der Ukraine, doch zwei ukrainische Orthodoxe Kirchen wollen sich nun vereinigen und damit die Autokephalie, also den Status einer selbständigen Landeskirche erhalten. Dieses Bestreben gibt es seit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991; doch nun hat es Aussicht auf Erfolg, weil dieses Streben auch der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul unterstützt. Denn zwischen Istanbul und Moskau tobt ein Kampf um die informelle Vorherrschaft in der Orthodoxen Welt, in dessen Brennpunkt nun die Entwicklung in der Ukraine steht. Unser Korrespondent in Kiew, Christian Wehrschütz, hat den folgenden Beitrag über den Kampf der Ukraine um eine eigenständige, unabhängige Landeskirche gestaltet:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus der Ukraine

Kamera: Alexander Alexeijew, Wassilij Rud, Ramazan Tunay

Schnitt: Wassilij Rud

Insert1: Igor Koslovskij, Ukrainischer Religionswissenschaftler

Insert2: Filaret (Denisenko), Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats

Insert4: Mikola Danilewitsch, Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats

Insert5: Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine

Insert6: Filaret (Denisenko), Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats

Gesamtlänge: 8’57

Russische Ostern AP 15/16.April 2017

Russische Ostern Reuters 15.April 2017

Das Höhlenkloster in Kiew ist wohl das berühmteste sakrale Bauwerk der Ukraine; es untersteht der Ukrainischen Kirche des Moskauer Patriarchats, die mit 12.000 Pfarren fast doppelt so stark ist, wie das Kiewer Patriarchat und die Autokephale Orthodoxe Kirche zusammen, die von der Weltorthodoxie nicht als eigenständig anerkannt sind. Doch auch für die Russisch-Orthodoxe Kirche ist die Ukraine von enormer Bedeutung, in der es eine enorme Vielfalt religiöser Gemeinschaften gibt:

                                                                                     

„Auf dem Territorium der Ukraine befand sich nach dem Zerfall der Sowjetunion die Hälfte aller religiösen Organisationen; 25 Prozent bestanden in Russland, weitere 25 Prozent in anderen ehemaligen Teilrepubliken, aber 50 Prozent in der Ukraine. Das waren verschiedene Organisationen, nicht nur orthodoxe, sondern auch griechisch-katholische, protestantische und islamische Gemeinschaften. Diese Besonderheit der Ukraine ist mit der geistlichen Suche ihrer Bevölkerung verbunden. Jedenfalls sind die orthodoxen Gläubigen und Pfarren in der Ukraine nicht weniger als in Russland; wir sind einer der größten orthodoxen Staaten der Welt."

Der Krieg in der Ostukraine hat alle Religionsgemeinschaften massiv getroffen, die in den prorussischen Rebellengebieten der Ukraine treu bleiben wollen. Unterdrückung und Auswanderung führten zu einem enormen Aderlass, der auch die Katholische Kirche getroffen hat. Verschärft wurde damit auch der Kirchenkonflikt in der Ukraine, denn das Moskauer Patriarchat wird vielfach beschuldigt, die russische Aggression nur halbherzig verurteilt zu haben und eine fünfte Kolonne Moskaus zu sein:

"Die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats hat eine prorussische Haltung eingenommen. Das zeigt sich darin, dass die Führung dieser Kirche meint, dass im Donbass ein Bürgerkrieg stattfindet und nicht eine Aggression durch Russland. Wir meinen, dass es Separatisten gibt, die kämpfen, doch darüber hinaus sind auch mehr als 50.000 russische Soldaten im Einsatz mit Panzern und schwerer Artillerie; all das beweist, dass Russland einen Krieg gegen die Ukraine führt, doch das Moskauer Patriarchat sagt nein."    

Diese Vorwürfe werden entschieden zurückgewiesen.

"Das ist überhaupt nicht wahr. Wir sind nicht für Russland, wir sind für die Ukraine, doch wir sind für eine Ukraine gemeinsam mit der Krim und dem Donbass. Nur deshalb, weil in unserem Land nach dem Maidan die westukrainische, sehr nationalistische Ideologie triumphierte, fühlten sich die Krim und der Donbass unter diesen neuen ideologischen Bedingungen fremd; es geschah, was geschah, und diese Probleme nutzte Russland aus. Die herrschende Ideologie hat dazu geführt, dass die Ukraine nicht nur Probleme mit Russland, sondern auch mit den ungarischen, rumänischen und polnischen Minderheiten hat. Wir sind die einzige Kirche, die in allen Regionen präsent ist, während die anderen Kirchen vor allem in der Westukraine tätig sind, und daher nicht die Stimmung fühlen, die im Osten und Süden der Ukraine bestehen."

Klar ist aber, dass diese Haltung im Widerspruch zur herrschenden politische Elite steht; klar ist auch, dass das Moskauer Patriarchat zum Lavieren gezwungen ist, weil es auf beiden Seiten der Frontlinie präsent ist. Durch einen Friedensmarsch im Sommer 2016 versuchte das Moskauer Patriarchat seine Verankerung in der ukrainischen Bevölkerung zu demonstrieren; denn in der Zentral- und Westukraine ist es zahlenmäßig stärker als im Osten. Doch diese Kirche ist eben Teil des Moskauer Patriarchats; und Wladimir Putin setzt stark auf die Verbindung von Thron und Altar, um den Führungsanspruch Russlands geistig zu untermauern. Die 300 Jahre währende Hegemonie will die Ukraine endgültig beseitigen; daher hat dieser Konflikt eine kirchliche Dimension.

Wahr ist aber ebenso, dass Filaret im Jahre 1990 bei der Wahl zum Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche scheiterte, und erst danach die Kirchenspaltung vollzog. Vom Moskauer Patriarchat wurde er 1997 mit dem Kirchenbann belegt. Die machtpolitische Dimension des Kirchenkonflikts zeigt auch der massive Einsatz von Petro Poroschenko für die Autokephalie. Der ukrainische Präsident ist nach Umfragen sehr unpopulär, will aber im März für eine zweite Amtszeit wiedergewählt werden. „Eine Landeskirche – Garant der Unabhängigkeit“ lautet eine seiner Parolen, wobei Poroschenko ganz auf die antirussische Karte setzt:

"Wir zerbrechen ein für alle Mal die Ketten, mit denen uns das Imperium an sich gebunden hat, indem es die Ukraine in eine Kolonie verwandelt hat. Was geschieht jetzt - sehr einfach: die Entkolonialisierung. Ich tue alles was mit Gottes Hilfe in meiner Macht steht, damit unsere Kirche den Tomos und damit die Autokephalie erhält. Denn eine eigenständige Kirche wird eine Botschaft der Einheit unseres Staates sein. Hinzu kommt, dass damit wie ein Kartenhaus das Konzept des Dritten Roms zusammenstürzt, als Basis Russlands für seine weltweite Hegemonie auf dem Gebiet der Religion. Bei uns entscheidet sich die Zukunft der weltweiten Orthodoxie."

Bei dieser Entscheidung spielt der Konflikt zwischen dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, und der Russisch-Orthodoxen Kirche eine wesentliche Rolle. Offen zu Tage trat der Konflikt im Jahre 2016, als die Russisch-Orthodoxe Kirche gleichsam im letzten Moment die Panorthodoxe Kirchenversammlung auf Kreta boykottierte; sie sollte nach 1.200 Jahren unter Federführung des Ökumenischen Patriarchen Bartholomeus zum ersten Mal alle orthodoxen Kirchen vereinen.

Moskau strebt nach der Führungsrolle in der Orthodoxen Welt, die Bartholomeus, der Primus inter Pares der Orthodoxie, nicht akzeptiert. Ein Treffen zwischen ihm und dem Moskauer Patriarchen Kyrill im August dieses Jahres führte zu keiner Einigung. Mitte Oktober trat der Synod des Ökumenischen Patriarchats in Istanbul zusammen: der Kirchenbann über Filaret wurde aufgehoben, seine Legitimität als Bischof anerkannt, die vor mehr als 300 Jahren erfolgte Unterordnung des Kiewer Patriarchats unter die Moskauer Oberherrschaft für rechtswidrig erklärt und die Autorität des Ökumenischen Patriarchen in der Ukraine anerkannt. In Kiew bejubelten geistliche und politische Führung diese Beschlüsse, die das Moskauer Patriarchat massiv kritisierte und mit dem Abbruch der eucharistischen Gemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel beantwortete. Denn klar ist, das in Istanbul der erste Schritt zur Bildung einer autokephalen ukrainischen Landeskirche beschritten wurde:

„Nun geht es um die Einberufung einer Kirchenversammlung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats, der Ukrainisch-Autokephalen Kirche und jenes Teils der höheren Geistlichkeit des Moskauer Patriarchats, der zur Vereinigung bereit ist. Bei dieser Synode müssen wir die Vereinigung der drei Kirchen in eine Ukrainisch-Orthodoxe Kirche fixieren, die dann eine unabhängige autokephale Landeskirche sein wird. Danach müssen der Ökumenische Patriarch und der Heilige Synod die Entscheidung treffen über die Gewährung des Tomos, das ist die Zuerkennung der Autokephalie der ukrainischen Kirche. Auf diese Weise wird die ukrainische Kirche dann Teil der Familie der orthodoxen Kirchen sein."

Diese Kirchenversammlung soll bis Jahresende stattfinden. Zu ihrer Vorbereitung sind bereits zwei Gesandte des Ökumenischen Patriarchen in Kiew im Einsatz. Unklar ist, wie viele Geistliche des Moskauer Patriarchats zur Vereinigung bereit sein werden. Klar ist aber, dass die Lage gespannt ist, denn in der Ukraine gab es immer wieder handfeste Konflikte um das Kircheneigentum, das von Übertritten betroffen war. Daher hat die internationale Gemeinschaft die Kirchen, die Gläubigen und die Staatsführung zu Zurückhaltung und Toleranz aufgerufen; denn Konfliktpotential gibt es in der Ukraine wahrlich genug und der Weg zu einer unumstrittenen und umfassenden autokephalen Landeskirche wird ein langwieriger sein.

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