Die Rebellengebiete als soziale Krisenregion
Fast vier Jahre dauert der Krieg bereits in der Ostukraine; während der Beschuss deutlich nachgelassen hat und die Opferzahlen gesunken sind, wird die wirtschaftliche und soziale Lage in den prorussischen Rebellengebieten immer schlimmer und die Abwanderung nach Russland und in die Ukraine immer größer. In manchen Spitälern ist etwa die Zahl der Ärzte auf 30 Prozent des Sollstandes gesunken; von der sozialen Krise besonders betroffen sind alte Menschen, Familien mit mehreren Kindern aber sogenannte soziale Randgruppen wie behinderte Menschen. Dazu zählen auch Gehörlose, für die es in der Rebellenhochburg Donezk sogar eine eigene Fabrik gibt, in der mehr als 50 Gehörlose arbeiten; diese Fabrik hat unser Korrespondent Christian Wehrschütz besucht; hier sein Bericht:
Die Fabrik für die Beschäftigung von Gehörlosen liegt in einem Außenbezirk von Donezk und produziert wird vor allem Massenware, die keine lange Einschulung erfordert; dazu zählen Kleiderbügel aus Plastik oder Gummidichtungen aber auch Verlängerungskabel. Die Maschinen sind uralt und wären in Österreich schon lange beim Alteisen gelandet. Die Fabrik gehörte zu einem Netzwerk von 30 derartigen Fabriken in der Ukraine. Der Krieg und vor allem die Wirtschaftsblockade von Kiew haben das Werk von Lieferanten und Handelspartnern abgeschnitten; produziert wird vorwiegend wenn der Auftraggeber selbst die Rohstoffe bereitstellen kann. Die Lage beschreibt der Direktor des Werks, Igor Rischkow, so:
"Bei voller Auslastung liegen die Löhne zwischen 70 und 170 Euro; doch die Löhne sind sehr niedrig, weil die Auslastung sehr gering ist und ich das Geld aufteilen muss. Ich muss meine Mitarbeiter halten, und ihnen irgendein Stück Brot geben, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft."
Ein weiteres Problem sei die Kostenschere und die Gefahr der Abwanderung, betont Igor Rischkow:
"73 Personen sind als Mitarbeiter geblieben, Lohne bekommen zwischen 45 und 53 Personen. Das hängt von der Auftragslage ab, die sehr gering ist; sie hat sich acht Mal verringert. Doch die Fixkosten blieben gleich, vom Wachdienst über die technischen Mitarbeiter bis hin zu Facharbeitern; ich muss unsere Spezialisten behalten, die man sonst kaum mehr in der Stadt finden kann, weil die Abwanderung sehr groß ist, sei es nach Russland oder in die Ukraine. Ich muss daher alles tun, damit das personelle Rückgrat des Betriebes erhalten bleibt, denn ansonsten ist ein Aufschwung in der Zukunft unmöglich."
Darüber hinaus muss das Werk noch ein Heim finanzieren, in dem etwa 110 ehemalige Mitarbeiter leben. Auch diese Pensionisten brauchen Fürsorge und Unterstützung; doch damit sind auch Kosten verbunden wie Heizung, Wasser, Kanalisation.
Gespart wird in der Fabrik auch an der Heizung; daher verteilte die lokale Hilfsorganisation „Der Fonds für die Entwicklung des Donbass“ an die Mitarbeiter warme Unterwäsche, um die Arbeitsbedingungen etwas zu verbessern. Der durchschnittliche Warenkorb umfasst in Donezk nur Lebensmittel und Hygiene und liegt bei etwa 85 Euro; das entspricht dem Durchschnittslohn im privaten Sektor; die durchschnittliche Pension liegt aber nur bei 60 Euro; ein enormes Problem sei die Arbeitsmigration, betont Anastasia Chmelnizkaja, die Leiterin der Hilfsorganisation:
"Bei jüngerem, niedrigerem medizinischen Personal wie etwa bei Sanitätern liegt der Personalstand noch bei 80 Prozent; beim mittleren medizinischen Personal wie Krankenschwestern sind es nur mehr 50 Prozent, und bei Ärzten sind es gar nur etwas mehr als 30 Prozent; von den Spezialisten sind somit 70 Prozent abgewandert, wobei ein Arzt hier nur etwa 70 Euro verdient. Ohne Ärzte kann es keine qualitative medizinische Versorgung geben. Somit verschlechtert sich hier das Lebensniveau und die Sterblichkeitsrate steigt."
In den Rebellengebieten der Ostukraine herrscht somit nicht nur Krieg, sondern eine massive soziale und wirtschaftliche Krise, und eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht.