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Der Ort Piski oder das Leben im Niemandsland des Krieges

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Berichte Ukraine
Drei Jahre dauert nun der Krieg in der Ostukraine schon, und ein Ende ist nicht in Sicht. Gekämpft und geschossen wird vor allem entlang der etwa 500 Kilometer langen Frontlinie. Mehr als 250 Verletzte und mehr als 50 Tote verzeichnete die OSZE-Beobachtermission seit Jahresbeginn, trotz aller Tragödien des Krieges ein Zeichen dafür, dass die Gefechte im Vergleich zum Jahre 2014 doch stark nachgelassen haben. Trotzdem bleibt die humanitäre Lage in den Kriegsgebieten schwierig, am schwierigsten ist sie in der sogenannten Pufferzone auf beiden Seiten der Front. Dort leben noch immer Tausende Menschen unter schwierigsten Bedingungen; einen dieser Orte auf der ukrainischen Seite der Front hat unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz besucht; hier sein Bericht:

Piski, russische Peski, ist ein Vorort der Rebellenhochburg Donezk in unmittelbarer Nähe des zerstörten Flughafens der Stadt. Piski liegt in der sogenannten Pufferzone, die Stellungen ukrainischer Truppen und prorussischer Rebellen sind nur 1000 Meter voneinander entfernt. Nach Piski hinein kommen wir quasi im Schlepptau von OSZE-Beobachtern und dank der Hilfsbereitschaft eines ukrainischen Kommandanten am Kontrollposten unter einer Autobahnbrücke. Die Kirche und andere Gebäude im Ortskern sind durch Beschuss ebenso schwer beschädigt wie viele andere Häuser. Vor dem Krieg lebten hier etwa 2.000 Bewohner, jetzt sind es noch 12 Personen, darunter eine alte Frau mit ihrem behinderten Sohn. Zunächst ist keine Menschenseele zu sehen; doch dann radelt ein dürrer Mann daher, und die Befragung durch die OSZE beginnt …

Juri Anatoljewitsch gibt bereitwillige Auskunft: Strom habe er aber nicht im ganzen Haus, für den Fernseher reiche es; Mobiltelefon habe er keines; Hühner habe ihm das Rote Kreuze gebracht, das ebenso mit Nahrungsmitteln helfe wie die Soldaten. Außerdem fische er im Teich. Der nächste Arzt sei 30 Kilometer entfernt; hinter dem Kontrollposten, zu dem er mit seinem Rad fahre, könnte er einen Kleinbus benutzen, die Fahrkarte koste etwa einen Euro.

Während die OSZE abzieht, folgen wir dem Mann zu seinem Haus, die Augen immer wieder auf den Boden gerichtet, denn es könnten noch Sprengmittel herumliegen, obwohl Juri Anatoljewitsch den Weg durch das verwilderte Gras täglich benutzt. Seine Nachbarin will nicht mit uns reden, doch er zeigt uns bereitwillig seine Hütte; ein Holzofen als Herd, daneben das Bett, im zweiten Zimmer der Fernseher, schlechte Bildqualität aber besser als nichts.

„Warum harrst Du in Piski aus“, frage ich:

"Hier lebe ich, hier bin ich zuhause, das ist mein Peski." "Meine Verwandten sind verstreut. Mein Onkel starb an Krebs in Pokrows. Ich wurde verständigt, doch ich konnte nicht hinfahren, womit denn?“

„Hast Du irgendein Einkommen?“

„Die Soldaten unter der Brücke lassen mich nicht durch; nicht mit Buntmetall und anderen Sachen, die es hier gibt; ich darf aus Peski nichts fortschaffen.“

Piski ist kein Einzelfall; daher zählt die Versorgung der Pufferzone zu den Schwerpunkten der Arbeit des IKRK, des Internationalen Roten Kreuzes in den Kriegsgebieten. Die Lage schildert in Lugansk der Leiter des IKRK Walter Gros:

"Wir liefern vor allem Nahrungsmittel und Toilettenartikel an fast 28.000 Personen, das sind etwa 14,000 Familien. Diese Personen sind ziemlich alt, Pensionisten, Erwachsene, Ehepaare oder Einzelperson. Das sind lokale Bevölkerung und Binnenflüchtlinge, die in 55 Dörfern in der Nähe der Frontlinie leben. Dort sind die Probleme am größten, vom Zugang zu Lebensmittelen bis hin zur Bedrohungslage durch Beschuss und Minen."

Trotzdem haben all diese Gebiete kaum eine Zukunft, denn junge Menschen werden in diese Dörfer nicht zurückkehren, selbst wenn der Krieg rasch endet sollte.
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