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Reportage aus der Stadt ohne Wasser an der Frontlinie

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Berichte Ukraine
Die Stadt Torezk liegt fast unmittelbar an der Frontlinie zum Kriegsgebiet in der Ostukraine; die von prorussischen Kräften gehaltene Nachbarstadt Gorlowka liegt nur vier Kilometer entfernt. Durch die Pufferzone zwischen beiden Städten verläuft die Trinkwasserversorgung für Torezk. Artilleriebeschuss zerstörte die Leitung und in der 70.000 Einwohner zählenden Stadt Torezk war tagelang nicht nur das Trinkwasser ein Problem. Gefährdend war auch die zentrale Heizung von Torezk, weil viele Bewohner Wasser aus den Heizkörpern ablassen, um es als Nutzwasser zu verwenden. Verteilt wird von der Stadtverwaltung ebenfalls nur Nutzwasser, das Bewohner sogar zum Kochen nutzen, weil es sich viele Pensionisten nicht leisten können, Wasser in Flaschen zu kaufen. Aus Torezk berichtet Christian Wehrschütz:  



Ein kleiner Park in der Stadt Torezk ist ein Platz, an dem Bewohner gratis Trinkwasser bekommen. Die Stimmung ist gereizt, auch deshalb weil hier kriegsbedingt nicht zum ersten Mal Wasser knapp ist. Verteilt wird das Wasser aber nicht von der Stadt, sondern von einer privaten Hilfsorganisation. Torezk habe aber den Vorteil, dass der Beschuss hier stark nachgelassen habe, erläutert der freiwillige Helfer Wolodimir Jeletz: :  



„Zwischen den Städten Torezk und Gorlowka gibt es noch Siedlungen; dort gibt es oft Treffer und Opfer; dort ist es noch schlimmer.“



Sehr schlimm ist die Lage für gebrechliche Menschen; daher macht Wolodimir auch Hauszustellungen. 24 Liter brachte er der 71-jährigen Sinaida Alexejewna. nach 44 Jahren Arbeit hat die kleine Frau eine Pension von 60 Euro; ohne Sozialtarife reiche das gerade für Heizung, Medikamente und zum Überleben, erzählt Sinaida Alexejewna



„Ich kaufe Brot, Sonnenblumenöl, Rüben, Kraut, Karotten; vor der Erhöhung der Betriebskosten konnte ich mir auch Hühnerfleisch leisten. Doch jetzt kaufe ich weder Fleisch noch Milch.“



An 20 Punkten verteilt die Stadt täglich Nutzwasser; jeder Vierte der 70.000 Einwohner ist Pensionist. Nicht nur viele von ihnen verwendet das Nutzwasser notgedrungen auch anders, wie schildert die 70-jährige Vera Pawlowna:



„Die Leute kochen auch mit diesem stinkenden Wasser. Zweimal wird es abgekocht; dann wird ein Verband als Filter genutzt und dann kochen wir. Das Wasser muss man sofort verwenden, sonst verdirbt es völlig.“



Ständig nachgefüllt werden die Kessel der Stadt, damit die Zentralheizung nicht ausfällt. Obwohl das Wasser zur Abschreckung grün gefärbt wird, lassen viele Bewohner Wasser aus den Heizkörpern ab; das kann die Zentralheizung gefährden, die im Februar des Vorjahres völlig zusammenbrach. Torezk ist eine ehemalige sowjetische Industriestadt, deren Krise der Krieg noch verschärft hat; aktiv sind noch drei Kohlegruben mit 3.200 Beschäftigten; 500 sollen nächstes Jahr ihre Arbeit verlieren; weil eine Grube geschlossen wird; die sozialen Folgen beschreibt Vizebürgermeister Jaroslaw Rudenko:



„In der Stadt haben wir nur 11.800 Beschäftigte, davon arbeitet mehr als jeder Vierte im Kohlebergbau. Noch schlimmer machte es der Krieg, weil die staatlichen Subventionen gekürzt wurden. Durch steigende Tarife etwa für Strom steigen die Produktionskosten. Pro Tonne sind das zwischen 90 und 105 Euro, verkauft wird sie um 50 Euro im besten Falle.“  



Durch den Krieg wurden 800 Gebäude beschädigt; nur mehr eine Ruine ist das ehemalige Rathaus. Repariert wurden vor allem Wohnungen. Geld für die Modernisierung der maroden Infrastruktur hat die Stadt keines. Die Hoffnungen der Ukraine ruhen daher auf Deutschland, das 80 Millionen Euro bereitgestellt hat, um die Wohnungsprobleme der Flüchtlinge zu lindern und die Infrastruktur in den Regionen in Frontnähe zu modernisieren. Weitere Mittel sollen aus einem internationalen Fonds kommen; doch solange Torezk in Frontnähe liegt und der Krieg nicht endet, wird die Lage auch in dieser Stadt wohl nicht besser werden.

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