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Die soziale Lage in Mariupol und die humanitäre Hilfe

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Berichte Ukraine


Das Ignorieren von Kriegen rächt sich – das haben die EU und auch Österreich am Beispiel des Bürgerkrieges in Syrien durch die Flüchtlingswelle des Vorjahres drastisch vor Augen geführt bekommen. Das Schicksal, von der Öffentlichkeit vergessen zu werden, droht auch einem Krieg vor unserer Haustür – dem Krieg in der Ostukraine, der seit fast drei Jahren tobt. Direkt betroffen sind dabei ein Territorium, das fast so groß ist wie Slowenien und etwa fünf Millionen Menschen. Das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der UNO, schätzte die Zahl der Binnenvertriebenen zu Beginn des Jahres 2016 auf etwa 800.000. Sie belastet noch zusätzlich die Infrastruktur frontnaher Städte, in denen Wohnungsmangel und Arbeitslosigkeit groß sind. Helfend in der Ukraine tätig ist die österreichische Caritas und zwar auch in der Hafenstadt Mariupol; sie zählt 470.000 Einwohner; zusätzlich sind noch 100.000 Flüchtlinge registriert, von denen tatsächlich 50.000 in der Stadt ständig leben. Von Armut betroffen und bedroht, sind aber nicht nur Binnenflüchtlinge aus den Kriegsgebieten, sondern auch viele Bewohner Mariupols, darunter vor allem Pensionisten:



Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Mariupol



Insert1: Vater Rosteslaw Sprinjuk Caritas Mariupol



Insert2: Viktoria, Binnenflüchtling aus Donezk



Insert3: Ludmila Tschetschera, Caritas Mariupol



Insert4: Stepan Schwarz, Vertreter der Caritas-Österreich in der Ukraine



Gesamtlänge: 3’28



Die Hafenstadt Mariupol gilt als wichtigster Vorposten der Ukraine im Kreis Donezk. Die Minenwarnung am Strand des Asowschen Meeres erinnert daran, dass die Front am Höhepunkt des Krieges an den Stadtrand heranreichte; nun ist sie etwa 20 Kilometer entfernt. Krieg und Krise haben die Abwanderung junger Menschen verstärkt; mehr als 30 Prozent der Bewohner sind nun Pensionisten. Ihnen hilft die Caritas Mariupol durch eine Volksküche, die täglich 170 Personen verköstigt, darunter viele Flüchtlinge. Zwei Monate darf eine Person hier gratis essen; durch die zeitliche Befristung soll mehr Menschen geholfen werden, denn der Bedarf an Volksküchen wäre zehn Mal so groß. Viele Pensionisten müssen mit 40 Euro im Monat auskommen und auch viele Binnenflüchtlinge sind arm:  



"Die Menschen stehen vor der Wahl: Kaufen sie Nahrung, kaufen sie Medikamente, kaufen sie sich Kleidung oder bezahlen sie Betriebskosten für die Wohnung. Wenn ich Nahrung kaufe, kann ich mir Medikamente oder Betriebskosten nicht leisten. Wir geben den Menschen daher zu essen, damit sie dann um dieses Geld Medikamente, warme Kleidung oder Betriebskosten bezahlen können."



Eine weitere Anlaufstelle ist die Zentrale der Caritas; sie überweist Bedürftigen etwa 22 Euro im Monat auf deren Konto. Zur Kontrolle müssen die Einkaufszettel vorgelegt werden, denn der Kauf von Alkohol und Zigaretten ist verboten. Die 23-jährige Viktoria floh im August 2014 aus Donezk, weil sie ukrainische Patriotin ist. Viktoria ist schwanger, arbeitet als Kellnerin und verdient umgerechnet etwa 70 Euro; nach Abzug aller Fixkosten bleiben ihr etwa 20 Euro. Unterstützt wird sich noch von ihren Eltern, die in Donezk blieben. Und was kauft Viktoria mit dem Geld der Caritas?



"Damit kaufe ich Waschmittel, Seife, Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch."



20 Prozent der Klienten der Caritas stammen aus Mariupol; 80 Prozent sind Flüchtlinge; für sie bilden Wohnung und Arbeit die größten Probleme. Oft fehlt es aber auch an Dingen, die für Österreicher wohl selbstverständlich sind:



"Viele Menschen fragen uns, ob wir als Caritas Mariupol mit den Haushaltsgeräten helfen können. Aber es ist unmöglich. Zum Beispiel: nehmen wir Waschmaschinen; es ist auch ein großes Problem. Es gibt sehr große Familien, Flüchtlinge oder Mariupoler, die ohne Waschmaschinen leben, und die sehr viele Kinder haben."



Noch schwieriger als in Mariupol ist die Lage in der Pufferzone zwischen den Fronten. Viele Gebäude wie Schulen und Kindergärten sind nach wie vor zerstört. Blindgänger behindern die Landwirtschaft. Strom- und Gasleitungen werden durch Beschuss immer wieder beschädigt. Geblieben oder zurückgekehrt sind vorwiegend ältere Menschen:



"Wir hoffen auf eine Lösung des Konfliktes, aber als humanitäre Hilfsorganisation müssen wir uns damit abfinden, dass wir hier vielleicht für mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in der Gegend hier tätig sein werden müssen."



Die Aussichten sind somit düster, denn Friede ist im Donez-Becken nicht in Sicht.
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