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Elektronische Einsichten in das Vermögen der Nomenklatura

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Berichte Ukraine
In der Ukraine mussten Spitzenpolitiker und Spitzenbeamte bis Ende Oktober ihre Vermögenserklärung in einem elektronischen Register veröffentlichen, in das jeder Bürger Einsicht nehmen kann. Die Ukrainer staunten nicht schlecht, als sie ihre schlimmsten Vorurteile gegenüber der herrschenden Nomenklatura bestätigt sahen. So verfügt der reichste Parlamentsabgeordnete über ein Vermögen von 17 Millionen Euro – die Top-10 kommen auf mehr als 100 Millionen, obwohl der Monatslohn eines Abgeordneten nur umgerechnet 620 Euro beträgt. Ministerpräsident Groisman und seine Frau haben 12 teure Armbanduhren, die pro Stück bis zu 50.000 Euro kosten können. Staatspräsident Petro Poroschenko hat mehr als 100 Firmen über die Welt verstreut, teure Bilder und Schmuck. Doch dieser nun transparent gemachte Reichtum bestätigt nicht nur Vorurteile über die Ukraine, sondern zeigt viel mehr, dass der Kampf gegen die Korruption offensichtlich geführt wird, weil nun ein massiver Druck der Zivilgesellschaft möglich wird, Korruption auch tatsächlich zu bekämpfen. Aus Kiew berichtet unser Korrespondent Christian Wehrschütz:



50.000 Personen, vom Staatspräsidenten über Regierungsmitglieder und Abgeordnete bis hin zu Richtern und anderen Spitzenbeamten sowie deren Ehepartner und nahe Verwandten mussten ihre Vermögensverhältnisse in der Ukraine in elektronischer Form offenlegen. Somit liegen nun 125.000 derartige Erklärungen für jeden Ukrainer einsehbar vor. Ein guter Teil der Elite versuchte diese Transparenz zu verhindern, doch der Druck von EU, USA und der Zivilgesellschaft waren zu stark. Dazu zählte auch die Nicht-Regierungsorganisation Transparency International. Ihr ukrainischer Vorsitzender, Jaroslaw Jurtschischin, sieht in diesen Erklärungen einen wichtigen Schritt im Kampf gegen die Korruption aber auch für ein besseres Image von Amtsträgern:



"Bisher haben wir alle unsere Beamten für korrupt gehalten. Doch jetzt sehen wir, dass es auch ehrbare Beamte gibt, die ihre Einkommen erklären können und nicht sehr reich leben. Doch es gibt Amtsträger, die das nicht erklären können. Sie müssen mit strafrechtlicher Verantwortung rechnen. Bisher gab es praktisch keine Möglichkeit, jemanden wegen Bereicherung zur Verantwortung zu ziehen, weil die gesetzliche Regelung so formuliert war, dass das irreal war. Doch jetzt schafft die elektronische Vermögenserklärung diese Möglichkeit durch klare Angaben."



Diese Erklärungen gilt es nun zu überprüfen; zuständig dafür ist die Agentur für den Kampf gegen die Korruption, deren technische Infrastruktur aber noch nicht voll einsatzfähig ist. Die Herausforderung beschreibt Jaroslaw Jurtschischin so:



"Für die Kontrolle waren drei Ebenen vorgesehen; zwei sollten dazu dienen, die Angaben computergestützt automatisch zu überprüfen, doch diese beiden sind noch nicht einsatzbereit. Daher überprüfen derzeit 50 Mitarbeiter der Agentur, ob die Angaben den Lebensumständen des Betreffenden entsprechen. Sie müssten an sich 125.000 Erklärungen überprüfen. Dazu gibt es aber eine Vernetzung diverser Register vom Eigentum über das Auto bis hin zur Aufhebung des Bankgeheimnisses. Diese Überprüfung findet nun stichprobenartig von oben nach unten statt. Wenn Korruption aufgedeckt wird, sind dann die Gerichte am Zug."



Und hier steht die Korruptionsbekämpfung in der Ukraine bereits vor ihrem nächsten großen Problem, weil gerade die Justiz zu den Bereichen zählt, die als besonders korrupt gelten. Dazu sagt der ukrainische Vertreter von Transparancy International:



"Wir haben die Vermögensangaben unserer Richter analysiert; da gibt es viele Fragen zu ihrem Lebensstil. Sehr viele Richter sind ledig, obwohl wir wissen, dass sie eine Partnerin haben. Hinzu kommen Freunde und Berater, die erfolgreiche Geschäftsleute sind. So verdienen etwa diese Frauen enorm viel Geld, in dem sie ihren Mann, den Richter, nützen, der formal nicht ihr Mann ist. Doch kann dann ein derartiger Richter angemessene Urteile bei Top-Fällen von Korruption fällen? Wohl kaum, wie unsere Analyse erstinstanzlicher Urteile zeigt. Nur in jedem fünften Korruptionsfall gab es ein Urteil gegen den Angeklagten. Daher haben wir gemeinsam mit EU und USA einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, um einen speziellen Gerichtshof für Korruption zu schaffen."



Jaroslaw Jurtschischin hofft, dass dieses Sondergericht bis Ende nächsten Jahres die ersten Urteile in spektakulären Korruptionsfällen wird fällen können. Wichtig sei bei der Aufdeckung auch die Zivilgesellschaft, weil jeder Bürger nun vergleichen könne, ob angegebene Vermögensverhältnisse dem Lebensstil etwa eins Lokalpolitikers entsprechen. Doch wie ist der Fall von Petro Poroschenko zu bewerten? Ein Staatspräsident darf kein anderes Amt ausüben, doch Poroschenko hat mehr als 100 Firmen angegeben? Dazu sagt Jaroslaw Jurtschischin:



"Früher brauchten wir eine Revolution wie am Majdan, um zu erfahren, was ein Staatspräsident so alles hat. Das war im Fall von Viktor Janukowitsch so. Doch jetzt hat Petro Poroschenko alle seine Aktiva elektronisch zur Einsicht freigeegeben und auch einer Verwaltung aber nicht seiner Familie übertragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Poroschenkos Amtsvorgänger getan hätten. Wir wussten von Beginn an, dass er ein Milliardär ist. Für mich ist daher entscheidend, dass er diese Erklärung veröffentlicht hat, obwohl viele Personen auch in seiner engsten Umgebung, wirklich dagegen waren, ihre Vermögen offenlegen zu müssen. Das tat auch seine Familie; somit handelte er viel rechtmäßiger als ein Teil der Politiker, die sich als arme Kirchenmäuse darstellten, die nichts besitzen."
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