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Reportage aus Donezk

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Berichte Ukraine
Seit Anfang September hält der Waffenstillstand in der Ukraine weitgehend. Fortschritte macht auch der Abzug leichterer Waffen von der Frontlinie. Positiv zu bewerten ist auch, dass die prorussischen Rebellen auf die Durchführung eigener Lokalwahlen vorläufig verzichtet haben, weil das wohl das Ende der Friedensgespräche in Minsk bedeutet hätte. Denn zum Friedensplan zählen auch Lokalwahlen unter ukrainischer Gesetzgebung in den sogenannten Volksrepubliken von Donezk und Lugansk. Während man von einer politischen Einigung noch weit entfernt ist, vertiefen sich im tagtäglichen Leben die Gräben, die der Krieg gerissen hat. Andererseits normalisiert sich durch die anhaltende Feuerpause auch das Leben in Donezk, allerdings auf einem schlechteren Niveau als vor dem Krieg. Aus Donezk berichtet unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Das Nachtleben in Donezk ist ein gutes Abbild des Zustandes der Stadt. Vor Krise und Krieg, die vor fast zwei Jahren begannen, war es sehr intensiv, von der Diskothek über Restaurants bis hin zu Vergnügungsparks. Da der Waffenstillstand seit Anfang September nun weitgehend hält, haben wieder mehr Lokale geöffnet. Anfang Oktober öffnete auch ein Bowling-Center wieder seine Pforten. Am Wochenende sind die meisten Bahnen ausgelastet und das dazugehörende Restaurant ist gut besucht. Das Bowling-Center liegt im obersten Stockwerk eines Einkaufszentrums, in dem gähnende Leere herrscht. Alle Geschäfte, die keine Waren des täglichen Bedarfs anbieten, sind geschlossen. Das Einkaufszentrum ist ein Symbol für eine Stadt, die wieder nach einem normaleren Leben strebt, aus der aber die kaufkräftigeren Schichten geflohen sind. Vor dem Krieg zählte Donezk fast eine Million Einwohner; wie viele es nun sind, ist unklar. Klar sichtbar ist die fortschreitende Russifizierung; sie ist vor allem eine Folge der ukrainischen Finanz- und Wirtschaftsblockade. Immer stärker dominieren russische Produkte, von der Milch bis zum Mineralwasser. Am Markt im Bezirk Kalininski verkauft Alexandra seit mehr als 20 Jahren Schuhbänder, Zwirn, Jacken und Spielzeug:

„Vor dem Krieg habe ich die Waren aus der Stadt Charkiw hergeführt; jetzt von dort, wo es möglich ist, hauptsächlich aus Russland. Restbestände habe ich auch noch aus Charkiw.“

Alle Preise sind nur mehr in russischen Rubel angeschrieben; dazu sagt die Marktfrau Lena:

„Bezahlt wird praktisch nur Rubel; ukrainische Griwna sind gar nicht mehr im Umlauf.“

Lena verkauft Frischfleisch; ein Kilo Rindfleisch kostet umgerechnet fünf Euro, Schweinefleisch ist etwas billiger. Und woher stammt das Fleisch? Dazu sagt Lena:

„Es wird aus der Ukraine, aus der Umgebung, eingeführt.“

Auf Deutsch: die Wirtschaftsblockade wir umgangen; dazu gehört Bestechung an den ukrainischen Kontrollposten auf dem Weg nach Donezk; der zweite Weg führt über die ukrainisch-russische Grenze bei Charkiw. Nach der Ausfuhr werden die Waren dann über jene Grenzübergänge wieder eingeführt, die in der Hand der prorussischen Rebellen sind. Sie verhandeln in Minsk weiter unter Vermittlung der OSZE mit der ukrainischen Führung über eine dauerhafte Friedenslösung. Mit einem raschen Ergebnis rechnet Kiew offensichtlich nicht. Denn die beiden Übergänge vom Rebellengebiet in Donezk auf ukrainisches Territorium werden immer mehr zu Grenzen – mit umfassenden Kontrollen bei der Ein- und Ausreise. Das zeigt, dass Kiew offensichtlich von einem eingefrorenen Konflikt in der Ostukraine ausgeht; sprich der Waffenstillstand hält, Russland finanziert die Rebellen-Gebiete weiter, deren Reintegration in den ukrainischen Staat in weiter Ferne liegt.

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