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Interview mit dem Bürgermeister von Lugansk

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Lugansk ist die östlichste Kreishauptstadt der Ukraine; nur 70 Kilometer liegt sich von der russischen Grenze entfernt. Vor einem Jahr, am Höhepunkt der der ukrainischen Offensive gegen prorussische Rebellen, glich Lugansk einer Geisterstadt; fast zwei Drittel der 440.000 Bewohner waren geflohen. Nach der ukrainischen Niederlage im September begannen Rückkehr und Wiederaufbau, vor allem mit Hilfe aus Russland, und die Zahl der Bewohner wird nun wieder auf etwa 400.000 geschätzt. Sie stehen vor großen Problemen, von stark gestiegenen Preisen bis hin zur Wasserversorgung. Unser Korrespondent Christian Wehrschütz war während der Belagerung in Lugansk; nun hat er die Stadt wieder besucht, und auch mit deren Bürgermeister gesprochen; hier sein Bericht:

Am Tag macht das Zentrum von Lugansk fast einen völlig normalen Eindruck. Im Park beim Hauptplatz versuchen sogar Souvenirhändler wieder ihr Glück, natürlich ohne viel Erfolg. Zwar ist die Front- und Waffenstillstandslinie mehr als zehn Kilometer entfernt und Lugansk wird nicht mehr beschossen, doch die ukrainische Wirtschaftsblockade zeigt sich in jedem Geschäft. Einerseits sind die Preise um 30 bis 60 Prozent gestiegen, andererseits stammt die Masse der Lebensmittel aus Weißrussland und Russland; der Rubel ist das dominante Zahlungsmittel, bei der Bezahlung mit ukrainischem Griwna gibt es bereits Probleme mit kleinem Wechselgeld. Russlands Einfluss erfasst praktisch alle Lebensbereiche; Beispiele nennt der Bürgermeister von Lugansk, Manolis Pilawow:

„In Lugansk gibt es ein Unternehmen, das Prothesen erzeugt und früher für die ganze Ukraine produzierte. Seit einer Woche arbeitet die Firma wieder, weil sie Rohstoffe nun aus Russland bekommt. Generell hilft uns Russland sehr mit Baumaterial, Treibstoff und Lebensmitteln. Ohne diese russische humanitäre Hilfe hätten wir sehr ernste Probleme. So kam die Versorgung der Schulen im Vorjahr völlig aus Russland; gleiches gilt für die Kindergärten. Auch bestimmte soziale Gruppen bekommen Hilfe durch Russland; 10.000 Hilfspakte werden im Monat verteilt.“  

Deutlich Fortschritte gemacht hat der Wiederaufbau; zugute kam der Stadt dabei, dass der Zerstörungsgrad von Lugansk weit geringer war, als beim Zerfallskrieg im ehemaligen Jugoslawien. Dazu sagt Bürgermeister Pilawow:

„Während der Kampfhandlungen wurden 8200 Häuser beschädigt oder zerstört. Gelitten haben vor allem private Wohnhäuser; von 90.000 wurden 7.800 beschädigt oder zerstört. Das ist zwar kein hoher Prozentsatz, doch wenn man durchschnittlich je drei Bewohner rechnet, dann blieben 24.000 ohne Heim. Zuerst haben wir mit dem Wiederaufbau von Krankenhäusern begonnen; alle sind jetzt wieder in Betrieb; danach kamen die Kindergärten an die Reihe. Auch die sieben Schulen, die völlig zerstört wurden, wollen wir bis Jahresende wieder aufbauen.“

Insgesamt gibt es in Lugansk 63 Schulen; einige von ihnen werden im kommenden Schuljahr sogar geschlossen, weil die Zahl der Kinder durch Abwanderung von 33000 vor dem Krieg um ein Drittel gesunken ist. Verschärft hat der Krieg die ungünstige Bevölkerungsstruktur der Stadt, betont Manolis Pilawow:

„Bis zum Krieg kamen auf jeden arbeitenden Bewohner zwei Pensionisten; jetzt ist dieses Verhältnis sogar noch schlechter geworden. Denn vor dem Krieg hatten wir etwa 130.000 Beschäftigte, so haben wir jetzt nur 65.000, sprich die Zahl hat sich halbiert. Das hat damit zu tun, dass nicht alle Unternehmen wieder arbeiten, und gleichzeitig auch viele Firmen nicht im vollen Umfang wieder tätig sind.“

Das größte Problem der Stadt ist die Trinkwasserversorgung; sie erschweren Kriegsschäden sowie die ukrainische Blockade. Bürgermeister Manolis Pilawow:

„Lugansk bezog sein Wasser bis zum Krieg zu 70 Prozent aus Quellen außerhalb der Stadt, die sich heute auf ukrainischer Seite befinden. Zu Jahresbeginn ist es uns gelungen, unsere eignen Grundwasser-Quellen zu aktivieren, die uns nun etwa 100.000 Kubikmeter liefern. Doch im Sommer verbraucht die Stadt 150.000 Kubikmeter Wasser pro Tag. Zwei Drittel davon deckten wir selbst, und etwa 20.000 Kubikmeter bekamen wir aus dem Petrowski-Reservoir, das die ukrainische Seite nun wieder gesperrt hat. Somit hängen wir von unseren eigenen Quellen ab und einige Bezirke sind völlig ohne Wasser. Dorthin müssen wir Wasser mit Tankwägen liefern.“

Doch es fehlt an Tankwägen und Treibstoff; durch den Wassermangel leiden viele Kleingärten, die vor allem armen Bewohnern wichtige Nahrungsmittel gerade für den Winter liefern. Die soziale Lage in Lugansk wird somit weiter angespannt bleiben, sollte mit Kiew keine dauerhafte Friedenslösung gefunden werden.

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