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Interview mit der ukrainischen Finanzministerin Natalia Jaresko

Fernsehen
ORF III
Berichte Ukraine
Die Ukraine ist nach Griechenland das zweite große wirtschaftliche Sorgenkind Europas. Zwar ist der Finanzbedarf viel, viel geringer, doch das Vertrauen der EU in den kompromisslosen Reformwillen der Regierung in Kiew ist beschränkt. Das gilt nicht für Finanzministerin Natalja Jaresko, eine der beiden Ministerinnen im Kabinett. Als Kind ukrainischer Eltern in den USA geboren, hat die 50-jährige nicht nur den Finanzsektor zu reformieren, sondern leitet in Washington auch die Umschuldungsverhandlungen mit den internationalen Gläubigern. Ziel der Ukraine ist ein Schuldenschnitt:  

"Wir hatten sehr erfolgreiche technische Gespräche zwischen dem IWF, der ukrainischen Regierung, unseren Beratern, den Gläubigern und deren Beratern. Ich denke, dass war vielleicht der Beginn eines beschleunigten Prozesses, der mich daran glauben lässt, dass wir eine Vereinbarung erreichen werden, und zwar früher als später. Ich bin sehr hoffnungsvoll, doch ich kann das Ausmaß des Schuldenschnitts hier nicht erörtern, doch was ich sagen kann ist folgendes: wir alle verstehen nun die Ziele unserer Umstrukturierung; eines besteht darin den Druck auf unsere Zahlungsbilanz in den kommenden vier Jahren zu senken; dabei geht es um 15,3 Milliarden USD weniger Zahlungen zwischen nun und 2019. Zweitens soll unsere Schulden gemessen am BIP bis 202o unter 71 Prozent sinken. Und drittens soll unser Finanzbedarf ab 2020 durchschnittlich nicht mehr als 10 Prozent des BIP betragen. Im Rahmen dieser drei Ziele arbeiten wir mit den Gläubigern zusammen, in einer hoffentlich sehr proaktiven Weise, jetzt, da wir gerade diese Woche eine Vereinbarung über Vertraulichkeit unterzeichnet haben. Jetzt können wir mit offenen Diskussionen weitermachen, über verschiedene Optionen und wie diese drei Ziele zu erreichen sind."

When do you think, a final result of the negotiations will be possible?

"Die erste Diskussion findet kommende Woche statt, daher ist es schwer zu sagen, wann ein Endergebnis vorliegen wird. Eine Vertraulichkeitsvereinbarung ist der erste Schritt, um die Gläubiger, nicht die Berater, mit Informationen zu versorgen, die nicht öffentlich sind. Das brauchen wir, um offen darüber zu diskutieren, was unsere Erwartungen und Prognosen sind; gleichzeitig verlangt eine derartige Vereinbarung von den Gläubigern, eine bestimmte Zeit auf den Handel mit den Schuldscheinen zu verzichten. Somit war das ein sehr wichtiger Schritt, weil er zeigt, dass es auf beiden Seiten wirklich den Wunsch gibt, in wirkliche Verhandlungen einzutreten, nicht mehr auf der Ebene von Berater zu Berater, sondern von Regierung zu Gläubiger."

How likely is a default and what would this mean for the stability of the Ukrainian financial sector?

"Ich kann nicht sagen, wie wahrscheinlich eine Zahlungseinstellung ist; das ist ein Instrument, das ein Mittel ist, das uns das ukrainische Parlament gegeben hat. Aber unser Ziel war immer, mit diesen gemeinsamen Verhandlungen fortzufahren. Ich würde sagen, jetzt, wo wir eine Verhandlungsrunde zwischen Gläubigern und Regierung für kommende Woche vereinbart haben, und seit dem wir diese Vertraulichkeitsvereinbarung haben, haben wir viel größere Hoffnungen und Möglichkeiten, eine Vereinbarung in einem vernünftigen Zeitraum zu erreichen."

There are striking differences between Greece and Ukraine as Ukraine is neither a member of EU or Euro-zone. But still there are fears in Austria, that Ukraine can become the “next Greece”. How do you comment on that?

"Offen gesagt gibt es keinen Vergleich mit Griechenland und viele Gründe, warum die Lage weitgehend anders ist. Das beginnt damit, dass das Problem mit den ukrainischen Schulden entstanden ist, nicht wegen unserer innenpolitischen Probleme und unserem heimischen Mangel an Reformen in den vergangenen 23 Jahren entstanden ist, sondern primer durch einen Faktor von außen: das sind die illegale Annexion der Krim und der Angriff auf die Ostukraine, die 20 Prozent unserer Wirtschaft abgeschnitten haben.

Zweitens ist auch die Perspektive völlig anders, was die nötigen Reformen betrifft, um Griechenland und die Ukraine zu einer gesunden Wirtschaft zurückzubringen. Unsere Regierung arbeitet sehr eng mit dem IWF und der Weltbank zusammen. Wir haben Reformen in Angriff genommen, wir haben unser eigenes Programm, und wir führen die Änderungen der Strukturen durch, um in einer vernünftigen Zeitspanne wirtschaftlich gesunden zu können. Ich glaube, dass ist derzeit nicht der Fall in Griechenland, wo derzeit derartige Reformen aber auch die Zusammenarbeit mit IWF und Weltbank abgelehnt werden. Drittens ist auch das Ausmaß der Schulden völlig unterschiedlich. Das Verhältnis zwischen Schulden und BiP ist viel schlechter in Griechenland als bei uns. Außerdem hat Griechenland viel mehr Unterstützung erhalten als die Ukraine. Griechenland hat ein Viertel unserer Bevölkerung aber bisher fast 250 Milliarden Euro erhalten; dagegen bestand die Finanzhilfe für die Ukraine aus 25 Milliarden USD. Somit ist auch der Umfang der Finanzhilfe für die Ukraine sehr unterschiedlich.

Ukraine has put Austria on a list of tax-havens? Obviously wrong data have been used concerning Austrian tax-system? How could this happen and what is currently done to erase Austria from that list?

"Österreich stand nicht auf einer Liste für Steueroasen; das gab es offensichtlich auch ein Missverständnis bei der österreichischen Geschäftswelt. Wir hatten die Aufgabe, unsere Gesetzgebung zu verbessern, was die Verrechnungspreise in international tätigen Unternehmen betrifft. Dabei haben wir mit der Weltbank und dem IWF zusammengearbeitet, um drei Kriterien für Länder festzulegen, bei denen Import- und Exportverträge genauer kontrolliert werden sollten. Das hat nichts mit Steueroasen zu tun. Ein Kriterium war der Körperschaftssteuersatz, das zweite betraf den Zugang zu Informationen über die Eigentümerstruktur, und drittens ging es um den Informationsaustausch zwischen Österreich und der Ukraine. Wir haben einige öffentliche Datenbanken genutzt, in die Österreich seine eigenen Daten stellt, um festzulegen, ob diese Kriterien zutreffen. Seit damals hat uns die österreichische Regierung mit neuen Informationen versorgt, die die Frage der Kriterien geklärt hat. Am Mittwoch hat daher die Regierung zugestimmt, Österreich von dieser Liste zu streichen, und zwar auf der Basis sehr objektiver Informationen, die wir von der österreichischen Regierung erhalten haben."  

And when Austrial will be removed?

"Die Entscheidung muss nur mehr veröffentlicht werden."

At least one current Ukrainian Oligarch today is living in Austria and some former high-ranking members of the Yanukovich-regime have had or to still have property and business-interests in Austria. How to you assess the cooperation with Austrian authorities and are there really chances that financial means will come back to Ukraine, which were transferred abroad during the last years?

"Alle Untersuchungen, die wir auch mit Österreich durchführen, erfordern viel Zeit und enorme juristische Leistungen. Jeder in der Ukraine hätte natürlich gerne, dass es schneller geht, doch das ist eine komplizierte Sache und dauert oft bis zu acht Jahre. Ich bin hoffungsvoll, dass wir mit Beweisen, mit Anstrengungen von allen unseren Partnern, inklusive Österreich und die ukrainische Regierung, dass wir in die Lage kommen werden, Geld zu beschlagnahmen und in die Ukraine zurückzubringen."

Fighting corruption is one of the big challenges for Ukraine. Tax-administration is widely seen as one of the most corrupt institutions? Which plan do you have for reforming and modernizing tax-administration?

"Die Modernisierung ist entscheidend, um die Korruption zu beseitigen. Beim Zoll müssen wir mehr und mehr zu computer-unterstützten Systemen übergeben, zu objektiven IT-Systemen, um die Geschäftsbereiche zu identifizieren, die ein Risiko in sich tragen und welche nicht. Weniger subjektive, eine geringerer menschlicher Faktor an der Grenze, welche LKWs kontrolliert werden und welche nicht. Ein derartiges Risiko-Bewertungs-system hat in Georgien ausgezeichnet funktioniert, doch diese Technologie müssen wir kaufen und dann beim Zoll anwenden.

Bei der Reform unseres Steuersystems bauen wir erheblich Personal ab, doch die, die bleiben, sollen besser bezahlt werden. Außerdem konzentrieren wir uns auf große Steuerzahler und nicht auf kleine, die nicht relevant für das Budget sind. Die Konzentration auf große Steuerzahler wird hoffentlich auch den Druck von kleinen Firmen nehmen. Darüber hinaus geht es aber um die Steuerpolitik. Sie muss klar und konsequent sein und darf keine Ausnahmen für einzelne Geschäfte oder Industriezweige enthalten. Dabei geht es auch um eine Entbürokratisierung, um den Zeitaufwand zu verringern, den man braucht, um seine Steuern zu bezahlen. Dazu zählt die elektronische Abgabe von Steuererklärungen. Alle das zählt zur Korruptionsbekämpfung. Sehr stolz sind wir auf unser elektronisches Mehrwertsteuersystem. Wir glauben, dass wir dadurch die Steuerhinterziehung um eine Milliarde USD pro Jahr bei der Mehrwertsteuer gesenkt haben. Vieles passiert somit, und viel muss noch modernisiert werden; dazu zählen der Personalabbau und gleichzeitig höhere Gehälter für die verbleibenden Mitarbeiter, damit sie von dem Gehalt auch leben können."

Ukraine has the plan of a part-time “privatization” of custom-control at one border-crossing-point? Where, when and how you want to implement this pilot-project?

"Ich halte das für eine sehr gute Idee, aber nicht nur an einem Grenzübergang, sondern vielleicht an einem gesamten Grenzabschnitt. Das ist kein privatisierter Zoll, sondern es geht darum, eine Firma zu beauftragen, die das bereits in anderen Ländern gemacht haben, um das als Beispiel dafür zu nutzen, um mit einer dritten Partei schnell die Korruption zu beseitigen und die Einnahmen in einem bestimmten Abschnitt zu erhöhen. Das heißt nicht, dass wir das im gesamten Land anwenden, doch damit können wir rasch unsere Lehren daraus ziehen, um in anderen Grenzabschnitten, wo wir selbst kontrollieren, die Einnahmen zu erhöhen."

And when do you want to start with this?

"Wir sind m Frühstadium von Verhandlungen."

How many people in Ukraine to currently pay taxes at all?    

"Das ist eine gute Frage, doch ich weiß die Antwort darauf nicht."

The most well-known expert on shadow-economy Prof. Friedrich Schneider has estimated the shadow-economy in Ukraine by 44,5 percent of the GDP. Which strategy do you have to fight the informal sector and to stimulate entrepreneurs to return to the real sector?  

Das ist absolut entscheidend; dazu zählen auch die Körperschaftssteuern, über die wir gesprochen haben. Sie wurden jahrlange genutzt, um Geschäfte in der Schattenwirtschaft zu halten. Gewinne wurden ins Ausland transferiert, in Länder mit niedrigeren Steuersätzen, anstatt dass die angemessenen Steuern hier bezahlt wurden. Bei der Lohnsteuer haben wir bereits jenen einen Nachlass angeboten, die bereit sind, die Mitarbeiter legal zu beschäftigen. Leider ist die Lohnsteuer hier sehr hoch, 41 Prozent, und daher werden Löhne oft im Umschlag bar bezahlt als auf Gehaltskonten überwiesen. Das ist die Schattenwirtschaft. Seit heute haben wir einen Steuersatz von 17 statt von 41 Prozent, um die Firmen zu ermutigen, ihre Mitarbeiter legal zu bezahlen. Denn dann wird auch dieses legale Gehalt die Basis für deren spätere Pensionen sein. Ohne das ist heute auch die Bemessungsgrundlage für die Pensionen zu niedrig. Somit geht es nicht nur um Steuereinnahmen, sondern auch darum, dass jemand später eine vernünftige Pension bekommt.

Hinzu kommt eben dieses elektronische Mehrwertsteuersystem, mit dem wir diesen Teil der Schattenwirtschaft liquidieren. Natürlich geht das nicht alles über Nacht. Denn wir müssen auch die Steuerkultur ändern. Ich weiß zwar nicht, wie viele Personen Steuern bezahlen, doch ich kann Ihnen sagen, dass die grundlegende Idee, Steuern zu bezahlen, hier noch immer nicht völlig akzeptiert ist. Das ist ein Erbe der Sowjetunion als es keine sichtbaren direkten oder indirekten Steuern gab. Hier müssen wir Glaubwürdigkeit aufbauen, dass Steuern fair und gerecht sind, und dass wir Steuern nicht nur von einzelnen Personen, sondern auch vom Big-Business einheben, die bisher Steuern vermeiden konnten. Außerdem müssen wir die Steuern weise verwenden, denn niemand will, dass Steuern verwendet werden, um Medjehirija, die Residenz von Janukowitsch zu bauen, um ein Beispiel zu geben. All das ist wichtig, damit die Menschen freiwilliger Steuern bezahlen."

How big is the financial burden of war for Ukraine and do you think, that Ukrainian economy can recover without ending the war in the East?

"Ja, ich glaube, dass wir uns erholen können und auch erholen werden. Doch ich hoffe auch, dass der Krieg endet, dass die Vereinbarung von Minsk mit der Zeit voll umgesetzt wird. Denn die größten Kosten des Krieges sind nicht Dollar, Cents, oder Griwna, sondern Menschenleben. Und weitere Opfer müssen wir stoppen."

The most important single trading-partner was the Russian Federation. The bilateral volume of trade has declined by 60 percent during last year? Having in mind the narrow quota-regime of EU for agricultural products and the relatively low competitiveness of Ukrainian industry – where Ukraine can find in the short term new markets?

"Entscheiden ist, dass wir unseren Handel diversifizieren. Das Handelsvolumen, das wir mit Russland hatten, wird nie wieder dasselbe sein. Erstens betraf der größte Bereich den Gasimport. Die Ukraine hat ihre Gasversorgung diversifiziert, und wir werden niemals wieder nur einen einzigen Lieferanten haben. Zweitens verbrauchen wir weniger Gas, und zwar durch die Reform des Energiesektors und durch eine schrittweise Anpassung unserer Preise an eine Kostendeckung. Außerdem steigt die Energieeffizienz. Somit werden wir nie wieder so viel Gas überhaupt importieren, weil wir weniger verbrauchen. Der zweite Bereich betrifft jene Produktionsstandorte im Kriegsgebiet im Osten, die völlig zerstört wurden und vielleicht niemals wieder aufgebaut werden. Viele handelten mit Russland. Der dritte Bereich betrifft Militärtechnik und Dual-Use-Güter, die wir während des Krieges ebenfalls nicht mehr verkaufen, weil auch der Rest der Welt Sanktionen verhängt hat, und so auch wir. Hinzu kommt, dass mit dem völligen In-Kraft-Treten des Freihandelsabkommens mit der EU am 1. Jänner 2016 wir eine enorme Möglichkeit erhalten, unseren Handel mit Europa zu vergrößern. Bereits im vergangenen Jahr hat dieser Handel ziemlich zugenommen und weitegehend das gleiche Volumen erreicht wie mit Russland. Doch es geht nicht nur um Europa, sondern auch darum, die Umsetzung des Freihandelsabkommens zu nutzen, um auf der Grundlage dieser allgemein akzeptierten Regeln unseren Handel auch auf den Nahen Osten, Nordafrika und Asien auszweiten."

If you have to convince a foreign investor or also an Ukrainian investor, to invest now in Ukraine, which arguments you would use or you are using?

"Ersten würde ich sagen, dass die Ukraine immer eine wettbewerbsfähige Wirtschaft war, und dies jetzt umso mehr ist. So hat die Abwertung, trotz viele Probleme, positive Folgen für Exporteure. In Verbindung mit der geographischen Lage der Ukraine und mit dem Freihandelsabkommen, macht die Ukraine zum besten Ort, um Güter zu produzieren und in die EU zu exportieren. Darüber hinaus haben wir Wettbewerbsvorteile etwa durch gut ausgebildete Arbeitskräfte, so dass ich sagen würde, jetzt ist die beste Zeit, sich die Ukraine neu anzuschauen. Vergessen Sie nicht, dass nur sieben Prozent des Territoriums entweder illegal annektiert wurde oder im Krieg steht; 93 Prozent des Staatsgebiets, ist offen für Geschäftsbeziehungen und auch sehr daran interessiert."

When do you think Ukraine will see light at the end of the tunnel? When economy will start to recover?

"Ich hoffe, dass wir im Jahre 2016 ein reales Wirtschaftswachstum haben werden, und dass damit auch die Investitionen zunehmen, und zwar zunächst heimische, und dann ausländische Investitionen. Sie werden dann Arbeitsplätze schaffen, damit dann dieser Kreislauf beginnt, mehr Arbeitsplätze, mehr Einnahmen, wachsende Kaufkraft und Gehälter, und zwar sicherlich in den kommenden zwei, drei Jahren."

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