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Vom Bahnkonotenpunkt zur Perspektivenlosigkeit

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Berichte Ukraine
In der Ostukraine wird die am 9. Dezember neuerlich ausgerufene Waffenruhe bisher besser befolgt als erwartet. Zwar gibt es sporadischen Artilleriebeschuss; der ist aber deutlich geringer als noch vor zwei Wochen. Etwas aufatmen kann auch die Stadt Debalzewo, 70 Kilometer nordöstlich von Donezk. Debalzewo ist von drei Seiten von prorussischen Kräften eingeschlossen und nur durch einen schmalen Korridor mit dem Teil des Kreises Donezk verbunden, der von ukrainischen Truppen gehalten wird. In und um Debalzewo begannen die Kämpfe Ende Juli und dauerten nun bis Mitte Dzember. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für den vor dem Krieg so wichtigen Eisenbahnknotenpunkt sind verheerend. Aus Debalzewo berichtet unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz

Auf dem Bahnhof von Debalzewo stehen alle Räder still, weil die Eisenbahnlinie über Gebiete führt, die prorussische Freischärler kontrollieren. Nur einige Wagons stehen auf den Geleisen, nur wenige Fußgänger verirren sich auf das Gelände. Die triste Stimmung verstärkt noch das neblige, naßkalte Wetter. Niedergang und Krise trotz Feuerpause sind überall sichtbar. In Debalzewo hat nur eine Bank geöffnet; nur bei zwei Bankomaten können die Bewohner Bargeld beheben, das Mangelware ist. Vor dem Krieg zählte Debalzewo 25.000 Einwohner; die derzeitige Lage beschreibt Vizebürgermeisterin Tatjana Ogdanskaja so:

"Nach einer soziologischen Umfrage haben 49 Prozent der Bewohner Debazewo verlassen. Ein Teil dieser Personen ist in zwei Nachbarstädte gezogen, die 20 Kilometer entfernt sind. Sie kommen hierher zur Arbeit und fahren am Abend wieder zurück. Zu den 12.000 bis 13.000 Bewohnern müssen wir somit noch etwa 4.000 hinzuzählen, die in diesen Vorstädten leben."

Massiv ist der wirtschaftliche Niedergang; Tatjana Ogdanskaja,

"In den vergangenen drei bis vier Monaten haben offiziell 30 Prozent der privaten Firmen zugesperrt; doch es gibt auch viele Unternehmer, deren Betriebe einfach stillstehen; viele haben die Stadt einfach verlassen."

Die Folgen der monatelangen Gefechte zeigen sich auch am Bildungswesen. Von 1800 Schülern sind nur 860 in der Stadt geblieben; daher lässt sich auch der Aderlass beim Lehrkörper kompensieren, wie die Bildungsreferentin der Stadt, Alla Serdjuk, betont:

„Viele Lehrer sind weggezogen; diesen Abgang spüren wir. Bis jetzt überdecken wir dieses Problem durch Stellvertretungen, wobei wir eben Lehrer aus anderen Schulen zum Unterricht heranziehen."

Trotzdem zeigt eine Schule im Zentrum auch den Überlebenswillen der Stadt. Am Schultor hängen Zettel mit den Hausaufgaben, die Schüler daheim zu lösen haben. Regelunterricht gibt es derzeit nicht; nur am Vormittag gibt es verkürzten Unterricht, bei denen Lehrer und Schüler den Stoff kurz durchgehen. Grund dafür ist die beträchtliche Kälte in den Klassen, weil die Heizung nur eingeschränkt funktioniert. Dazu sagt Direktor Leonid Muchamedzjanow:

"Minustemperaturen habe wir hier nicht, aber zwischen fünf und sieben Grad."

Erneuert wurden bereits 400 bis 500 Quadratmeter Fensterglas, die beim wiederholten Beschuss zu Bruch gingen. Weniger drastisch war der personelle Aderlass Im städtischen Krankenhaus Nur ein Fünftel der Belegschaft zog weg, darunter allerdings auch wichtige Chirurgen. Im Krieg wurde im Krankenhaus rund um die Uhr gearbeitet; und in den belegten Zimmern ist es warm. Engpässen bei Medikamenten gibt es kaum; anders sieht es für behinderte und alte Menschen aus. Die Monatspension beträgt vielfach nur 60 Euro, ein Medikament gegen Diabetes kostet fünf Euro. Die Hälfte der Apotheken ist geschlossen, die andere Hälfte verkauft nur mehr gegen Bargeld und nicht mehr gratis auf Rezept. Hinzu kommt, dass Lieferungen derzeit nur mehr ein Mal im Monat erfolgen.

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