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Wirtschaftskrise und Ausblick für die Ukraine

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Berichte Ukraine


In der Ukraine steht die künftige Regierung, wann immer sie gebildet, vor einem Riesenberg an Problemen. Auch wegen des Krieges soll die Wirtschaftsleistung heuer um bis zu zehn Prozent zurückgehen; Die Inflationsrate könnte im Jahresniveau auf 20 Prozent steigen und das Budgetdefizit dürfte zehn Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung ausmachen. Bereits jetzt hat die Landeswährung Griwna in diesem Jahr 60 Prozent an Wert verloren. Wirtschaftsexperten fordern von der künftigen Regierung einen massiven Kampf gegen Korruption und Bürokratie, um die Ukraine für ausländische Investoren attraktiv zu machen; mit einem dieser Experten hat unser Korrespondent Christian Wehrschütz in Kiew über die Krise und ihre Bewältigung gesprochen; hier sein Bericht:

Die Hälfte der Wirtschaftsleistung entfiel in der Ukraine bisher auf Exporte; durch Krieg, Krise und Exportbeschränkungen aus Russland sind sie nun eingebrochen. Andererseits stiegen die Exporte in die EU, aber nicht stark genug, um den Rückgang nach Russland kompensieren zu können. Was der Krieg in der Ostukraine für die Wirtschaft des Landes bedeutet, erläutert Oleg Ustenko von der Bleyzer-Stiftung in Kiew so:

"Gar nicht oder nur teilweise arbeiten jetzt 15 Prozent unserer gesamten Wirtschaftsleistung, weil dort jetzt Krieg herrscht. Hinzu kommt, dass diese Region einer der größten Devisenbringer war, weil sie exportorientiert war. Etwa 60 Prozent unserer Deviseneinnahmen kamen durch die Wirtschaft im Südosten der Ukraine."

Wegen Krise und Krieg erlebt die Ukraine sogar einen Kapitalabfluss ausländischer Investitoren; neue sind wegen des großen Risikos derzeit nicht in Sicht. Oleg Ustenko fordert von der neuen Regierung einen kompromisslosen Kampf gegen Korruption und Bürokratie, um die Ukraine endlich attraktiver für ausländische Investoren zu machen. Außerdem müsse die Schattenwirtschaft bekämpft werden, die auf 50 bis 80 Prozent der offiziellen Wirtschaftsleistung geschätzt wird. Die Regierung müsse einerseits eisern sparen, aber auch den schwächsten sozialen Gruppen helfen, betont Oleg Ustenko:

"Die Arbeitslosigkeit wird bis Jahresende im Landesdurchschnitt auf etwa neun Prozent steigen, doch im Südosten wird sie mindestens doppelt so hoch sein. Die sozialen Spannungen in der Gesellschaft steigen, und daher stellt sich die Frage, was zu tun ist, damit die Bevölkerung überleben kann. Geld gibt es keines, das Budgetdefizit ist enorm. Die Regierung muss daher denen helfen, die wenig haben: Pensionisten, alleinerziehende Mütter, sie müssen unterstützt werden."

Düster ist der Ausblick des Wirtschaftsexperten auf die nächsten sechs Monate:

„Die Wirtschaft wird weiter zurückgehen, die Bevölkerung wird weiter verarmen, die Inflation wird steigen, die Budgetausgaben müssen gesenkt werden. Positiv kann nur sein, dass die negativen wirtschaftlichen Trends gestoppt und Wirtschaftsreformen durchgeführt werden. Danach können wir ein Licht am Ende des Tunnels erwarten; sprich: die Wirtschaft hat ihren Tiefpunkt erreicht, und Wachstum wird wieder möglich. Die Frage ist, wie man das kommende halbe Jahr überlebt.“

Noch weniger Hoffnung hat Oleg Ustenko für eine wirtschaftliche Erholung im derzeitigen Kriegsgebiet der Ostukraine:

„Selbst wenn der Konflikt völlig beigelegt werden sollte, kann ich mir kaum vorstellen, dass private Firmen in dieser Region investieren werden. Niemand wird dort sein Geld riskieren, weil keiner sagen kann, dass sich der Konflikt in zwei, drei Jahren nicht wiederholt. Möglich ist, dass der Staat investiert, doch in welche Bereiche? Richtig ist es, wegen der Bevölkerung die Infrastruktur wieder aufzubauen, doch was ist mit der Industrie? Neue metallverarbeitende Betriebe oder Kohlegruben, die nur unrentabel wären. Billiger wäre es, im benachbarten Polen Kohle zu kaufen als unsere Gruben in Donezk am Laufen zu halten. Andererseits gibt es keine Wirtschaftsreform, die eine rasche Diversifizierung der regionalen Wirtschaft ermöglicht. Die Rechnung muss dahin gehen, irgendwelche Kleinbetriebe dort zu entwickeln, damit die Bewohner Geld verdienen und diese schwierigen Zeiten überleben können.“

Zwischen der Majdan-Bewegung und dem Krieg in der Ostukraine liegt noch nicht ein Mal ein Jahr. Wo die Ukraine wirtschaftlich und politische in einem Jahr stehen wird, ist völlig offen, ihre Stabilisierung ist angesichts der internationalen Dimension der Krise wohl eine noch größere Herausforderung für die EU als es der blutige Zerfall Jugoslawiens in den 90iger Jahren des vorigen Jahrhunderts gewesen ist.

Noch zwei Zitate, die ich nicht untergebracht habe:

"Die Überweisungen von Auslandsukrainern sind gesunken. Das ist interessant, weil sie seit dem Jahre 2007 ständig gestiegen sind; selbst 2009, im Jahre der großen Krise in Europa, haben ukrainische Migranten mehr Geld als früher überwiesen; 2008 schickten sie sechs Milliarden US-Dollar, 2009 sogar sieben Milliarden. Diese Summe blieb in den folgenden Jahren etwa gleich. Doch heuer sind die Überweisungen um zehn Prozent gesunken. Das ist für mich ein Hinweis, dass mehr Ukrainer auswandern; und dadurch sinkt die Notwendigkeit für Arbeitsmigranten, in die Ukraine Geld zu schicken."

"Der Parameter für das Investitionsrisiko in der Ukraine liegt derzeit bei etwa 1.400 Basispunkten. Wenn ich also eine Million Euro in die ukrainische Wirtschaft investieren und eine Garantie für die Sicherheit dieser Investition haben wollte, müsste ich für jede Million 140.000 Euro als Versicherung für das Risiko bezahlen. Die Ukraine befindet sich in einem Teufelskreis, den es durch Reformen der neuen Regierung und des neuen Parlaments zu durchbrechen gilt. Sonst wird eine Besserung der Lage äußerst schwierig sein."

Schätzung:

Die Landwirtschaft zeigt, wie groß die Rückständigkeit ist; 50 Milliarden Dollar müssten in den kommenden 10 Jahren investiert werden, um einen Entwicklungsstand wie in der EU zu erreichen.

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