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Wahlkampf und Stimmung in der Westukraine

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Berichte Ukraine
Am Sonntag wird in der Ukraine das Parlament neu gewählt. Es sind vorgezogene Wahlen, zu denen 29 Parteien und mehr als 3000 Kandidaten antreten. Sie bewerben sich um die 450 Sitze, die je zur Hälfte über Parteilisten und in Mehrheitswahlkreisen vergeben werden. Überschattet werden die Wahlen vom Krieg in der Ostukraine und vom Gasstreit mit Russland. Diese beiden Themen sind natürlich auch in der Westukraine das beherrschende Wahlkampfthema. Der Gegensatz zwischen proeuropäischen Westen und prorussischem Osten hat historische Wurzeln; so gehörte die Westukraine bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zu Österreich, ein Erbe, das bis heute sichtbar ist. Zentrum der Westukraine ist Lemberg, eine Stadt, die sich in den vergangenen acht Jahren gut entwickelt hat und dessen Bürgermeister Andrij Sadowij nun auch in der gesamtukrainischen Politik eine Rolle spielen will. Mit ihm hat in Lemberg unser Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen; hier sein Bericht:

Fast 150 Jahre gehörte Lemberg zu Österreich, ehe es nach dem ersten Weltkrieg an Polen und 1945 an die Sowjetunion fiel. Das Stadtbild zeigt dieses Erbe und den Gegensatz zu den russisch und sowjetisch geprägten östlichen Landesteilen deutlich. Obwohl noch viel Bausubstanz zu erneuern ist, die in sowjetischer Zeit verfiel, ist die positive Entwicklung der 750.000 Einwohner zählenden Stadt klar sichtbar. Ihr Bürgermeister Andrij Sadowij zählt daher zu den erfolgreichsten und populärsten Bürgermeistern der Ukraine. Seine Bilanz erläutert Andrj Sadowij so:

„Wir haben mehr als 100 Kilometer großer Straßen erneuert, inklusive Wasserleitung und Kanalisation. Wir investieren ständig, und haben auch mehr als 20 Kilometer an Heizungsrohen erneuert. Als ich 2006 Bürgermeister wurde hatten wir nur jeweils vier Stunden Wasser in der Früh und am Abend. Jetzt haben wir warmes und kaltes Wasser rund um die Uhr“

Finanziert werden konnten viele Projekte, weil Lemberg bereits seit Jahren auch eine Zusammenarbeit mit der EU und ihren Finanzinstitutionen setzt. Lemberg liegt zwar ganz im Westen, der Krieg im Osten hat die Stadt aber trotzdem vielfach berührt. Dazu zählen etwa 10.000 Flüchtlinge und Vertriebene, die seit der Krim-Krise im März in Lemberg eine neue Heimat gefunden haben, und zwar nicht zum Nachteil der Stadt, wie Andrij Sadowij betont:

„Die Vertriebenen, die nach Lemberg kamen, sind in der Regel keine armen Leute. Sie haben entweder Wohnungen gemietet oder gekauft und wollen wohl dauerhaft hier bleiben. Sie haben auch viele Arbeitsplätze geschaffen. So haben einige Krim-Tataren, hier Kaffees und Restaurants eröffnet, in denen sie ihre Nationalspeisen anbieten. Sie passen sich sehr leicht an die Atmosphäre in der Stadt an, Unannehmlichkeiten gibt es nicht. Im Gegenteil, das ist ein Plus für die Stadt, die so reicher wird an aktiven Menschen.

Sadowij selbst will nun auch gesamtukrainisch eine Rolle spielen; seine Partei „Selbsthilfe“ tritt bei der Parlamentswahl an und hofft auf 12 Prozent der Stimmen. Die Parteigründung begründet Andrij Sadowij auch damit, dass die Ukraine de facto im Krieg mit Russland sei:

„Um diesen Gegner zu besiegen brauchen wir Reformen und Änderungen, und Politiker, die die Kraft haben, unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen. Dazu zählt die Umsetzung der Gesetze, die wir beschließen müssen, weil wir das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet haben. Das wird bereits die Korruption verringern; dazu brauchen wir auch eine Dezentralisierung, damit die Städte hier die Kompetenzen haben wie in anderen Staaten auch. Nicht nur reden, sondern handeln. Daher gibt es auf unserer Kandidatenliste keinen früheren Abgeordneten oder Minister, sondern Fachleute und Persönlichkeiten. Ich selbst kandidiere nur an 50. Stelle.

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