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Mariupol zwischen Normalität und Krieg

Sonstiges
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Berichte Ukraine


Der Krieg in der Ostukraine wirkt sich immer katastrophaler auf die Wirtschaftslage der gesamten Ukraine aus. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds wird die Wirtschaftsleistung heuer um bis zu 7,25 Prozent schrumpfen. Befürchtet wird daher, dass die Ukraine mit der zugesagten internationalen Milliardenhilfe nicht auskommen wird. Ungeachtet dessen, drohen sich die Kämpfe nun auf die wichtige Industrie- und Hafenstadt Mariupol auszuweiten; in ihrer Umgebung haben sich prorussische Rebellen bereits festgesetzt, während die 450.000 Einwohner Stadt selbst noch in ukrainischer Hand ist. Aus Mariupol berichtet unser Korrespondent Christian Wehrschütz:

Tagelang war Mariupol von Donezk aus nur durch eine Umfahrung der Hauptstraße erreichbar. Nun ist die direkte Verbindung wieder offen; die ersten 20 Kilometer trifft man auf zerstörte ukrainische Panzerfahrzeuge bei einer zerbombten ukrainischen Straßensperre; der nächste ukrainische Kontrollposten steht erst unmittelbar vor der Stadteinfahrt. In Mariupol selbst sind ebenfalls gepanzerte Fahrzeuge zu sehen; dazu sagt eine Frau, die sich als Anhängerin der Rebellen deklariert, aber nicht namentlich genannt werden will:

„Alle warten auf schwerere Kampfhandlungen; in der Stadt hat man wieder Luftschutzkeller geöffnet, die schon völlig verwaist waren. All das drückt auf die Stimmung. In den Geschäften herrscht großer Andrang, die Menschen kaufen Lebensmittel, denn man denkt, dass die Stadt bombardiert und die Infrastruktur zerstört werden könnte. Es herrscht Panik.“

Das Wort Panik ist derzeit wohl übertrieben; klar ist aber, dass viel Bürger Mariupol verlassen haben. Das Zentrum und der Strand am Asowschen Meer sind kaum bevölkert, viele Kaffees sind leer, einige Banken und Restaurants haben geschlossen, Devisen sind knapp in der Stadt. Von Panikkäufen kann aber keine Rede sein, die Versorgung mit Lebensmitteln ist gut. In einem kleinen Park zwischen zwei Wohnhäusern sitzen sechs ältere Herrn und spielen Domino. Sie alle hoffen, dass die Vernunft siegt, und der Stadt Krieg erspart bleibt. Politisch sind die Herrn für die Ukraine, obwohl sie mit der Führung in Kiew, vor allem mit der Korruption, unzufrieden sind. Michail sagt: „Man muss die Menschen erziehen, dass sie nicht klauen.“ Sein Mitspieler Igor glaubt nicht, dass das etwas hilft:

„Nichts hat sich geändert, absolut nichts. Heute haben sie im Radio gesagt, dass in Kiew die Korruption um 38 Prozent gestiegen ist im Vergleich zum Vorjahr. Mindestens zwei, drei Generationen müssen von heute an vergehen, damit normale Menschen an der Macht sein werden.“

Das Problem ist nur, dass weder die Ukraine, ihre Flüchtlinge noch Mariupol so viel Zeit haben, um auf einen Sieg der Vernunft zu warten, damit den Menschen weiteres Leid erspart bleibt.

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