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Mariupol und wie weiter in der Ostukraine

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Berichte Ukraine
In der Ostukraine ziehen die prorussischen Rebellen den Belagerungsring um die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol immer enger. Ihr Verlust käme für die Führung in Kiew einer Katastrophe gleich. Auf die 450.000 Einwohner zählende Stadt entfällt ein Drittel der Industrieproduktion des Kreises Donezk. Mariupol konnten die Ukrainer erst Anfang Juni von den Rebellen zurückgewinnen. Die Rückeroberung der Hafenstadt ist für die Rebellen aber nur ein weiterer Schritt zum Ziel eines eigenen Staates; über diese Ziele hat in Donezk unser Korrespondent Christian Wehrschütz mit Boris Litwinow, dem stellvertretenden Parlamentspräsidenten der sogenannten Volksrepublik von Donezk gesprochen; hier sein Bericht:

So groß die militärischen Erfolge der prorussischen Freischärler in jüngster Zeit auch waren, so haben sie derzeit doch noch kein Territorium unter ihrer Kontrolle, das etwa wirtschaftlich für eine Staatsbildung ausreicht. Daher ist aus der Sicht der Rebellen die Wiedereroberung der Industrie- und Hafenstadt Mariupol so wichtig. Ziel der Rebellen ist es, die gesamten Gebiete der Kreise von Donezk und Lugansk zurückzugewinnen, die derzeit von den Ukrainern gehalten werden. Dazu zählt etwa die Stadt Slowjansk, die monatelang umkämpft war, und seit Anfang Juli wieder in der Hand der Ukrainer ist. Somit ist mit weiteren Kämpfen zu rechnen. Doch „Neurussland“, wie der Staat der Freischärler heißen soll, ist noch viel größer; er reicht von Charkiw im Nordosten bis hin zum Bezirk Cherson, der unmittelbar an die Halbinsel Krim grenzt. Zwischen Cherson und Donezk liegt der Kreis Zaporizhzhija, ein Kernland der Ukraine; bisher war es dort ruhig; doch ob das so bleibe, sei fraglich, sagt der stellvertretende Parlamentspräsident der sogenannten Volksrepublik von Donezk, Boris Litwinow:

"Auf dem Territorium des Kreises von Zaporoschije sind Freischärler-Einheiten aktiv geworden, und das sind Personen, die aus diesem Kreis stammen. Ich weiß nicht, wie diese Freischärler dort vorgehen, doch man spricht auch über einen Aufstand im Süden dieses Kreises. Ich schließe nicht aus, dass uns diese Aufständischen um Hilfe ersuchen werden. Das ist zwar nicht unser Ziel, doch wenn sie um Hilfe bitten, was die Methode der Befreiung ihres Kreises betrifft, so werden wir diese Hilfe wahrscheinlich leisten."

Die militärischen Erfolge führt Litwinow nur in beschränktem Ausmaß auf direkte Hilfe aus Rußland zurück. Die Zahl der Freiwilligen aus Russland, Serbien, Frankreich und anderen Staaten beziffert er mit bis zu 20 Prozent der Streitmacht der Rebellen, die bis zu 8.000 Mann betragen soll. Ihre Erfolge hätten primär damit zu tun, dass die Ukrainer im Gegensatz zu den Freischärlern nicht wüssten, wofür sie kämpfen. Als weiteren Grund nennt Litwinow:

"Hinzu kommt, dass wir in jüngster Zeit von den Ukrainern sehr viele Waffen abgenommen haben. Und wir haben hier sehr viele Maschinenfabriken und sehr viele Reparaturwerkstätten, wo man all diese Waffen wieder instand setzen kann. Ich selbst kenne eine Duzend derartige Firma, die an der Reparatur dieser Militärtechnik arbeiten, die wir den ukrainischen Truppen abgenommen haben."

Weit größer als von Kiew zugegeben sei auch die Zahl der Opfer; Boris Litwinow:

"Die Zahl der Opfer ist schon größer als die Sowjetunion in der Zeit des Afghanistan-Krieges zu verzeichnen hatte. In Afghanistan starben nach offiziellen Angaben mehr als 13.000 Personen. Nach unseren vorläufigen Daten beträgt die Zahl der Getöteten und Verwundeten auf beiden Seiten insgesamt bis zu 40.000 Personen. Genau kann man das jetzt nicht sagen. Doch 40.000 Getötete und Verwundete sind es, wo bei das Verhältnis etwa Eins zu Fünf beträgt - auf einen unserer Getöteten kommen Fünf auf der anderen Seite."

Litwinow hofft, dass Kiew in absehbarer Zeit zu Verhandlungen bereit sein wird, um das Blutvergießen zu beenden. Nicht verhandelbar seit die Staatlichkeit der Volksrepubliken von Donezk und Lugansk, sagt er. Fraglich ist, ob Kiew das wirklich akzeptieren kann, noch dazu wenn die Ukraine befürchten sollte, dass es nicht nur bei der Abspaltung von Donezk und Lugansk bleiben wird.

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