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Reportage aus der beschossenen Ortschaft Marinka bei Donezk

Sonstiges
FJ7
Berichte Ukraine
In der Ostukraine werden die menschlichen Opfer und auch die Schäden immer höher, je länger die Kämpfe dauern. Besonders heftig umkämpft ist die Stadt Lugansk im östlichsten Bezirk der Ukraine. Doch auch die Vororte von Donezk haben die Gefechte bereits erreicht. Dadurch gibt es auch immer mehr Flüchtlinge; die Menschen fliehen vor den Gefechten oder müssen ihre Heimatorte verlassen, weil ihre Wohnungen zerschossen sind. Einen dieser Orte, der am Freitagabend zum ersten Mal unter Artilleriefeuer lag, hat Christian Wehrschütz, unser Korrespondent in der Ukraine, gestern besucht:

Marinka liegt am Westrand von Donezk, etwa 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Abgesehen von einer Straßensperre an der Einfahrt sind im Ort nur wenige Rebellen auszumachen. Deutlich sichtbar sind aber die beträchtlichen Zerstörungen, die der Artilleriebeschuss in diesem Wohnviertel angerichtet hat. Ganze Wohnungen wurden in Trümmer gelegt, die Mauern stürzten teilweise ein, Splitter liegen auf der Straße, Häuser sind teilweise ausgebrannt. Die wenigen Einwohner, die geblieben sind, stehen vor dem Nichts. Eine ältere Frau bringt es auf den Punkt:

„Wir haben weder Licht, Gas noch Wasser; wir haben gar nichts.“

Nutzwasser gibt es hier noch, das die Bewohner abkochen oder zum Waschen verwenden. Dreißig Personen sollen durch den Beschluss getötet worden sein; eine Bestätigung dieser Zahl ist nicht zu bekommen. Dazu sagt Sergej, der mit der Hand auf eine völlige zerstörte Wohnung, in hundert Meter Entfernung deutet:

„Die genaue Zahl kenne ich nicht; doch ich weiß, dass dort zwei starben, eine Frau und ein Mann. “

Und wer hat mit der Artillerie geschossen? Sergej weiß es nicht:

„Die einen sagen, die Ukrainer, die anderen sagen, die Separatisten, mir ist das unklar.“

Das Feuer kam jedenfalls aus der Gegend, die in ukrainischer Hand ist. Sergej hat seine Familie bereits evakuiert; er kam zurück, um auf sein Eigentum aufzupassen, weil in der Stadt bereits Plünderer ihr Unwesen treiben sollen. Glück im Unglück hatte der 28-jährige Dimitrij. Die Wohnung, in der seine Mutter und Schwester lebten, blieb unversehrt. Die beiden Frauen flohen so überstürzt, dass sie sogar die Papageien zurückließen. Auch Dimitrij wird nicht lange bleiben:

„Ich bin gekommen, um mit dem Auto alles wegzuführen, was ich wegbringen kann. Denn vielleicht beschießt man uns wieder. Auch die Papageien werde ich mitnehmen.“

Nur die Feuerwehr aus dem Nachbarort hilft bei der Evakuierung. Die staatliche Ordnung ist zusammengebrochen, Polizei und Stadtverwaltung sind geflohen. Marinka mit seinen zehntausend Einwohnern gleicht einer Geisterstadt. Die Bank bewacht nur mehr ein Hund, und Kaffees und Geschäfte schließen. Still steht auch eine Viehfutterfabrik. Sie wurde zeitgerecht evakuiert, während die Bevölkerung ohne Warnung blieb. Doch 70 Personen sind nun arbeitslos, und nicht nur in Marinka, werden auch die Schäden für Infrastruktur und Wirtschaft durch den Bürgerkrieg immer katastrophaler.

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