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Reportage aus Lugansk und der Ostukraine

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Berichte Ukraine
In der Ukraine hat die Kampagne für die Präsidentenwahlen am 25. Mai nun begonnen. Dabei wird es auch um die Reform des gesamten Staates gehen, der bisher zentralistisch aus Kiew geführt wird. Nach dem Anschluss der Halbinsel Krim an Russland, fordern vor allem die russisch geprägten Kreise der Süd- und Ostukraine mehr Rechte. Dazu zählt auch der Kreis Lugansk. Ein Drittel der 2,3 Millionen Einwohner sind Pensionisten; ihr Durchschnittsalter liegt bei nur 50 Jahren, weil in der krisengeschüttelten Bergbauregion viele in Frührente gingen. Groß ist die Unzufriedenheit mit Kiew aber auch wegen des massiven Verfalls der Infrastruktur, in die offensichtlich seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr investiert wurde.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus dem Bezirk Lugansk

Insert1: Ingenieur, (59) Demonstrant für Russland

Insert2 Elenora Polischuk, Sozialreferentin des Kreises Lugansk

Insert3: Ingenieur, (59), Demonstrant für Russland

Gesamtlänge: 3’28

Das Stahlwerk in Alschewsk ist das drittgrößte der Ukraine. Teile der Anlage lieferte die Voest-Alpine, und das Werk gilt als das modernste des Landes. In Sowjetzeiten arbeiteten hier 22.000 Personen; nun sind es 13.000, gebraucht würden nur 8.000 Mitarbeiter. Doch ein Personalabbau hätte enorme Folgen für Alschewsk, weil jeder Vierte der 120.000 Einwohner mit dem Schicksal des Werks verbunden ist. Um die Abhängigkeit vom russischen Erdgas zu verringern, wurde diese Anlage gebaut, die aus Koksgas Energie erzeugt. Doch die Hälfte des Stahls geht nach Russland. Diese große Abhängigkeit, ist ein Grund, warum Demonstranten in der nahegelegenen Kreishauptstadt Lugansk immer wieder für Russland und gegen die EU-Annäherung auf die Straße gehen:

„Unsere Wirtschaft und alle technischen Standards waren und sind an Russland angepasst. Auch unser Denken und unsere Ausbildung sind Russisch Wir sind in eine Wirtschaft integriert, doch wenn wir zur EU wollen, müssen wir alles ändern und anpassen..“

Der Bezirk Lugansk hat 2,3 Millionen Einwohner. Nur 500.000 sind offiziell beschäftigt, etwa 100.000 Personen gelten als Gastarbeiter. Viele von ihnen arbeiten im benachbarten Russland. Lebendig ist in der Stadt die sowjetische Tradition. Staatsgründer Lenin hat nach wie vor sein Denkmal; mehr als 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion hat zwar auch in Lugansk die religiöse Wiedergeburt langsam eingesetzt; doch im Gegensatz zur Westukraine fehlt eine dominante Kirche, die den ukrainischen Nationalismus stützt:

„Der Südosten war durch seine Arbeitskräfte politisch kommunistisch und daher auch atheistisch geprägt. Hier gab es keinen tief verwurzelten Glauben. Vergessen darf man auch nicht, dass die Westukraine erst nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der Sowjetunion wurde, und daher konnten in Lemberg die Traditionen auch besser bewahrt werden als hier.“

Die schlechte Infrastruktur ist ein weiterer Grund für die Unzufriedenheit mit Kiew. Asphalt ist in manchen Stadtteilen unbekannt, und viele asphaltierte Straßen der knapp 500.000 Einwohner zählenden Stadt haben Löcher. Das Zentrum von Lugansk mit seinen breiten und sauberen Straßen ist somit die Ausnahme und nicht die Regel:

„Die Sowjetunion hat der Ukraine einen enormen Reichtum hinterlassen. Dazu zählen der Raketen- und Flugzeugbau und die Atomtechnologie. Doch jetzt sind wir bei null angelangt. Gleiches gilt für das Bildungssystem. Das sowjetische war Weltspitze, nun haben wir das Bologna-System und sind ebenfalls bei null. 22 Jahre lang sehen wir, dass uns die EU nicht helfen, sondern aus uns Menschen zweiter Klasse machen will.“

Lugansk liegt keine hundert Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Ukrainische Truppen wurden ins Grenzgebiet verlegt, auch um ein Einsickern von Demonstranten aus Russland zu unterbinden. Doch Militär ist keine Lösung. Um Lugansk für sich zu gewinnen, wird Kiew endlich damit beginnen müssen, die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Ostukraine zu lösen.

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