Reportage aus Donezk zur Frage Russland
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Berichte Ukraine
Der Lenin-Platz im Herzen von Donezk zeigt recht gut die politischen Gegensätze auf, die auch in dieser Industriestadt bestehen. Vor dem mächtigen Denkmal für den Gründer der verflossenen Sowjetunion steht weiterhin ein Häuflein von Demonstranten, mit russischer und sowjetischer Flagge das für den Anschluss an Russland demonstriert. Schräg gegenüber, knapp 100 Meter entfernt, markieren Blumen und Kerzen den Ort, wo bei Zusammenstößen von Anhängern und Gegnern des Anschlusses ein 22-jähriger Mann erstochen wurde. Zur Frage, ob auch Donezk der Ukraine den Rücken kehren wird, sagt einer der Passanten:
„Ich glaube dass sich die Lage in den nächsten Tagen normalisieren wird. Einen weiteren Separatismus von innen heraus wird es nicht geben. Ich bin überzeugt, dass Donezk bei der Ukraine bleiben wird. Denn die Truppen sind schon ausgerückt. Natürlich ist die ukrainische Armee viel schwächer als sie sein sollte, doch jeder Widerstand wird die Aggression stoppen."
Doch es gibt auch pessimistischere Stimmen. Eine Großmutter, die mit ihrem Enkelkind im Kinderwagen über den Platz spaziert, glaubt nicht, dass es in der Ukraine nur bei der Abspaltung der Halbinsel Krim bleiben wird:
"Die Leute auf der Krim wollten zu Russland, nun sind sie an Russland gefallen. Ich habe dort vier Verwandte, zwei wollten unbedingt nach Russland, die anderen zwei nicht. Was soll ich also sagen? Ich glaube, dass das erst der Beginn ist, denn ich kenne auch bei uns viele, die nach Russland wollen."
Mit 4,5 Millionen Einwohnern ist Donezk der größte Bezirk der Ukraine, die knapp 45 Millionen Einwohner zählt. Etwa ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes wird in diesem Bezirk erwirtschaftet. Donezk ist kulturell russisch geprägt, obwohl die Russen hier im Gegensatz zur Krim nicht die Bevölkerungsmehrheit stellen. Trotz der Bedeutung dieser Region für die Ukraine sitzt derzeit kein Vertreter aus Donezk in der Regierung in Kiew. Doch der Konflikt in der Ukraine könne nur gelöst werden, wenn auch Vertreter der östlichen und südlichen Gebiete in die Führung des Landes eingebunden werden, betont der in Donezk der Historiker Alexander Dinges:
"Die Ukraine muss man sich wie einen Vogel vorstellen, der zwei Flügel, zwei Richtungen hat. Der eine Flügel heißt Europa, der andere Russland. Auf beiden ausgestreckten Schwingen muss die Ukraine fliegen. Doch wir haben Regierungen die immer nur entweder den Osten oder den Westen vertreten. Fortschritt kann die Ukraine nur machen, wenn beide Seiten vertreten sind. Doch als Maxime muss gelten: die Regierung in Kiew muss eine Regierung der gesamten Ukraine sein."
Dinges tritt dafür ein, die Ukraine zu dezentralisieren, um Spannungen abzubauen. Dadurch könnten Konflikte wie über den Gebrauch der russischen Sprache entschärft und Gemeinsamkeiten stärker betont werden, sagt Alexander Dinges.