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MiJ Gespannte Ruhe nach relativ ruhiger Nacht

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Berichte Ukraine
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist die Lage weiter gespannt. Im Stadtzentrum stehen einander weiterhin hunderte Demonstranten und Sicherheitskräfte gegenüber. In der Nacht zündeten Demonstranten wieder Reifen an, die sie als Barrikaden verwenden, bewarfen die Polizei mit Molotowcocktails, während die Polizei Blendgranaten und Gummigeschosse einsetzte. In der Früh ließen die Auseinandersetzungen nach, und die Demonstranten nutzen die Feuer nur mehr, um sich bei Temperaturen von bis zu minus 20 Grad zu wärmen. Gesucht wird weiter nach einer politischen Lösung, die dann möglicherweise bei der Sondersitzung des Parlaments am Dienstag umgesetzt werden könnte. Aus Kiew berichtet unser Korrespondent Christian Wehrschütz

Nach monatelangen, friedlichen Demonstration führten die handstreichartige Einschränkung demokratischer Grundfreiheiten durch das Parlament und der Tod von fünf Demonstranten in Kiew zu einer massiven Radikalisierung der Proteste. Das Misstrauen der Demonstranten gegenüber Präsident Viktor Janukowitsch, gegenüber der Regierung und der Sonderpolizei ist enorm. Janukowitsch wirft die Opposition eine Hinhaltetaktik und mangelnde Bereitschaft zu Verhandlungen vor. Daher warnte der Führer der Oppositionspartei „Schlag“ Vitali Klitschko auch vor einer neuerlichen Eskalation der Proteste. Sein Mitstreiter, der Abgeordnete und erfahrene Außenpolitiker Valentin Naliwajtschenko, nennt folgenden Fahrplan für eine friedliche Lösung:

"Ohne Verzögerung sind zwei Dinge zu tun: alle Protestanten müssen freigelassen werden, die gesetzwidrig festgehalten sind. Zweitens müssen all jene aus ihren Ämtern entfernt werden, die den Sicherheitskräften kriminelle Befehle erteilt haben. Diese beiden Dinge öffnen den Weg zu normalen Verhandlungen über Wahlen. Denn die Menschen müssen das Recht bekommen, die Machthaber auszuwechseln; das betrifft das Parlament, die Regierung und den Präsidenten. Hinzu kommt, dass das Parlament am Dienstag jene Gesetze zurücknehmen muss, die die Verfassung der Ukraine und ihre internationalen Verpflichtungen verletzten. Diese Gesetze wurden nicht verabschiedet, sondern verhängt. All das bringt uns zu einem Punkt zurück, wo die Ausgangslage noch friedlich war."

Zu ersten Zugeständnissen zeigte sich Präsident Janukowitsch nun bereit; dazu zählt auch die Rücknahme dieser Gesetze. Zum Rücktritt bereit zeigt sich nun auch Ministerpräsident Nikolaj Asarow. Der politische Falke ist bei den Demonstranten besonders verhasst. Zur Frage, ob Asarows Abgang die Lage in der Ukraine wirklich beruhigen könnte, sagt der deutsche Politologe Andreas Umland, der seit mehr als zehn Jahren in Kiew lehrt und lebt:

"Wenn es einen neuen Ministerpräsidenten geben würde, dann würde das wahrscheinlich einen Teil der Demonstranten befriedigen. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass viele sagen: "Nein, Janukowitsch muss gehen!" Er ist das Problem. Das hinge dann natürlich auch von der Person des neuen Ministerpräsidenten ab. Wenn das einfach nur ein neuer Hardliner ist, dann wird das sicher nicht ausreichen, aber wenn es eine Figur ist, die größere Akzeptanz hat, dann könnte das vielleicht noch zu einem Kompromiss führen, aber selbst das scheint mir unzureichend, um die Demonstranten zu beruhigen."

Seinen Pessimismus begründet Andreas Umland so:

"Der Hass hat sich jetzt so verstärkt, dass diese ganzen anderen Komprimisse und Teillösungen, dass die vielleicht nicht mehr ausreichen. Da kann dann auch die Opposition die können da nicht mehr viel machen, weil die Bewegung dann eine eigene Dynamik hat, das ist jetzt eine verfahrene Situation."

Seinen Rücktritt hat Viktor Janukowitsch bisher ausgeschlossen. Für eine Kompromisslösung bleibt jedenfalls nur mehr wenig Zeit; sollte die Sondersitzung des Parlaments am Dienstag kein Ergebnis bringen, ist mit großer Sicherheit mit einer weiteren Radikalisierung der Demonstranten zu rechnen.
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