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20250411 weltweit Slowenien und die Arbeitsmigration aus Asien Wehr Mod

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Berichte Slowenien

Jahrzehntelang galt das ehemalige Jugoslawien aus Quelle für Arbeitskräfte in Österreich und anderen Ländern der EU. Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei. Alle diese Länder suchen Arbeitskräfte; so erteilte Kroatien im Vorjahr 200.000 Arbeitsgenehmigungen für Ausländer, während in Slowenien bereits jeder sechste Arbeitskräfte kein gebürtiger Slowene ist. Die Mehrheit dieser Personen stammt noch aus dem ehemaligen Jugoslawien, doch die Zahl derer nimmt rasch zu, die aus Indien, Bangladesch, Nepal und den Philippinen kommen. In Manila hat Laibach jüngst sogar eine diplomatische Vertretung eröffnet, auch um eine Ausbeutung von Arbeitskräften durch Agenturen zu verhindern. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz war in Slowenien, hat Arbeitnehmer aus Indien und anderen Staaten getroffen, befasst sich aber auch mit den Schattenseiten dieses Zustroms neuer Gastarbeiter auf den Balkan

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Slowenien
Kamera: Andrej Suvacarov
Schnitt: Mica Vasilijevic

Insert1: Arek Schmikofskij, Student aus Polen

Insert2: Kiruba Karan, Kellner aus Indien

Insert3: Kiruba Karan, Kellner aus Indien

Insert4: Kiruba Karan, Kellner aus Indien

Insert5: Enes Draganovic, slowenischer Unternehmer

Insert6: Enes Draganovic, slowenischer Unternehmer

Insert7: Jelena Ascic, Journalistin bei RTV-Slovenija

Insert8: Goran Lukic, Beratungsstelle für Arbeiter

Insert9: Goran Lukic, Beratungsstelle für Arbeiter

Insert10: Igor Feketija, Staatssekretär im Arbeitsministerium

Insert11: Heli Erzenicnik, Mitarbeiterin in einem Altersheim
Insert12: Mohit Saklani, Küchengehilfe im Altersheim in Prevalje
Insert13: Helena Bezjak-Burjak, Direktorin des Altenheims in Prevalje

Gesamtlänge: 11,05

Ausländer stechen in Laibach auf den ersten Blick nur dann ins Auge, wenn sie Touristen sind. Denn bei ausländischen Arbeitskräften entfallen mehr als die Hälfte auf Bürger aus dem ehemaligen Jugoslawien, deren Aussehen sich von Slowenen nicht unterscheidet. Der erste Ausländer, mit dem ich ins Gespräch komme, ist ein Rucksacktourist aus Polen; Arek ist 26 Jahre alt und mit Bus und Bahn auf Europatour. Die täglichen Auftritte bessern das Reisebudget auf:

AREK 0:24
„Ich habe 2019 nach der Schule angefangen; ich wollte reisen, aber ich war ein Teenager, also hatte ich fast kein Geld. Mit meinem Freund wollte ich per Anhalter nach Prag fahren, und wir überlegten, was wir tun können, um für die Reise und für die Übernachtung zu bezahlen und so weiter.“

Areks Seifenblasen faszinieren Kinder; sie sind auch demographisch ein kostbares Gut, ist doch bereits jeder vierte Bewohner Sloweniens ein Pensionist. …

So groß der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften ist, so gering ist die Bereitschaft vieler Unternehmer, Journalisten filmen zu lassen. Glück habe ich in der Ortschaft Mala Piresica, 70 Kilometer nordöstlich von Laibach im Restaurant Camino. 15 Ausländer sind hier beschäftigt; aus Nepal, Bangladesch und vor allem aus Indien. Mit dem 28-jährigen Kellner Kiruba Karan darf ich sprechen; er ist seit Jänner des Vorjahres im Restaurant angestellt. Wie bis Du eigentlich auf Slowenien gekommen, frage ich Kiruba?

Kiruba Karan 0:42
„Ich habe mich bei einer Agentur für einen Job in Europa beworben; und sie haben mir gesagt, dass ich einen Job in Europa habe, das Land heißt Slowenien, möchtest du gehen? Ich habe JA gesagt, ich möchte wirklich nach Europa.“

Etwa 4000 Euro zahlte Kiruba der Job-Agentur; konntest Du ihr vertrauen?

Kiruba Karan 1:20
„Ja, weil es einer meiner Verwandten ist, also vertraue ich ihm.“

Wie viel er verdienen, will mir Kiruba nicht sagen. Doch 80 Prozent des Lohns schickt er zur Familie nach Indien. Mit den Gästen redete er vor allem englisch? Hast er in den 15 Monaten seines Aufenthalts bereits Slowenisch gelernt, frage ich Keruba ebenfalls auf Englisch?

Kiruba Karan 4:03
„Ein bisschen, kleine Dinge; mein Chef hat einen slowenischen Lehrer organisiert; jeden Tag eine Stunde Unterricht; wir wissen ein wenig; wir können etwas verstehen.“

Untergebracht sind die Arbeiter in diesen Häusern, wenige hundert Meter von der Pizzeria entfernt; von außen machen die Gebäude keinen schlechten Eindruck, und auch keiner der Bewohner hat sich beklagt.

Ihr Arbeitgeber heißt Enes Draganovic; er ist 54 Jahre alt, wurde bereits in Slowenien geboren, hat aber bosnische Wurzeln. Neben der Pizzeria gehören ihm noch ein Hotel und ein Transportunternehmen mit 100 LkWs. Mit seinen ausländischen Mitarbeitern ist er zufrieden:

Draganovic 3:14
„Die ersten Arbeiter aus Indien bekamen wir über eine Agentur; dann haben diese Menschen, Verwandte, Kollegen, Freunde und so weiter vorgeschlagen. Ich war einer der Ersten in Slowenien, der Inder eingestellt hat und auch einer der Ersten, der 1991 bosnische Staatsbürger als Lkw-Fahrer beschäftigt hat. Ich bin mit ihnen zufrieden.“

Und warum jetzt Inder statt Bosniaken, frage ich Enes Draganovic?

Draganovic 3:55
„Dieser Pool an Bosniaken hat sich auch geleert, es gibt nicht mehr viele. Die meisten dieser Menschen gehen nach Deutschland, Österreich oder sind bereits in Slowenien.“

4‘15

Bei meiner Recherche stieß ich auf einen Film, den das staatliche Fernsehen RTV-Slovenija ausgestrahlt hat. Unter dem Titel „Das Leben der Unsichtbaren“ schildert die Dokumentation die Ausbeutung von Arbeitern aus Asien. Die Identität vieler Gesprächspartner bleibt geschützt; viele Szenen bebilderte eine Schulklasse, weil der Zugang zu Schauplätzen unmöglich war. Gestaltet hat den Film meine Kollegin, Jelena Ascic. Sie arbeitet bei RTV-Slovenija, und hat selbst bosnische Wurzeln; gemeinsam gehen wir den Film durch; meine zentrale Frage lautet: Geht es um einzelne schwarze Schafe unter den Arbeitgebern, oder um systematischen Missbrauch und Schwächen staatlicher Institutionen. Von Bosniaken und Serben kommen derartige Klagen viel weniger?

Jelena Ascic 2:33
„Für Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawischen ist alles einfacher; Kultur und Sprache sind ähnlich, viele haben Verwandte hier; diese Länder sind nah. Inder hingegen reisen tausende Kilometer. Sie können nicht zurückkehren, weil sie die Schulden bei der Job-Agentur noch nicht abgezahlt haben. Das Problem bei uns ist, dass diese Menschen nur importiert werden, aber es wird nicht dafür gesorgt, dass sie lernen, welche Gesetze gelten, dass sie in die Gesellschaft integriert werden.“

5’25

Hilfe leistet dieser Mann, dessen Schreibtisch mit Akten zugepflastert ist. Goran Lukic arbeitet für den Verein „Arbeiterberatung“. Beim Besuch in seinem Büro betreut er einen Mann aus Bangladesch, der in einer Gaststätte arbeitet. Er klagt unter anderem darüber, dass Überstunden nicht bezahlt wurden, und der Arbeitgeber ihn bedroht habe. Interview wollte der Mann keines geben, sein Gesicht durften wir nicht zeigen. Zwischen 30 und 50 Fälle bearbeitet Goran Lukic täglich; immer mehr Arbeiter kommen aus immer entfernteren Ländern:

Goran Lukic 05:20 (kraj)
„Bei Arbeitern aus Nepal, Bangladesch, Indien, gibt es oft, konkretes Erpressen. Kurz gesagt, wenn du nicht so arbeitest, wie wir es dir sagen, wirst du hier nicht mehr arbeiten, und wir werden dafür sorgen, dass du aus dem Land fliegst."

Und welche Sektoren sind besonders betroffen, frage ich Goran Lukic? In der Pizzeria, wo wir Inder getroffen haben, hatte ich keinen schlechten Eindruck.

Goran Lukic 9:19
„Was wir sehen, ist die Gastronomie, vor allem Arbeiten in der Küche, das ist der unsichtbare Teil. Das ist nicht der Teil, wo der Kunde schöne Tische, schönes Essen und Bedienung sieht, sondern das, was im Hintergrund passiert, Geschirr spülen, Essen vorbereiten. Dann haben wir das Bauwesen, hier würde ich fast sagen, dass es Geschichten gibt, die sich um Ausbeutung drehen.“

7’00

Von der Hilfsorganisation führt mich mein Weg dann zum Ministerium für Arbeit, wo ich Staatssekretär Igor Feketija treffe. Der Kampf gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften muss an mehreren Fronten geführt werden:

Igor Feketija 12:05
„Eines ist sicher, Inspektorate, Polizei und auch Staatsanwaltschaft müssen ihre Arbeit machen. Doch wir haben nur etwa 100 Arbeitsinspektoren für 250.000 Betriebe. Möglich wäre es, mit höheren Strafen eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Zweitens versuchen wir vor allem für die Philippinen, einen direkten Kanal von Regierung zu Regierung aufzubauen, um die Beschäftigung nicht über private Agenturen zu ermöglichen. Außerdem haben wir im Gesetz über die Beschäftigung von Ausländern, die Bestimmung hinzugefügt, dass der Arbeitgeber während der Arbeitszeit im ersten Jahr einen Integrationskurs bereitstellen muss.“

Cyrille Tsijama Razafihelisoa Ep Erzenicnik – so lautet der volle Name der 37-jährigen Servicemitarbeiterin aus Madagaskar; sie arbeitet seit drei Jahren in einem Altersheim in Prevalje im Grenzgebiet zu Kärnten. Heli ist mit einem Slowenen verheiratet, der als Tourist die Insel besuchte. Ihr Sohn ist fünf Jahre alt. Heli ist ein Beispiel für gelungene Integration, doch die Umstellung von Madagaskar auf Slowenien fiel ihr nicht leicht:

2’10:
„Es war ein großes, großes Jahr, das ich gebraucht habe, um mich in Slowenien einzuleben. Essen, Wetter, Menschen, Kultur. Ein Jahr lang dachte ich, ich würde zurückgehen, weil mir das Wetter nicht zusagte, weil ich an Wärme gewöhnt war, immer in der Sonne. Jetzt bin ich vom Wetter abhängig, wenn die Sonne scheint, hu, hu, hu, freue ich mich.“

Beschäftigt ist in dem Altenheim auch noch der Inder Mohit Saklani. Als Küchengehilfe verdient er 1000 Euro im Monat, die Hälfte schickt er in die Heimat zurück. Bis zu drei Jahre möchte er in Slowenien bleiben, wo es ihm sehr gut gefällt:

3:30
„Ja, ich mag Prevalje sehr. Die Menschen hier sind sehr freundlich.“

Helena Bezjak-Burjak, die Direktorin des Altenheims für mich durch das Gebäude. 190 Bewohner betreuen 107 Mitarbeiter, jeder Zehnte ist kein slowenischer Staatsbürger. Weitere Inder sollen beschäftigt werden; die Auswahl erfolgte über eine slowenische Agentur:

Burjak 2:18
250 Kandidaten bewarben sich auf unsere Ausschreibung für 5 Stellen. Aus diesem Pool traf die Agentur eine Vorauswahl von 25 Kandidaten. Unsere Bedingung war, dass sie gut Englisch sprechen, damit die erste Kommunikation gut ist. Über Video-Konferenzen haben wir selbst Gespräche mit 25 Kandidaten geführt und 4 Mitarbeiterinnen für die Pflege und Betreuung und einen Koch ausgewählt.“

Die Direktorin betont, dass in diesem Altersheim, das de facto eine staatliche Institution ist, alle Mitarbeiter gleich und gesetzeskonform behandelt werden. Langfristig ist das für Slowenien insgesamt wichtig; sollten zu viele Lebensträume wie Seifenblasen an der Ausbeutung zerplatzen, werden Arbeitskräfte aus Asien möglicherweise Slowenien meiden, denn ein Mangel an Arbeitskräften herrscht auch in anderen Staaten Europas.

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