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Das Bundesheer an der Staatsgrenze

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Kleine Zeitung
Berichte Slowenien

„Unsere stärkste Waffe war das Glück!“

Am Abend des 26. Juni proklamierte Slowenien feierlich in Laibach seine Unabhängigkeit; bereits am Nachmittag desselben Tages rollten die ersten Panzer der jugoslawischen Volksarmee in Richtung Grenze zu Italien, um diese Loslösung von Jugoslawien zu verhindern. Am 27. Juni wurden bereits an verschiedenen Frontabschnitten gekämpft; am 28. Juni besetzten Panzer der Volksarmee den Grenzübergang Gornja Radgona am Ufer der Mur. In der Stadt gab es ebenfalls am selben Tag bereits heftige Kämpfe.

Gornja Radgona und Bad Radkersburg sind im Grunde Zwillingsstädte, getrennt durch die Mur, die seit dem Ende des Ersten Weltkrieges die Grenze bildet. Die Brücke über die Mur eröffneten vor mehr als 50 Jahren der jugoslawische Diktator Josip Broz Tito und Bundespräsident Franz Jonas. Nicht weit hinter der Brücke liegt die Kaserne in Radkersburg. Dort war am 28. Juni der nunmehrige Bürgermeister von Tieschen, Martin Weber, als Wachkommandant im Einsatz; den Kriegsbeginn erlebte er so:

"Mein Torposten fangt draußen zum Hupfen und zum Springen an und deit mit Hend und Fiaß; und i machs Fenster auf und schrei no: " Steh' grad!" Und er sagt ma, NEIN, er hört Kanonenschüsse. Dann habe ich sofort Alarm gegebn. Das war schon eine besondere Streßsituation, weil wir waren gefühlte acht System-Erhalter nur in der Kaserne da. Die Sechs-Monate-Präsenzdiener hat man ja kurz zuvor abrüsten lassen, und wir waren acht System-Erhalter - Koch Maler, drei Wachsoldaten, wie direkt an der Grenze der Krieg losgegangen ist."

Den Befehl zum Einsatz des Bundesheeres an der Staatsgrenze erteilte der damalige Verteidigungsminister Werner Fasslabend am Freitag, den 28. Juni um 18 Uhr 45 Minuten. Die Aufgabe der Soldaten war es, Übertritt von jugoslawischen und slowenischen Soldaten auf österreichisches Territorium ebenso zu verhindern wie eine allfällige Fortsetzung der Kämpfe auf österreichischem Staatsgebiet. Zu schützen galt es auch die Grenze an der Mur-Brücke bei Radkersburg. Dort befehligte Vizeleutnant Gustav Beyer an vorderster Linie einen Zug Einjährig-Freiwilliger, die bereits neun Monate Ausbildung hinter sich hatten, und auch den Sicherungseinsatz geübt hatten. Die Reaktionen der Grenzbevölkerung auf den Einsatz der Soldaten beschreit Gustav Beyer so: "Wie wir hierhergekommen sind, war es Samstag; ich habe hier sehr viele Zivilisten gekannt, weil ich ja sieben Jahre hier stationiert war; die Bürger mich gefragt: "Warum kommt ihr erst heute?!" Meine Antwort war: „Wenn sie uns nicht früher schicken, so können wir nichts dafür."

Während des gesamten Sicherungseinsatzes bot das Bundesheer etwa 7.700 Soldaten auf. Bis zu 1.600 befehligte an der 130 Kilometer langen steirisch-slowenischen Grenze der damalige Oberstleutnant Josef Paul Puntigam, der lange auch Kommandant des Landwehrstammregiments 53 in Straß gewesen ist. Zwar war durch die ausgezeichnete Aufklärung des Heeresnachrichtenamtes klar, dass die jugoslawische Volksarmee keinen Angriff auf Österreich beabsichtigte; doch auch der taktischen Ebene an der Grenze galt es durchaus brenzlige Situationen zu bewältigen. So hatte Puntigam am Hochgrassnitzberg jugoslawische Soldaten zu überreden, ihre Waffen zu strecken und sich den slowenischen Soldaten zu ergeben. Zu verhindern galt es Übertritt jugoslawischer Soldaten, die unter Verletzung des österreichischen Luftraums bei Grenzübergang Spielfeld mit Hubschrauber gelandet war. Beim kleinen Grenzübergang Sveti Duh musste das Bundesheer jugoslawische und slowenische Soldaten trennen, die nach einer Schießerei auf österreichisches Gebiet ausgewichen waren. Dazu sagt Josef Paul Puntigam:  "Ich glaube bei den Jugoslawen war das eine Karaula-Besatzung, also eine Schützengruppe, ich glaube fünf bis sechs Soldaten; und bei den Slowenen waren es auch drei bis fünf Leute; also wenig Leute, aber genug, um sich gegenseitig umzubringen."

Angesichts all dieser Situation hält es Puntigam nach wie vor für falsch, dass man voll ausgebildete Grundwehrdiener nach sechs Monaten Ausbildung abrüsten ließ, ihren Präsenzdienst nicht verlängerte, aber Grundwehrdiener einsetzte, die gerade drei Monate Ausbildung hinter sich hatten: "Falsch kann man nicht steigern, aber das ist steigerbar. Falscher kann man eine Unterlassung nicht bezeichnen als wie ausgebildete Grundwehrdiener genau im Zeitpunkt der Krise wieder heimzuschicken."

Diese Entscheidung rechtfertigt der damalige Verteidigungsminister Werner Fasslabend so: "Das war der einfache Grund, die hatten schon abgerüstet, die hatten schon mehr oder weniger ihre Sachen abgegeben, so dass man einfach auf die bestehenden Kräfte zugegriffen und die nicht noch einmal zurückgeholt hat; eben um auch den Eindruck nicht zu erwecken, dass da eine besondere militärische Maßnahme ergriffen wird."

Fasslabends großes Verdienst ist es, den Sicherungseinsatz überhaupt befohlen zu haben und das Bundesheer selbständig nach dem Wehrgesetz eingesetzt zu haben – spät aber doch, denn die Grenzbevölkerung in Kärnten und der Steiermark war sehr besorgt und der politische Druck, unter dem die Landeshauptleute standen, war sehr groß. Andererseits herrschten in der Koalition zwischen SPÖ und ÖVP, zwischen Bundeskanzler Franz Vranitzy einerseits sowie Außenminister Alois Mock und Vizekanzler Erhard Busek anderseits, durchaus unterschiedliche Auffassungen zur Jugoslawien-Krise. Werner Fasslabend erinnert sich: "Zum Sicherungseinsatz hat es sicherlich auch unterschiedliche Positionen gegeben, wie grundsätzlich zur Frage der Selbständigkeit unserer Nachbarstaaten, das heißt, von Slowenien und Kroatien. Es war so, dass sowohl Alois Mock als auch ich der Meinung waren, dass ein Sicherungseinsatz durchaus notwendig und sinnvoll ist, und den haben wir dann auch durchgeführt. Ich habe natürlich auch den Bundespräsidenten und den Bundeskanzler davon verständigt; und der Bundeskanzler hat es auch zur Kenntnis genommen mit den Worten: "Das ist Ihre Verantwortung, Herr Kollege."

Der Sicherungseinsatz an der Staatsgrenze war der größte militärische Einsatz des Bundesheeres in seiner Geschichte. Am Ende ging alles gut, und kein einziger österreichischer Soldat kam ums Leben. Das Fazit von Josef Paul Puntigam lautet so: "Unsere stärkste Waffe war das Glück. Wir hatten unzählige Male einfach Glück. Natürlich war der Kader exzellent ausgebildet; natürlich wurde sehr klug durch die militärische Führung immer entschieden. Aber auf Dauer hat der Tüchtige Glück. Und hätten wir dieses Glück nicht gehabt - ich getraue mich nicht zu sagen, wie der Einsatz dann wirklich abgelaufen wäre."

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