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Themenpaket 25 Jahre Zerfall Jugoslawien TVthek Interview mit Milan Kucan

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Berichte Slowenien
Am 25. Juni 1991 – und damit heute vor 25 Jahren vollzog Slowenien auch offiziell seinen Austritt aus Jugoslawien und feierte seine Unabhängigkeit. Einen Tag später begann der sogenannte 10-Tage-Krieg der jugoslawischen Volksarmee, der etwa 80 Tote forderte. Anfang Oktober zog die Volksarmee schließlich aus Slowenien ab. Weit blutiger sollten die weiteren Zerfallskriege in Kroatien und Bosnien und Herzegowina werden, wobei der Zerfall Jugoslawiens im Grunde erst mit dem Kosovo-Krieg der NATO im Jahre 1999 und der Unabhängigkeitserklärung Montenegros vor zehn Jahren endete. Ein wichtiger und heute noch lebender Zeitzeuge der Schlüsselereignisse des Zerfalls ist der 1941 geborene Slowene Milan Kucan, der Vater der slowenischen Unabhängigkeit; zunächst Vorsitzender der slowenischen Kommunisten wurde Kucan im April 1990 erster freigewählter Präsident Sloweniens, ein Amt, das er nach seiner Wiederwahl bis zum Jahre 2002 ausübte. Kucans historisches Verdienst ist die Transformation des kommunistischen Einparteiensystems in Slowenien in eine demokratische, pluralistische Gesellschaft. Mit Milan Kucan hat in Laibach unser Balkan-Korrespondent über die Gründe für den Zerfall des jugoslawischen Vielvölkerstaates gesprochen:

Am 4. Mai 1980 starb der jugoslawische Diktator Josip Broz Tito. Sein Staatsbegräbnis vier Tage später in Belgrad war das bedeutendste Gipfeltreffen der Weltpolitik in diesem Jahr. Denn als Führer der Blockfreien-Bewegung im Kalten Krieg hatte das kommunistische Jugoslawien eine internationale Bedeutung, die es später nie wieder erlangen sollte. Unklar war aber bereits damals, was Titos Tod für die Zukunft Jugoslawiens bedeuten würde:

„An einen Zerfall dachte ich nicht; aber dass wir Probleme haben würden, dass sahen wir alle. Denn ein Mann war nur schwer zu ersetzen, der so viele Jahre Jugoslawien regiert hatte. Tito war das grundlegende integrative Band zwischen sehr unterschiedlichen Völkern, mit sehr unterschiedlicher Kultur, Tradition und Geschichte.“

Titos Mausoleum, das Haus der Blumen in Belgrad, zieht noch immer viele Besucher an. Zwischen Titos Tod im Jahre 1980 und dem Beginn des blutigen Zerfalls seines Vielvölkerstaates vergingen immerhin mehr als zehn Jahre. Warum gelang es in dieser Zeit nicht, Jugoslawien neu zu gestalten oder wenigstens einem friedlichen Zerfall den Weg zu ebnen:

„Es gab mehrere Gründe. Die Interessen der einzelnen Republiken gewannen die Überhand gegenüber dem Interesse an einem Zusammenleben. Nach Titos Tod fehlte die Figur, die das grundlegende integrative Band im sozialistischen Jugoslawien war. Außerdem wuchs sich die Wirtschaftskrise zu einer politischen und moralischen Krise aus. Kompromittiert war die Idee des Sozialismus, die die Völker Jugoslawiens vereint hatte. Schließlich zerfiel im Jänner 1990 der Bund der jugoslawischen Kommunisten durch unseren Auszug aus dem Parteikongress. Dann zerfiel der gemeinsame jugoslawische Markt wegen der Blockade durch Serbien. Somit blieb nur die Jugoslawische Volksarmee, die als multinationale Gemeinschaft nicht der Garant für das Fortbestehen des gemeinsamen Staates sein konnte. All diese Faktoren zeigten, dass ein Zusammenleben nicht mehr möglich war.“

Hätte eine jugoslawische Konföderation eine dauerhafte Lösung oder nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Zerfall Jugoslawiens sein können?

„Wir sahen in der Konföderation einen Schritt zum Ziel eines friedlichen Zerfalls von Jugoslawien. Nach der Volksabstimmung im Dezember 1990 schlugen wir allen anderen Republiken in einer Resolution eine friedliche Trennung vor. Doch eine Antwort bekamen wir nur vom kroatischen Parlament. Damit war völlig klar, dass es keine andere Lösung mehr als den Zerfall des Staates gab. Wir hofften weiter auf einen friedlichen Weg, weil wir uns bewusst waren, dass die Alternative nur ein blutiger und tragischer Zerfall sein konnte, der sich dann leider auch ereignet hat.“

Das beginnende jugoslawische Drama stand aber auch im Schatten weltpolitischer Ereignisse. Im November 1989 fiel die Berliner Mauer; eine neue geopolitische Ära brach in Europa an. Der Warschauer Pakt löste sich auf und zwei Jahre später, im Dezember 1991, zerfiel die Sowjetunion. Damit endeten der Kalte Krieg und auch die Blockkonfrontation in Europa. Diese Entwicklungen hatten auch massive Folgen für das blockfreie Jugoslawien.

„Jugoslawien war mit seiner Politik der Blockfreiheit und seiner Spielart des Sozialismus eine Art Pufferzone zwischen Ost und West, zwischen der Blockkonfrontation. Daher herrschte die Überzeugung, dass man Jugoslawien bewahren müsse. Doch mit dem Ende der Blöcke in Europa durch den Fall der Berliner Mauer wurde die Rolle Jugoslawiens bedeutungslos. Doch damals bestand noch die Sowjetunion; und einer der Faktoren, die eine Zurückhaltung der Internationalen Gemeinschaft beim Zerfall Jugoslawiens verursachte, war die Angst vor einem unkontrollierten Zerfall der Sowjetunion. Doch als dieser Staat dank Michael Gorbatschow friedlich zerfiel, gab es auch keinen Grund mehr, die Haltung zum Zerfall Jugoslawiens nicht zu ändern.“

Bereits sechs Monate vor dem Ende der Sowjetunion, am 25. Juni 1991, verkündete Slowenien in Laibach feierlich seine Unabhängigkeit. Dafür hatten im Dezember 1990 fast 90 Prozent der Bürger gestimmt. Bereits am 26. Juni begann dann der Krieg, der in Slowenien aber nur zehn Tage dauert und nur 80 Tote forderte. Wann wurde Milan Kucan klar, dass die Kriege in Kroatien und Bosnien und Herzegowina viel länger dauern und auch unvergleichlich mehr Opfer kosten würden?

„Im Oktober begann der Abzug der Jugoslawischen Volksarmee aus Slowenien. Ein Teil der Armee zog sich nach Kroatien zurück; der Hauptteil wurde aber in Bosnien und Herzegowina stationiert, und zwar entlang der sogenannten ethnischen serbischen Grenze; da war klar, dass sich diese Armee auf einen Angriff vorbereitet, auf einen Krieg gegen das souveräne Bosnien und Herzegowina. Damit war auch klar, dass sich der Krieg schrittweise von Kroatien auf Bosnien und Herzegowina verlagern würde: klar war auch, dass die serbische Führung unter Milosevic geschickt den Krieg von ihrem Territorium nach Bosnien und Herzegowina exportieren würde, und zwar im Kampf um die sogenannte „Republika Srpska“, die später gebildet wurde auf der Grundlage des eroberten Territoriums.“

Die Politik des serbischen Autokraten Slobodan Milosevic – hier bei seiner martialischen Rede im Kosovo, 1989, zum 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld, war zweifellos ein Hauptgrund für den blutigen Zerfall von Jugoslawien. Doch es gibt noch tiefere Gründe, die über Milosevic selbst hinausreichen:

Es gab mehrere Gründe; einer der wichtigsten war das unterschiedliche Verständnis davon, was Jugoslawien ist. Dieser Unterschied zwischen serbischer und slowenischer Sichtweise bestand seit 1918. Die Serben verstanden Jugoslawien als Möglichkeit, dass alle Serben in einem Staat leben konnten; das war ihr Hauptinteresse. Die Slowenen und teilweise auch die Kroaten sahen Jugoslawien als Staat, der Sicherheit, Entwicklung und Gleichberechtigung all seiner Völker gewährleistete, die sich freiwillig zusammengeschlossen hatten. Dieser Staat hatte große kulturelle Unterschiede; hinzu kamen große Unterschiede der wirtschaftlichen Entwicklung. Und nach Titos Tod zeigte sich die Unfähigkeit, zwei Prinzipien zu achten, die für einen Vielvölkerstaat unerlässlich sind. Das erste ist die nationale Gleichberechtigung, die an serbischen Hegemoniebestrebungen scheiterte. Zweitens muss der Staat funktionieren können, sonst hat er keinen Sinn. Da beide Prinzipien nicht verwirklicht wurden, war es logisch, über eine Alternative nachzudenken; sie bestand für uns in einem friedlichen Zerfall des Staates.“

Auf dem Weg zur Unabhängigkeit arbeiteten Slowenien und Kroatien eng zusammen; doch die Ausgangslage für beide Republiken war nicht dieselbe; erschwert wurde der Gleichschritt auch durch die nationalistische Politik des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman, der der serbischen Volksgruppe jedenfalls nicht die Angst vor den Folgen einer kroatischen Unabhängigkeit nahm.

„Wir wussten, dass die Zusammenarbeit mit Kroatien riskant sein konnte und zwar wegen der vielen Serben, die in Kroatien lebten, und die ein konstitutiver Bestandteil dieses Staates waren. Damals dominierte in Kroatien die nationalistische These, wonach Kroatien nur der Staat des kroatischen Volkes ist und dass die Serben eine Minderheit sind. Das akzeptierten die Serben nicht, die historisch in Kroatien lebten. Sie waren bereits beeinflusst von der nationalistischen Politik von Slobodan Milosevic, und so kam es zum Konflikt. Damals forderte die Internationale Gemeinschaft geregelte Verhältnisse zu den Minderheiten; sie hatte Slowenien zu den italienischen und ungarischen Volksgruppen, die unsere Unabhängigkeit unterstützten. Daher hatten wir keine Probleme, während die Kroaten Probleme mit den Serben hatten. Und das bedrohte auf gewisse Weise das Projekt der Unabhängigkeit Doch zu unserm Glück und zum Unglück von Bosnien und Herzegowina, erkannte die Internationale Gemeinschaft Slowenien und Kroatien schnell an, weil die Haltung dominierte, dass damit die Leidenschaften in Bosnien und Herzegowina gedämpft werden könnten.“

Die EU war in der Frage der Anerkennung von Slowenien und Kroatien 1991 tief gespalten. Die Frontstellungen zweier Weltkriege waren unübersehbar. Doch nun ist Slowenien bereits 12 Jahre Mitglied der Europäischen Union; Kroatien ist es seit drei Jahren. Alle anderen jugoslawischen Nachfolgestaaten haben noch einen weiten Weg vor sich. Widmet die EU dem Balkan genügend Aufmerksamkeit, oder ist sie zu sehr mit eigenen Problemen befasst?

„Meiner Ansicht nach beschäftigt sich die EU zu wenig mit dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien und mit dem gesamten Balkan, und die EU ist sich nicht bewusst, wie sensibel diese Region für ihre gesamte Sicherheit und Stabilität ist. Natürlich ist die EU in Beschlag belegt mit anderen Fragen, die aktueller sind. Dazu zählen die Krise der Flüchtlinge und noch die Krise Griechenlands, die gezeigt hat, wie verwundbar und eigentlich wenig integriert die EU ist, was ihre Interessen und Ideen betrifft. Im Wesentlichen dominiert in der EU eine pragmatische Politik, weil die großen Staatsmänner weg sind, die mit der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges die Idee der EU geboren haben. Gekommen sind nun jüngere und pragmatische Politiker, die diese europäische Idee nicht leben, die sich mit ihr nicht völlig identifizieren. Hinzu kommt, dass sich mit dieser europäischen Idee nicht jene neuen Staaten identifizieren, die aus dem Osten kommen. Die EU muss mit einer grundlegenden Erörterung darüber beginnen, was sie ist, was ihre Ziele sind und welchen Platz sie in der Welt einnehmen muss. Denn auf diese Frage hat Europa keine Antwort. Unser Europa lebt zum Teil noch in der Illusion, dass es ein Träger der Entwicklung der weltweiten Zivilisation ist. So war es 500, 600 Jahre, doch das stimmt jetzt nicht mehr; es gibt neue Zentren der Zivilisation, China, Indien, USA. Europa spielt nicht mehr die Rolle, die es spielen kann. Viele weltweite Fragen entscheiden sich neben Europa oder nur unter sehr geringem Einfluss Europas, weil Europa nicht in der Lage ist, seine gemeinsamen Interessen zu formulieren.“

25 Jahre nach dem Beginn des Zerfalls haben nur Slowenien und Kroatien die Integration in EU und NATO erreicht. Die anderen Nachfolgestaaten von Jugoslawien haben noch einen weiten Weg vor sich, und die Folgen des Zerfalls sind noch lange nicht überwunden. In der Krise ist seit Jahren aber auch die EU, ebenfalls ein Zusammenschluss vieler Völker. Kann sie etwas aus dem Zerfall des jugoslawischen Vielvölkerstaates lernen?

„Einige Probleme sind identisch. Dazu zählt ein Schlüsselproblem Jugoslawiens, das der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung, dass es auch in der EU gibt. Die EU hat keinen richtigen Mechanismus, der die Entwicklung weniger entwickelter Staaten beschleunigt, um die besser entwickelten einzuholen. Hinzu kommt, dass ein Teil der EU aus der Eurozone ausgeschlossen ist, die ihrer eigenen Logik folgt. Das zweite gemeinsame Problem ist die Frage nach der Gleichberechtigung der Mitglieder und der Funktionalität der EU. Damit verbunden ist die Frage der Souveränität; denn eine Integration der Außen-, Verteidigungs-, Sicherheits,- und Geldpolitik bedeutete den Souveränitätsverlust ihrer Mitglieder. In der EU schützen alle ihre Mitglieder diese Bereiche, obwohl sie gemeinsam leben und daran großes Interesse haben. Daher wird auch ein Teil ihrer Souveränität auf EU-Ebene ausgeübt. Doch geschützt werden die Entscheidungsmechanismen, die diese Aufgaben betreffen. Sei es, dass alle gleichberechtigt entscheiden, dass es ein Veto-Recht oder Mehrheitsbeschlüsse gibt. Jugoslawien konnte diese Frage nicht lösen, und so kam es schließlich zum Zerfall. Ich hoffe, dass die EU Antworten finden wird, und dass es nicht zu ihrem Zerfall kommt.“

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