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Interview mit Milan Kucan zu 25 Jahre Unabhängigkeit

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Berichte Slowenien
Am 25. Juni 1991 – und damit heute vor 25 Jahren vollzog Jugoslawien auch offiziell seinen Austritt aus Jugoslawien und feierte seine Unabhängigkeit. Einen Tag später begann der sogenannte 10-Tage-Krieg der jugoslawischen Volksarmee, der etwa 80 Tote forderte. Anfang Oktober zog die Volksarmee schließlich aus Slowenien ab. Weit blutiger sollten die weiteren Zerfallskriege in Kroatien und Bosnien und Herzegowina werden, wobei der Zerfall Jugoslawiens im Grunde erst mit dem Kosovo-Krieg der NATO im Jahre 1999 und der Unabhängigkeitserklärung Montenegros vor zehn Jahren endete. Vater der slowenischen Unabhängigkeit war Milan Kucan; zunächst Vorsitzender der slowenischen Kommunisten und seit April 1990 auch erster freigewählter Präsident Sloweniens. Mit ihm hat in Laibach unser Balkan-Korrespondent über die Gründe für den Zerfall des jugoslawischen Vielvölkerstaates gesprochen; hier sein Bericht:

Der kleingewachsene Milan Kucan ist zwar seit Dezember 2002 und damit seit 14 Jahren nicht mehr Präsident Sloweniens, trotzdem ist er in gewisser Weise noch immer die graue Eminenz der slowenischen Politik. Kucans historisches Verdienst ist die Transformation des kommunistischen Einparteiensystems in Slowenien in eine demokratische, pluralistische Gesellschaft. Warum die Transformation des kommunistischen Jugoslawien insgesamt scheiterte und dieser Vielvölkerstaat schließlich blutig zerfiel, erläutert in Laibach Milan Kucan so:

„Die Interessen der einzelnen Republiken gewannen die Überhand gegenüber dem Interesse an einem Zusammenleben. Nach Titos Tod fehlte die Figur, die das grundlegende integrative Band war im sozialistischen Jugoslawien war. Außerdem wuchs sich die Wirtschaftskrise zu einer politischen und moralischen Krise aus. Kompromittiert war die Idee des Sozialismus, die die Völker Jugoslawiens vereint hatte. Schließlich zerfiel im Jänner 1990 der Bund der jugoslawischen Kommunisten durch unseren Auszug aus dem Parteikongress. Dann zerfiel der gemeinsame jugoslawische Markt wegen der Blockade durch Serbien. Somit blieb nur die Jugoslawische Volksarmee, die als multinationale Gemeinschaft nicht der Garant für das Fortbestehen des gemeinsamen Staates sein konnte. All diese Faktoren zeigten, dass ein Zusammenleben nicht mehr möglich war.“

Ein weiter Grund war natürlich das Hegemoniestreben Serbiens unter Führung des Autokraten Slobodan Milosevic. Doch die gegensätzlichen Vorstellungen zwischen Serben und Slowenen zur Rolle Jugoslawiens reichen bis zur Gründung des Staates der Südslawen im Jahre 1918 zurück, betont Milan Kucan:

Die Serben verstanden Jugoslawien als Möglichkeit, dass alle Serben in einem Staat leben konnten; das war ihr Hauptinteresse. Die Slowenen und teilweise auch die Kroaten sahen Jugoslawien als Staat, der Sicherheit, Entwicklung und Gleichberechtigung all seiner Völker gewährleistete, die sich freiwillig zusammengeschlossen hatten. Dieser Staat hatte aber große kulturelle Unterschiede; hinzu kamen große Unterschiede der wirtschaftlichen Entwicklung. Und nach Titos Tod zeigte sich die Unfähigkeit, zwei Prinzipien zu achten, die für einen Vielvölkerstaat unerlässlich sind. Das erste ist die nationale Gleichberechtigung, die an serbischen Hegemoniebestrebungen scheiterte. Zweitens muss der Staat funktionieren können, sonst hat er keinen Sinn. Daher war es logisch, über eine Alternative nachzudenken; sie bestand für uns in einem friedlichen Zerfall des Staates.“

Doch dazu kam es nicht. Abgesehen von Slowenien hat das ehemalige Jugoslawien die Folgen seines blutigen Zerfalls noch nicht überwunden; seit Jahren in der Krise ist aber auch eine andere Vielvölker-Gemeinschaft – die EU. Können sie und ihre Mitglieder aus dem Zerfall von Jugoslawien etwas lernen. Milan Kucan bejaht:

„Einige Probleme sind identisch. Dazu zählt ein Schlüsselproblem Jugoslawiens, das der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung, dass es auch in der EU gibt. Die EU hat keinen richtigen Mechanismus, der die Entwicklung weniger entwickelter Staaten beschleunigt, um die besser entwickelten einzuholen. Hinzu kommt, dass ein Teil der EU aus der Eurozone ausgeschlossen ist, die ihrer eigenen Logik folgt. Das zweite gemeinsame Problem ist die Frage nach der Gleichberechtigung der Mitglieder und der Funktionalität der EU. Damit verbunden ist die Frage der Souveränität. Jugoslawien konnte diese Frage nicht lösen, und so kam es schließlich zum Zerfall. Ich hoffe, dass die EU Antworten finden wird, und dass es nicht zu ihrem Zerfall kommt.“

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