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Slowenien zwischen Demonstrationen und Borut Pahor

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Was ist nur mit Slowenien los? Bis 2008 galt das Land als der Musterschüler unter den gar nicht mehr so neuen EU-Mitgliedern. Doch nun herrschen Wirtschaftskrise und politische Polarisierung, und aus Laibach und Maribor sieht man Bilder nicht nur von Massendemonstrationen, sondern auch von Ausschreitungen und Angriffen auf die Polizei. Der Unmut der friedlichen Demonstranten richtet sich aber nicht nur gegen die Regierung, sondern die politische Elite insgesamt. Von dieser Politik-Verdrossenheit profitiert jedoch der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Borut Pahor. Durch seinen unorthodoxen Billigwahlkampf setzte er bei vielen Slowenen einen Kontrapunkt und fegte Danilo Türk aus dem Präsidentenamt. Pahor propagierte Hoffnung statt Pessimismus, Kooperation statt Konflikt. Doch was kann der weitgehend machtlose Präsident eigentlich in einem Klima der Polarisierung zwischen Opposition und Regierung ausrichten, und was sind die Gründe für diese Massenproteste? Antworten auf diese Fragen gibt im folgenden Beitrag unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

„Ihr schützt die Gauner“ – riefen Demonstranten in Laibach der Polizei zu, die sie dann mit Steinen und anderen Gegenständen bewarfen. Zwar ist die Gruppe der Randalierer nur klein, umso größer ist dafür die Unzufriedenheit vieler Slowenen nicht nur mit der Regierung, sondern mit der politischen Elite insgesamt. Symbol für Korruption und Misswirtschaft war der Marburger Bürgermeister Franc Kangler und daher begannen die Proteste auch in Maribor. Sie entzündeten sich daran, dass Kangler massenhaft Radarfallen aufstellen ließ, und zwar als Mittel zur Geldbeschaffung, weil die Stadt die Erneuerung von Ampeln nicht mehr finanzieren kann. Die Protestwelle sprang rasch auf andere Städte über und nun demonstrieren auch Studenten und Professoren gegen Einsparungen bei den Hochschulen. Die Wurzeln der Unzufriedenheit beschreibt der frühere Sozialminister in der Regierung von Borut Pahor, der Professor für Sozialwissenschaften an der Universität Laibach, Ivan Svetlik:

„Um diese Demonstrationen zu verstehen, muss man sich bewusst sein, dass es in Slowenien von 1993 bis 2008 ein ständiges Wachstum der Wirtschaft und des Lebensstandards gab. In dieser Zeit wuchs eine neue Generation heran, die keine Erfahrung mit früheren Krisen hat; und jene, die Erfahrungen damit hatten, haben vergessen, dass wieder schwere Zeiten kommen können. So hat sich die Bereitschaft zum Wandel von 2008 bis heute nur allmählich erhöht und ist noch verhältnismäßig niedrig.“

Im Sommer 2011 war das Krisenbewusstsein noch viel geringer; das nutzen Gewerkschaften und die Opposition unter dem nunmehrigen Regierungschef Janez Jansa und brachten die Reform von Pensionssystem und Arbeitsmarkt durch Referenden zu fall. Dieser Sieg erwies sich als Pyrrhussieg. Sloweniens Wirtschaft schrumpft heuer um mehr als zwei Prozent, und Sparzwang und Reformdruck sind noch größer. Daher wird es zu keinem Referendum gegen die fast identische Pensionsreform kommen, die das Parlament vorgestern beschloss. Auch beim Arbeitsmarkt ist eine Einigung möglich. Doch gegen Bankenreform und Staatsholding, in der das Staatseigentum zusammengefasst wurde, drohen Referenden, weil die politischen Gegensätze zu groß sind. Dazu sagt der konservative Ministerpräsident Janez Jansa:

„Die Regierung hat beide Gesetze im Juli zur parlamentarischen Lesung vorgeschlagen. Dann haben wir alle Parteien zu einem Treffen eingeladen und auf Wunsch der Opposition auch die Frist verlängert, um eine Übereinstimmung zu finden. Doch die Opposition vertritt ein anderes Konzept als die Regierung vorgeschlagen hat. So hat die Regierung all dem eigentlich mehr Zeit gewidmet als ihr zur Verfügung stand, und wir müssen feststellen, dass es am Ende zur Blockade kam.“

Jansa wichtigster Gegner ist der Sozialdemokrat Zoran Jankovic, Bürgermeister von Laibach und Vorsitzender der stärksten Oppositionspartei. Jansa und Jankovic verbindet nicht nur herzliche persönliche Abneigung, sie trennen Ideologie und Tagespolitik. Zoran Jankovic bringt das Verhältnis so auf den Punkt:

„Das Problem besteht darin, dass wir uns völlig darin unterscheiden, wie wir Slowenien voranbringen können. Denn offensichtlich scheitert auch der Kapitalismus, und wir müssen eine neue Form des Zusammenlebens suchen. Dabei geht es vor allem darum, die großen Unterschiede zu verringern, zwischen denen die viel haben, und denen die fast nichts haben. Das kann keine glückliche Gesellschaft sein, wo so viele Menschen Probleme haben, Wohnung, Nahrung und Grundbedürfnisse zu decken.“

Der Machtkampf der beiden fand auch bei der Präsidentenwahl statt. Jankovic unterstützte den am Sonntag abgewählten Danilo Türk, der die Regierung massiv kritisiert hatte. Jansa unterstützte vor der Stichwahl Borut Pahor, der aber nicht wegen der Wahlhilfe durch den unpopulären Regierungschef siegte, sondern wegen seines volksnahen Wahlkampfs. Dazu sagt Pahors Wahlkampfmanagerin Alja Brglez:

„Gewöhnlich geht es bei einem Wahlkampf darum, wie man an die Menschen herankommt, damit sie Dir zu hören. Bei uns war das umgekehrt; uns hat interessiert, was die Menschen uns sagen haben. So hat Borut Pahor in Arbeitskollektiven und in Firmen oder bei Bauern gearbeitet und zwar acht Stunden pro Tag und das sechs Wochen lang. Auf diese Weise ist Pahor ganz anders an die Menschen herangekommen, und zwar auch ganz anders als die Menschen das bisher von Politikern gewohnt waren.“

In Zeiten der tiefen Kluft zwischen Bürgern und Politikern führte der Wahlkampf zum vollen Erfolg; erst vor einem Jahr als Ministerpräsident abgewählt gewann Pahor nun 67 Prozent der Stimmen, wobei die Wahlbeteiligung mit 41 Prozent einen historischen Tiefststand erreichte. Hoffnung statt Verzweiflung, Kompromiss statt Konflikt lauteten Pahors Botschaften, der nicht in der Regierung, sondern im Reformstau das Hauptproblem sieht. Borut Pahor:

„Ich war das Opfer einer falschen Illusion, dass alles besser wird, wenn die Regierung fällt Das betrifft auch jene, die nun an der Macht sind. Sie dürfen diese Erfahrung nicht auch machen, weil Slowenien keine Zeit zu verlieren hat und jetzt gestärkt werden muss. Wir dürfen die Regierung nicht stürzen, weil wir gemeinsam aus diesen enormen Problemen herauskommen müssen.“

In Slowenien hat der Präsident so wie in Österreich kaum reale Macht. Daher ist es fraglich, ob Pahor zwischen den politischen Lagern vermitteln kann. Skeptisch ist Ivan Svetlik:

„Es ist mit dem Regierungschef sehr schwer so zu verhandeln, dass er auch einen Schritt auf die Opposition zu geht; doch das wäre in der gegenwärtigen Lage nötig. Ich kann Borut Pahor nur alles Gute wünschen, dass es ihm gelingt, gegensätzliche Interessen wenigsten dort zu verbinden, wo es um entscheidende Vorhaben geht, die der Staat umsetzen muss. Ich bin jedenfalls kein großer Optimist, weil ich Ministerpräsident Janez Jansa von früher kennen.“

Angesichts der Proteste wartete Jansa aber nicht auf Borut Pahor, der sein Amt erst in zwei Wochen antritt, sondern versuchte selbst in die Offensive zu gehen. So schlug der Regierungschef eine umfassende Reform des politischen Systems vor; als Kern nannte Jansa folgende Punkte:

„Wir schlagen die Direktwahl der Abgeordneten vor. Dabei soll die absolute Mehrheit im Wahlkreis nötig sein, damit ein Abgeordneter gewählt ist. Zweitens soll die Abberufung eines Abgeordneten auch während der Dauer seines Mandates möglich sein. Drittens soll die Abberufung eines Bürgermeisters möglich sein, dessen Amtsdauer auf zwei Mandate begrenzt wird. Als Alternative schlagen wir die Direktwahl des Bürgermeisters vor.“

Außerdem erklärte sich Jansa plötzlich bereit, über Neuwahlen zu verhandeln. Die Reaktionen waren eher negativ, auch unter den Koalitionspartnern. Dazu zählt die liberale Liste von Gregor Virant, der derzeit Parlamentspräsident ist. Chancen sieht Virant aber für einen Kompromiss, um das Abhalten von Volksabstimmungen zu erschweren, für deren Gültigkeit es derzeit keine Untergrenze bei der Stimmbeteiligung gibt: Gregor Virant:

„Die Blockade durch Referenden ist einer der zentralen Gründe für die politische Instabilität und für unsere schlechte Bonität und unsere schwache Stellung auf den internationalen Finanzmärkten: Experten haben einen Reformvorschlag ausgearbeitet, von dem ich hoffe, dass ihn alle Parteien unterstützen werden."

Selbst wenn diese Hoffnung nicht trügt, ist es fraglich ob Referenden gegen Bankenreform und Staatsholding noch zu verhindern sind, die bei einer Volksabstimmung wohl abgelehnt würden. Es bedarf nur wenig Phantasie, um die Reaktion der Ratingagenturen vorherzusehen, sollten wichtige Reformen wieder der politischen Polarisierung zum Opfer fallen. Slowenien stehen somit Weichenstellungen bevor, die zeigen werden, ob das Land ohne fremde Hilfe in der Lage ist, die tiefe Krise zu meistern.

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