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Slowenien zwischen Reformdruck und Reformstau

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Vom EU-Musterschüler zum Krisenfall – diesen Wandel seines Images hat unser Nachbar Slowenien in den vergangenen vier Jahren erlebt. Von der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die stark exportorientierte slowenische Wirtschaft massiv getroffen. Hinzu kam eine Bankenkrise, denn auch die Banken hatten viel zu leichtfertig und unter politischem Einfluss Kredite vergeben. Zusätzlich verschlimmert hat die Krise der massive Zusammenbruch großer Baufirmen, war doch die Bauwirtschaft der zweite Wachstumsmotor des Landes. Außerdem gerieten viele große private Firmen in Probleme, die Manager durch Kredite bei Banken übernommen hatten. Denn die Aktien der Firmen, die als Sicherheit dienten verloren drastisch an Wert, während die Gewinne der Firmen einbrachen. Hinzu kam noch eine politische Krise, und so regiert nun in Slowenien seit einem Jahr eine neue Fünf-Parteien-Koalition, die nicht nur sparen sondern auch noch viele versäumte Strukturreformen durchführen muss. Über die Lage in Slowenien berichtet unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

In einem Außenbezirk von Laibach lebt die 34-jährige Elvira Kismetovic mit ihren drei Kindern im Alter von drei, 11 und 15 Jahren. Vor 18 Monaten starb Elviras Mann im Alter von nur 36 Jahren an Krebs. Um ihn in seinen letzten Monaten zu pflegen, hatte die zierliche, blonde Elvira ihre Stelle bei der Handelskette Mercator aufgegeben. Unter welchen finanziellen Bedingungen die Familie nun lebt, beschreibt Elvira Kismetovic so:

"Als Witwenpension bekomme ich monatlich 118 Euro; und dieselbe Summe bekommt auch jedes meiner Kinder so dass wir monatlich etwa 480 Euro haben. Hinzu kommen noch 350 Euro Kinderbeihilfe. Im Vorjahr bezog ich noch 300 Euro Sozialhilfe als alleinerziehende Mutter, doch seit erstem Jänner 2012 ist ein neues Gesetz in Kraft, und da gibt es diesen Anspruch nicht mehr. Seit Jänner bekam ich für uns Vier 11 Euro Sozialhilfe im Monat, doch mit 1. September wurde auch dieser Betrag gestrichen."

Nach Abzug aller Fixkosten bleiben der Familie Kismetovic 300 Euro im Monat. Jeder Cent wird drei Mal umgedreht, gekauft werden vor allem Sonderangebote in Supermärkten und Kleidung bei Diskontern. Arbeit hat Elivira Kismetovic keine; in Frage käme wegen der Kinder nur eine Halbtagsjob, doch dann würde sie auch einen Teil ihrer Finanzhilfe durch den Staat verlieren. Unterstützt wird die Familie mit einem Lebensmittelpaket im Monat von der Caritas. Wie stark in Slowenien die Armut gestiegen ist, zeigt ein Besuch bei einer Ausgabestelle des Roten Kreuzes in Laibach. Auch hier werden Grundnahrungsmittel wie Reis, Mehl, Öl und Konserven verteilt. Pensionisten, Arbeitslose und junge Menschen, die keine Arbeit finden, kommen in immer größerer Zahl. Zum wachsenden Andrang sagt der Generalsekretär des slowenischen Roten Kreuzes Danijel Starman:

"In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Hilfesuchenden von weniger als 100.000 auf fast 150.000 erhöht. 2007 haben wir 1.700 Tonnen an Lebensmittel verteilt; im vergangen Jahr waren es bereits mehr als 3.700 Tonnen. Die Not wird immer größer, Ersparnisse gibt es keine mehr, und daher hängen viele von unserer Hilfe ab und zwar nicht nur am Land; gerade auch in den Städten, wo es keine Gärten und keine Nachbarschaftshilfe gibt, ist die soziale Not groß."

Knapp neun Prozent der zwei Millionen Bürger Sloweniens sind arbeitslos. Das offizielle Durchschnittseinkommen liegt bei eintausend Euro netto. Doch es gibt große Unterschiede; so hat Slowenien die europaweit höchste Rate an arbeitenden Studenten; ihre Arbeitskraft wird nicht besteuert, doch im Durchschnitt verdienen sie auch nur 4,3 Euro pro Stunde. Diese Studenten sind ein billiges Reservoir an Arbeitskräften und ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit, den Arbeitsmarkt zu reformieren. Seine grundlegenden Probleme beschreibt der Wirtschaftsexperte, der frühere Präsident der slowenischen Nationalbank, Mitija Gaspari:

"In Slowenien haben wir eine schlechte Flexibilität des Arbeitsmarktes. So haben wir sehr viele neue Beschäftigte, die nur auf befristete Zeit beschäftigt sind. Bei diesen sind die Rechte der Arbeitnehmer wesentlich schlechter geschützt als bei unbefristet Beschäftigten. Doch diese Sicherheit ist tatsächlich formal, weil sich die Wirtschaftslage sehr verschlechtert hat; denn die Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, wenn Betriebe in Konkurs gehen. In Slowenien müssen wir zunächst ein Dilemma lösen: wenn wir eine sehr stabile Beschäftigung haben wollen, dann müssen die Löhne sehr flexibel sein; wenn wir sehr stabile Löhne haben wollen, dann muss die Art der Beschäftigung flexibler sein. Doch wir konnten uns bisher zwischen beiden grundlegenden Ideen nicht entscheiden, und wollten beides.“

Doch beides geht eben nicht, weil Sloweniens Wirtschaft massiv mit der EU und dem Ausland verflochten ist, und damit natürlich im Standortwettbewerb mit Polen, Tschechien und der Slowakei steht, wo die Löhne niedriger sind. Mit Problemen des Arbeitsrechts haben aber auch ausländisch Investoren zu kämpfen. Österreichs Handelsdelegierter in Laibach, Christian Miller, nennt folgende Beispiele:

"In Österreich ist es üblich, acht Stunden plus 30 Minuten Mittagspause zu arbeiten, ein Slowene arbeitet acht Stunden minus 30 Minuten Mittagspause. Zusätzlich ist wenig Flexibilität da, d.h., der Unternehmer kann schwer auf Krisen reagieren. Wenn ich das ganze salopp formuliere, würde ich sagen, was in Österreich ein Entlassungsgrund ist, ist in Slowenien notwendigerweise nicht einmal ein Kündigungsgrund. Zum Beispiel: in Österreich gar kein Thema, wenn jemand stiehlt, ist das ein Entlassungsgrund; in Slowenien muss ich noch rechtzeitig draufkommen, dass er gestohlen hat, damit ich mich von dem Mitarbeiter trennen kann."

Zu reformieren gilt es auch das Pensionssystem. Ein Drittel der Budgetausgaben entfallen bereits auf Pensionen; ein erster Versuch einer umfassenden Reform inklusive Anhebung des Pensionsantrittsalters auf 65 Jahre scheiterte vor einem Jahr und führt zum Sturz der Mitte-Links-Regierung. Grund des Scheiterns war ein Referendum, das die Gewerkschaften erzwangen, und das der damalige Oppositionsführer und nunmehrige Ministerpräsident Janez Jansa unterstütze. Derzeit verhandelt Jansas Fünf-Parteien-Koalition wieder über eine Reform von Pensionssystem und Arbeitsmarkt. Entscheidet wird vor allem eine Einigung mit den Gewerkschaften sein. Um den Druck zu erhöhen, malte Jansa jüngst sogar die Gefahr des Staatsbankrotts an die Wand. Denn Slowenien will mit allen Mitteln vermeiden, die Hilfe des EU-Stabilisierungsfonds und des Bankenrettungsschirms in Anspruch zu nehmen. Als Voraussetzung dafür nennt Janez Jansa noch folgende Reformen:

„Wenn Slowenien nicht in Rekordzeit Gesetze zur Stabilisierung seines Bankwesens beschließt, dann wären wir einen Schritt näher, dass wir internationale Finanzhilfe brauchen. Doch die Regierung wird diese Gesetze bereits in diesem Monat vorlegen und mit der Opposition abstimmen, damit das Parlament das Gesetz auch noch in diesem Monat beschließen kann. Außerdem müssen wir die Verwaltung von Staatseigentum rationalisieren und rasch Bedingungen für eine weitere Privatisierung schaffen.“

Doch trotz aller Probleme darf man im Falle Sloweniens den Blick für die Dimensionen nicht verlieren. Die Staatsverschuldung liegt bei etwa 50 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung und beträgt 17,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: allein die Haftung des Bundeslandes Kärnten für die Hypo-Alpe-Adria-Bank macht 19,3 Milliarden Euro aus. In diesem Sinne betont auch der Handelsdelegierte Christian Miller:

"Slowenien ist mit Sicherheit kein Griechenland. Da sind einfach grundlegend andere wirtschaftliche Fakten gegeben. Slowenien hat eine ordentliche Industrie, Slowenien hat eine absolute Staatsverschuldung, da wäre jedes andere EU-Land heilfroh, eine derartige Staatsverschuldung zu haben. Wo sicherlich die Krux liegt, das ist die Dynamik. Da haben sich die Staatsschulden in wenigen Jahren verdoppelt; da muss man der jetzigen Regierung schon zugutehalten, sie haben ein Sparpakte verabschiedet; wir werden jetzt im dritten und vierten Quartal sehen, wie es zu greifen beginnt, aber diese Maßnahme wurde eigentlich ambitioniert angegriffen und umgesetzt."

Dieses Sparpaket umfasst 800 Millionen Euro und eine Senkung der Gehälter im öffentlichen Dienst um acht Prozent. Damit soll das Budgetdefizit von 6,4 Prozent im Vorjahr auf drei Prozent im kommenden Jahr gesenkt werden. Nach schwierigen Verhandlungen stimmten die Gewerkschaften zu. Zu hoffen bleibt, dass der Regierung auch bei anderen Reformen eine Einigung gelingt, die auch Finanzmärkte und Ratingagenturen überzeugen, die Sloweniens Bonität heuer bereits mehrmals herabgestuft haben.

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