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Die deutschen Altösterreicher von Marburg

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Marburg an der Drau, die Hauptstadt der slowenischen Steiermark, und weitere fünf Städte haben dieses Jahr die Rolle der Kulturhauptstadt Europas. Im Rahmen von mehr als 400 Veranstaltungen wird unter anderem der Komponist Hugo Wolf gewürdigt, der in Windischgrätz, dem heutigen Slovenj Gradec geboren wurde. In Marburg selbst werden zwei Ausstellungen auch Admiral Wilhelm von Tegetthoff und der deutschen Bevölkerung gewidmet sein, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs die Geschichte der Stadt prägte. In Marburg und Slowenien leben nach der Volkszählung von 2001 noch etwa 2.000 deutsche Altösterreicher, die sich auch in Vereinen bemühen, dieses Erbe aus der Monarchie zu pflegen, das nun auch in Slowenien langsam von der historischen Erblast befreit wird, die Nationalitätenkonflikte, zwei Weltkriege und ihre Folgen hinterlassen haben. Trotzdem sind die deutschen Altösterreicher jedoch bis heute nicht als Minderheit in Slowenien anerkannt, obwohl ihre Gruppe genau so klein ist wie die der Italiener. Mit Vertretern der deutschen Altösterreicher hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen und den folgenden Beitrag über das Leben dieser Gruppe gezeichnet.

Im Zentrum von Maribor in der „Barvarska Ulica, der einstigen Färbergasse von Marburg, befinden sich die Räume des Kulturvereins deutschsprachiger Frauen. Der Verein mit dem Zusatznamen „Brücken“ zählt 100 Mitglieder; er veranstaltet auch Deutschkurse für Erwachsene; denn viele Altösterreicher getrauen sich erst seit der Unabhängigkeit Sloweniens vor 20 Jahren wieder, sich zu ihrer Nationalität zu bekennen. Ein Beispiel für das lange verborgene Leben in parallelen Identitäten bildet das 66-jährige Vereinsmitglied Ivana Hauser. Ihre Namensgebung erzählt Ivana Hauser, geborene Ternig, so:

"Ich bin ein uneheliches Kind und da hat die Mama kein Recht gehabt, einen Namen auszuwählen, ich weiß nicht wieso; aber dann hat der Opa gesagt, ja Johanna wird sie heißen, so heißt meine Schwester; aber amtlich, für die amtlichen Dokumente war Johanna nicht gut, war zu deutsch, und auf ein Mal war ich Ivana, das klingt mehr russisch. Aber Ivana war so kühl, das hat nicht gepasst zu einem kleinen Baby, ich war sehr klein und schmächtig, und dann auf ein Mal war ich Anika, ich weiß nicht, wer hat das gesagt, und so bin ich geblieben, für die Freunde, für die Verwandte, aber amtlich bin ich Ivana."

Anika wurde am 19. Mai 1945, zehn Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in Marenberg, dem heutigen Radle, in der Nähe des Radlpasses im Grenzgebiet zu Österreich geboren. Ihre Großeltern wurden von den Kommunisten enteignet, der Großvater starb bald nach Kriegsende; die Mutter arbeitete in einem zehn Kilometer entfernten Dorf, und Anika wuchs bei ihrer Großmutter Josephine auf, die auch die kleine, verbliebene Landwirtschaft führte. Josephine war eine hübsche, dunkelhaarige und energische Wirtstochter aus Deutsch-Feistritz in der Steiermark; sie heiratete 1912 den Holzhändler Simon Ternig und folgte ihm nach Marenberg, dem heutigen Radle. Josephine wurde zur zentralen Bezugsperson für Anika, und so lernte sie - wider den Zeitgeist - auch deutsch, erinnert sich Ivana Hauser:

"Zum Lesen war keine Zeit, da war Haushalt, und im Stall waren immer eine Kuh und Schweine; sie war alleine für diese Arbeit, ganz alleine, aber wir haben viel miteinander so geplaudert, erzählt, aber sie war auch streng; und sie hat mir erzählt, wie sie mit ihrem Bruder gelebt hat; ihr Bruder hat ihr nie etwas Zeichnen wollen; er hat schön gezeichnet, und die Oma aber nicht; aber er wollte ihr nie helfen in der Schule, und davon hat sie mir erzählt; und an andere Erzählungen kann ich mich nicht mehr erinnern."

Slowenisch lernte Anika durch die Mutter und natürlich wurde in der Schule und am Arbeitsplatz nur Slowenisch gesprochen. Anika arbeitete als Verkäuferin und schließlich in Maribor in einer Bank. Ihre Liebe zu ihrer Omi ist noch mehr als 50 Jahre nach dem Tod der Großmutter spürbar; prägend war sie für die Identität der Enkelin, die die Unterdrückung im kommunistischen Jugoslawien überdauerte. Zum Erbe ihrer Großmutter sagt Ivana Hauser:

"Sie war wirklich eine wunderbare Frau. Obwohl sie fast 50 Jahre hier gelebt hat, hat sie nie slowenisch gesprochen - und deswegen - Oma war deutsch, und ich fühle mich eigentlich so nicht gut, weil ich das nie ehrlich sagen durfte, dass, obwohl ich Slowenin bin, ich sage ich bin Slowenin, aber ich durfte nicht sagen, 70 Prozent ist deutschsprachig, 30 Prozent slowenisch; und ich habe ein Rech und auch die Pflicht, die Sprache zu lernen und zu pflegen."

Anders als bei Anika verlief die Identitätsbildung bei Veronika Haring, der Obfrau des Vereins „Brücken“. 1948 in Jakobski Dol, im einstigen St. Jakob, in den Windischen Bühlen geboren, lerne sie zu Hause nur slowenisch; erst in der Schule wurde sie mit ihrer Nationalität konfrontiert; Veronika Haring:

"Als ich mit 14 Jahren vom Lande nach Marburg kam in die Lehre, kam ich natürlich auch in die Berufsschule; und am ersten Tag liest der Direktor die Liste ab und kam zu meinem Namen und sagte: "Haring, Haring, was machst Du denn hier? Du bist doch eine Deutsche, wer sind Deine Eltern. woher kommst Du?“ Und ich war so ein kleines Kind, noch unentwickelt, und ich bin erst später gewachsen, und habe mich natürlich sehr geschämt, weil in der Schule haben wir gelernt die Partisanen usw., und die Deutschen waren immer nur schlecht. Natürlich habe ich dann am Samstag zu Hause nachgefragt, und da habe ich erfahren, dass mein Vater deutsch spricht und alle Tanten natürlich auch, und dass Großvater aus Graz stammt. Und als ich ausgelernt habe, wenn ich schon Deutsche bin und schuldig, Deutsche zu sein, dann muss ich doch auch die Sprache etwas lernen, und so bin ich dann nach Graz gegangen, zu arbeiten und ein bisschen Deutsch zu lernen."

Nach ihrer Rückkehr arbeitete Veronika Haring in einer Buchhandlung in Maribor, die vor allem deutsche Fachbücher und Zeitschriften nach Jugoslawien importierte. Beim Zerfall des kommunistischen Jugoslawien gründete Haring 1990 ihren Verein deutschsprachiger Frauen, der zweisprachig publiziert und viele kulturelle Aktivitäten entfaltet. Existieren kann der Verein nur dank der Unterstützung durch die Bundesländer Steiermark und Kärnten, durch das Außenministerium und durch private Spenden. Denn die Förderung durch Slowenien ist trotz eines Kulturabkommens minimal; dazu sagt Veronika Haring:

"Wir haben von diesem Kulturabkommen nichts; die ganze Regelung, die Ausschreibung ist so formuliert, dass sich jeder Verein dort anmelden kann, und wir richtige deutsche Vereine bekommen dann nur Brosamen, von dem an sich schon kleinen Kuchen. Im vorigen Jahr habe ich 1.200 Euro bekommen, und heuer habe ich 4.000 Euro bekommen, aber weil wir uns sehr, sehr gewehrt haben."

Der Schlüssel für den Fortbestand ist für Haring die Anerkennung als Minderheit:

"Wenn wir anerkannt würden, dann würden sich auch jüngere Leute als Deutsche bekennen; aber jetzt haben alle Angst um ihre Karriere und um ihr Ansehen, weil ein Deutscher zu sein in Slowenien, ist noch immer nicht etwas Positives. Schauen Sie: bei der letzten Volkszählung ist die Zahl der Italiener und Ungarn gesunken, aber die Deutschen sind um 50 Prozent gewachsen, das sagt auch etwas. Es liegt alles an der Anerkennung; wenn wir anerkannt würden, dann würden sich sehr viele da melden, auf jeden Fall."

Wie schwer sich Slowenien tut, zeigt etwa die Namenspolitik. So kommt selbst in deutschen Aufschriften auf Kulturdenkmälern und in Stadtführern der Name Marburg so gut wie nie vor, obwohl der slowenische Name Maribor noch keine 200 Jahre alt ist. Einen ersten Schritt setzt die Stadt nun im März. Im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas wird zum ersten Mal eine Ausstellung gezeigt, die den Titel trägt: „Die Deutschen in Marburg“. Diese Ausstellung sieht die slowenische Historikerin Tamara Griesser-Pecar als Schritt in die richtige Richtung. Sie hat in Österreich ein Buch über die Geschichte Marburgs publiziert; Tamara Griesser-Pecar:

" Die beiden Völker haben sich ja hier auf diesem Gelände viel angetan, nicht. Bis 1918 haben die Deutschen die Slowenen benachteiligt, und danach wurde die Geschichte umgedreht, bis dann wieder der Zweite Weltkrieg kam, wo man wiederum die Stadt germanisieren wollte, und nach dem Zweiten Weltkrieg, wo dann wiederum die Deutschen vertrieben wurden. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man alles, was hier geschehen ist, auf den Tisch legt, dass man sich konfrontiert mit der gesamten Geschichte, die nicht immer schön ist.“

In der Endphase der Ortstafel-Verhandlungen sprach Bundespräsident Heinz Fischer mit Staatspräsident Danilo Turk in Slowenien auch über die deutschen Altösterreicher. Eine rechtliche Besserstellung - wenn schon nicht eine Anerkennung als Minderheit - sollte nun eigentlich möglich sein, weil mit dem Ortstafel-Kompromiss wohl endgültig kein Grund mehr für slowenische Urängste besteht.

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