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Slowenien vor Erdrutsch und Wende ?

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Europajournal 02122011 Slowenien vor Erdrutsch und Wende ? Wehrschütz Mod

Am kommenden Sonntag steht Slowenien wahrscheinlich vor einem historischen Machtwechsel. Stimmen die meisten Umfragen so wird die konservative Opposition unter dem früheren Ministerpräsidenten Janez Jansa einen Erdrutschsieg einfahren, während der sozialdemokratische Minister eine massive Niederlage erleben wird. Pahors ehemalige Vier-Parteien-Koalition scheiterte im September endgültig an inneren Konflikten und der tiefen Wirtschaftskrise. Zwei bisherige Regierungsparteien und eine nationalistische Kleinpartei werden den Wiedereinzug ins Parlament voraussichtlich nicht schaffen; dagegen dürften zwei konservative Kleinparteien wieder den Sprung über die Vier-Prozent-Hürde schaffen und auch zwei neue Parteien ins Parlament einziehen. Insgesamt werben 20 Listen um die Stimmen der 1,7 Millionen Wähler. Über die Lage in Slowenien und über die Gründe für den Machtwechsel hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz den folgenden Beitrag gestaltet:

In der Endphase des Wahlkampfs besetze eine anarchistische Studentengruppe die Philosophische Fakultät der Universität Laibach. Die Besetzer haben nur beschränkten Zulauf, doch über dem Eingang des Gebäudes und in der Halle wehen nach wie vor Stofftücher mit folgenden Aufschriften: „Warum bestimmt der Mark das Verhalten, wenn doch das Verhalten den Markt bestimmen könnte“ und „Das Wissen den Studenten aber nicht dem Kapital“. Neben dem Eingang in die Fakultät steht ein Informationstisch; hier erklärt uns Matijas, Student der Erwachsenenbildung, seine Gründe für die Besetzung:

„Die Bologna-Reform hat die Qualität der Studienprogramme sehr verschlechtert. Hinzu kommt die Beschäftigungspolitik, die Leute werden nur mehr befristet beschäftigt; Auch sozial ist es schlechter. Der Student, der studieren will, muss arbeiten, und das macht es unmöglich, sein kritisches Denken selbst zu entwickeln.“

Auch Matijas arbeitet nebenbei, und zwar bei einem Straßentheater. Matijas ist bereits 27 Jahre alt, und die Studiendauer zählt in Slowenien zu den längsten in der EU. Spitzenreiter ist Slowenien mit seinen mehr als 100.000 Studierenden auch bei der Studentenarbeit. Warum das so ist, erläutert Marko Pavlic von der offiziellen Studentenorganisation:

„Etwa 36 Prozent der Studenten könnten sich das Studium nicht leisten, wenn es nicht die Möglichkeit zur Studenten-Arbeit gäbe. Das heißt, dass diese Arbeitsmöglichkeit für die Studenten in Slowenien derzeit eine Art soziales Korrektiv darstellt. Damit bezahlen die Studenten auch die Kosten für das Studium, Wohnung, Nahrung, Lehrbücher und anderes.“

Im Durchschnitt verdient ein slowenischer Student pro Stunde 4,3 Euro; seine Arbeit wird de facto nicht besteuert, daher sind Studenten für Unternehmen auch eine billiges Reservoir an Arbeitskräften. Die Reform der Studenten- und der Klein-Arbeit insgesamt war ein Vorhaben der Regierung unter Führung des Sozialdemokraten Borut Pahor das eine Volksabstimmung zu Fall brachte. Für die Niederlage bei insgesamt fünf Referenden machten Gewerkschaften auch den mangelnden sozialen Dialog verantwortlich. Diesen Vorwurf weist der scheidende Wirtschaftsminister Mitja Gaspari zurück:

„Der beste Beweis, ob das wahr ist oder nicht, wird bereits in einigen Monaten geliefert werden, wenn die neue Regierung denselben Weg beschreiten wird müssen, wie die jetzige. Dann wird sich zeigen, ob der soziale Dialog zu gering war, oder ob einige soziale und wirtschaftliche Interessensgruppen einfach nicht in den sozialen Dialog eintreten, und ihre Positionen um jeden Preis verteidigen wollen. Viele Bemühungen gab es vor allem bei der Pensionsreform, doch es gab bestimmte Grenzen, die man wegen der Qualität der Reform einfach nicht einem Kompromiss opfern durfte.“

Der letzte politische Sargnagel für Ministerpräsident Borut Pahor war denn auch das NEIN beim Referendum im Juni zur Pensionsreform. Mit ihr scheiterte die zentrale Reform der Regierung. Nun im Wahlkampf schlägt sich Pahor bei den TV-Konfrontationen gut, daher dürfte seinen Sozialdemokraten auf mehr als zehn Prozent kommen; doch auch das bedeutet den Verlust von zwei Dritteln der Wähler. Pahor rittert mit einer liberalen Bewegung und der Pensionistenpartei um den dritten Platz. Neuer Hoffnungsträger der Linken ist Zoran Jankovic, einst Generaldirektor der Handelskette Mercator und amtierender Bürgermeister von Laibach. Für Österreich interessant schlägt der 58-jährige auch etwas andere Töne in der Energiepolitik an; Zoran Jankovic:

„Ich bin gegen einen zweiten Reaktorblock in Krsko; denn das ist eine Energie, die langsam aufhören muss zu bestehen; schauen sie nur, was in Japan geschehen ist. Aber man muss eben vor allem die Sicherheit im bestehenden Atomkraftwerk Krsko gewährleisten.“

Jankovic ist dafür, dass bis 2015 etwa 25 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen kommt, derzeit sind es 10 Prozent. Jankovic und seine neuen Bewegung „Positives Slowenien“ können mit bis zu 25 Prozent und dem zweiten Platz rechnen. Seinen Reformplan beschreibt Jankovic so:

„Die erste Maßnahme betrifft die Verringerung der Budgetausgaben durch eine Reform des Pensions- des Gesundheitssystems und dann des Arbeitsmarktes; dabei geht es vor allem um eine Kostensenkung bei der Reorganisation der Arbeitsprozesse, beim Abbau der Mitarbeiter, doch auf eine Weise, die für jene Gruppe vertretbar ist, die in Pension geht.“

Eine Koalition mit dem konservativen Oppositionspolitiker Janes Jansa schließt Zoran Jankovic ebenso aus wie Borut Pahor. Beide Lager trennen nicht nur persönliche Animositäten, sondern auch weltanschauliche Gräben. Das betrifft auch das Recht auf Volksabstimmungen. Jankovic und Pahor sind für Einschränkungen, Jansa ist bisher dagegen. Der konservative Politiker hat jedenfalls a priori keine Partei von einer möglichen Koalition ausgeschlossen. Jansas Partei SDS kann mit 30 Prozent und mehr an Stimmen rechnen. Kritisiert wurden im Wahlkampf auch Missstände, die durchaus in die eigene Regierungszeit zurückreichen; Janez Jansa:

„In Slowenien kann man binnen sechs Tagen eine Firma gründen; doch ein Unternehmer braucht 1290 Tage, um das Geld für eine anständig ausgeführte Arbeit einzutreiben, für die er aber nicht bezahlt wurde. Außerdem sind wir in eine Lage gekommen, dass mehr als 400.000 Personen auf ein Urteil der Gerichte warten.“

Das zentrale Motto seines Wahlkampfs war Gerechtigkeit. In diesem Sinne verkündete Janez Jansa:

„Wichtig ist, dass wir gleiche Ausgangsbedingungen für alle schaffen, und zwar ungeachtet dessen wo der Mensch in diesem Staat geboren wird; wichtig ist, dass wir jenen, die in dieser Krise bereit sind, noch härter zu arbeiten und noch besser zu wirtschaften, Bedingungen schaffen, die sie verdienen, um dieses Ziel erreichen zu können. Wichtig ist schließlich auch, dass wir auf diesem Weg eine große internationale Unterstützung haben.“

Die internationale Unterstützung kam im Wahlkampf für Janez Jansa auch über eine Video-Botschaft der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel:

„Er hat Slowenien in den Euro-Raum geführt, und er ist ein großartiger Europäer, und deshalb wünsche ich ihm viel Erfolg und viel Kraft im Wahlkampf.“

Merkels Wunsch dürfte in Erfüllung gehen. Wenn die Umfragen stimmen könnte Jansa sogar eine rein konservative Regierung bilden, wenn zwei Kleinparteien den Wiedereinzug ins Parlament schaffen. Scheitern sie an der Vier-Prozent-Hürde, könnte es für Jansa schwieriger werden, Partner zu finden. Doch wer auch immer wie regiert, wird rasch handeln und auch auf Pläne der Vorgängerregierung zurückgreifen müssen. Dazu zählt der scheidende Wirtschaftsminister Mitja Gaspari etwa die Schuldenbremse:

„Wir haben in der Regierung ein Gesetz über die öffentlichen Finanzen vereinbart, das die kommenden sechs Jahre betrifft. So haben wir eine Grenze für die öffentliche Verschuldung bei 48 Prozent und eine Grenze für öffentliche Bürgschaften von 20 Prozent des Brutto- Inlands-Produkts gezogen. Im Parlament scheiterte das Gesetz an der Opposition. Ich bin dafür, dass bereits im Dezember das Parlament ein derartiges Gesetz verabschiedet, um so den Märkten im Ausland und den Investoren zu signalisieren, dass Slowenien stabil ist.“

Doch für eine dauerhafte Beruhigung der Finanzmärkte ist das zu wenig; doch viele weiterte schmerzliche Reformen könnten wieder an Volksabstimmungen scheitern, und dann könnten die anarchistischen Besetzer der Philosophischen Fakultät in Laibach mit ihrer Parole „Wahlen sind keine Lösung“ in tragischer Weise nicht ganz Unrecht haben. Daher muss es der künftigen Regierung auch geling, Gewerkschaften und Opposition davon zu überzeugen, dass Slowenien keine Zeit mehr zu verlieren hat.

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