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Vier junge Studentinnen über EU und Balkan

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Berichte Slowenien
20 Jahre ist es her, dass der blutige Zerfall des alten Jugoslawien begann. Die Folgen des Scheiterns des Tito-Staates sind in der Region heute noch spürbar. Von den Nachfolgestaaten hat bisher nur Slowenien den Beitritt zu EU und NATO geschafft, Kroatien ist ebenfalls bereits in der NATO und die Verhandlungen mit der EU wurden im Sommer abgeschlossen. Dagegen sind die übrigen Staaten von Serbien über Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und der Kosovo von EU und NATO noch weit aber nicht gleich weit entfernt. Für das strategische Forum im slowenischen Bled war das der Anlass, Studenten und Jungakademiker aus den Nachfolgestaaten einzuladen, die erst im Zerfallsjahr oder kurz davor geboren wurden. Mit vier von ihnen hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz über ihre Länder und über die EU-Perspektive gesprochen. Hier sein Bericht:

Kroatien, Montenegro, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina sind gute Beispiele dafür, wie unterschiedlich das Reformtempo im ehemaligen Jugoslawien ist. Kroatien, seit 2008 Mitglied der NATO, beendete im Frühsommer die EU-Beitrittsverhandlungen. Montenegro, erst seit 2006 unabhängig von Serbien, ist der unerwartete Aufsteiger und Bosnien und Mazedonien repräsentieren eigentlich die Stagnation am Balkan. Mazedonien erhielt 2006 als Belohnung für die Aussöhnung mit den Albanern nach dem bewaffneten Konflikt im Jahre 2001 den Status eines EU-Beitrittskandidaten; doch mehr als fünf Jahre lähmt der Namensstreit mit Griechenland, an dem der NATO-Beitritt scheiterte, bereits die weitere EU-Annäherung. Trotz formell weitgehender Gleichberechtigung leben Mazedonier und Albaner nur nebeneinander. Mazedoniens Lage sieht die 27-jährige Politikwissenschafterin Jasmina Trajkoska daher nicht besonders rosig:

„Zehn Jahre nach dem Friedensvertrag hat sich nichts zum Positiven gewendet, fehlt die Perspektive; eigentlich ist die Lage jetzt viel schlechter, weil sich die Teilung zwischen Albanern und Mazedoniern vergrößert hat und auch unter den Jungen viel größer ist. Daher muss man daran arbeiten, dass diese Teilung geringer wird. Hinzu kommt der große Druck der Parteien auf die Jugend; so muss man den Parteien der Regierungskoalition angehören, um arbeiten zu können, während die Qualität in den Hintergrund gedrängt wird.“

Doch Mazedonien hat wenigstens eine Regierung, während Bosnien und Herzegowina ein Jahr nach der Parlamentswahl noch immer ohne Regierung da steht, weil Bosniaken, Serben und Kroaten keinen gemeinsamen Nenner finden. Die Staatsreform steht, und als einziges Land des Balkan wird heuer in Bosnien keine Volkszählung stattfinden. Trotz dieser Krise glaubt die 23-jährige Maschinenbau-Studentin Amra Dzaferovic an ihr Land. Ihre Reformstrategie lautet so:

„Wann immer man den Fernseher einschaltet, sieht man Beiträge über das Problem der Verfassung oder über andere Probleme, die man derzeit nicht lösen kann. Warum können wir aber kein Gesetz beschließen, durch das die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung auf fünf bis zehn Prozent erhöht werden, die derzeit unter einem Prozent liegen? Das können wir tun, also lasst uns lösen was möglich ist. Das ist wie bei einer Prüfung, wo man fünf Aufgaben hat, doch man bleibt bei der einen hängen, die man nicht kann und fällt durch, weil man die anderen Aufgaben nicht gelöst hat.“

Weit besser als erwartet hat sich Montenegro entwickelt. Mit der Unabhängigkeit von Serbien fielen die Probleme Kosovo und Haager Tribunal weg. Obwohl bei Kriminalität, Korruption und Bürokratieabbau noch viel zu tun bleibt, sind Erfolge klar sichtbar. Sogar ein Termin für den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen könnte noch heuer von Brüssel genannt werden. Beim Unabhängigkeitsreferendum 2006 war Sanja Bulatovic 17 Jahre alt. Nun hat sie ihr Studium der Politikwissenschaften abgeschlossen und bekennt sich klar zum jungen Staat. Sanja Bulatovic:

„Ich war damals nicht sicher, was das Beste für Montenegro ist, weil wir auch wirtschaftliche Probleme hatten und sich die Frage stellte, wie es mit der EU-Integration weiter geht, wenn wir uns von Serbien trennen. Doch heute sehen ich die Unabhängigkeit als ausgezeichnete Entscheidung, weil Montenegro begonnen hat, sich selbständig zu entwickeln und wir einfach die Probleme nicht mehr haben, die Serbien noch bei der EU-Integration hat.“

Gemeinsam ist der Region die stark gestiegene Arbeitslosigkeit, die je nach Land zwischen 10 oder sogar mehr als 30 Prozent liegt. Massiv davon betroffen ist auch Kroatien, wo jeder Fünfte erwerbslos ist. Hinzu kommen die praktischen Anpassungen an die EU, die auf vielen Gebieten noch bevorstehen. Als sehr wichtig bewertet die 27 jährige kroatische Politikwissenschaftlerin Emina Buzinkic die von der EU geforderte regionale Zusammenarbeit:

„Auch die Mobilität der Jungen ist in der Region wirklich schlecht. Einige Leute aus Serbien waren noch nicht in Kroatien; Den Kroaten wiederum liegt die Region kulturell fern, sie ist für sie nicht mehr anziehend. Daher scheint mir, dass es starke Instrumente braucht, um diese regionale Zusammenarbeit zum Laufen zu bringen. Doch Kroatien hat auch eine wichtige Rolle gegenüber den Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Ihnen muss es beim Beitritt helfen und vielleicht dazu beitragen, dass dieser Weg etwas weniger dornig sein wird.“

Doch wer wird nach Kroatien, das im Sommer 2013 beitreten wird, wann diesen Schritt als nächstes schaffen? Und wie attraktiv ist die von Krisen erschütterte EU für den Balkan noch? Dazu sagt die Montenegrinerin Sanja Bulatovic, deren Land derzeit die besten Chancen auf dem Weg Richtung EU hat:

„Die EU bietet viele Möglichkeiten, doch viel wichtiger ist, dass wir all die Reformen gut ausführen, die von uns beim Prozess der EU-Annäherung verlang werden. Das heißt, dass wir unsere wirtschaftliche Lage verbessern und die Probleme unserer Institutionen lösen. Wenn wir all diese Probleme lösen und die Reformen durchführen, dann werden wir viel besser leben. Dann wird der EU-Beitritt nur ein zusätzliches Plus sein.“

Dass der EU-Beitritt bis 2020 für Mazedonien und Bosnien erreichbar ist, glauben Jasmina Trajkoska und Amra Dzaferovic nicht. Trotzdem hat gerade der gemeinsame Auftritt der Studenten aus Bosnien beim strategischen Forum im slowenischen Bled Amra Dzaferovic Mut gemacht:

„Zum ersten Mal trat eine Gruppe Studenten aus beiden Landesteilen von Bosnien und Herzegowina als ein Team auf, um ihren Staat zu vertreten. Und wenn man eine Gruppe hat, die sagt, dass ich in meiner Rede sagen darf, ich bin stolz ein Bürger von Bosnien und Herzegowina zu sein, dann sehen sie, dass das, was über das Fernsehen verkauft wird, nur eine Form der Manipulation der Menschen ist.“

Das mag teilweise richtig sein, doch Politiker, die in Bosnien jenseits nationaler Grenzen auftreten und zusammenarbeiten sind dünn gesät. Konflikte homogenisieren die Wählerschaft; davon profitieren beim Namensstreit mit Griechenland auch die konservativen Nationalisten in Mazedonien. Neben einer besseren Wirtschaftslage ist eine Änderung der Mentalität daher für Jasmina Trajkoska die Voraussetzung für eine positive Entwicklung am Balkan:

„Wir am Balkan leiden unter dem Narzissmus der kleinen Unterschiede und der Vorurteile zwischen den Völkern. Das müssen wir überwinden, doch ich denke, dass sich bei uns die Mentalität derart langsam entwickelt; dabei geht es um eine Erweiterung des Horizonts. Begriffe wie Demokratie, Menschenrechte, Toleranz, all das sind schöne Begriffe, die nicht geachtet werden. Das sind Begriffe, über die wir lange reden, doch in der Praxis leben wir viel schlechter.“

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