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Die Verschleppten – Vergessene Opfer?

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Berichte Slowenien
Mit der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 endete formell der Zweite Weltkrieg. Doch das war nicht überall so in Europa und auch nicht in Kärnten und der Steiermark. Ganz Südkärnten war zunächst in der Hand der Tito-Partisanen; bis zu ihrem Abzug am 21. Mai und der Übernahme der Besatzungsmacht durch die Briten wurden in Südkärnten 263 Personen nach Jugoslawien verschleppt, 128 von ihnen werden bis heute vermisst. In der Steiermark verschleppten Partisanen 157 Personen, davon sind bis heute 117 vermisst. Viele dieser Personen dürften auch in Massengräbern in Slowenien liegen; eines dieser Massengräber befindet sich in Liescha, südlich von Bleiburg. Dort dürften auch viele Kärntner ermordet und vergraben worden sein. In Liescha hat gestern wie jedes Jahr ein gemeinsamer Gedenkgottesdienst von Slowenen und Kärntnern stattgefunden. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz war in Liescha und hat den folgenden Beitrag über die Verschleppten aus Kärnten gestaltet.

Ein Kreuz im Wald bei Liescha markiert das Massengrab in dem mehrere hundert Menschen vergraben liegen, die nach Kriegsende von Tito-Partisanen ermordet wurden. Neben Slowenen dürften auch viele der 128 Kärntner hier liegen. An diesem Grab bekräftigten auch Josef Feldner vom Kärntner Heimatdienst und Marjan Sturm vom Zentralverband der Kärntner Slowenen, den Willen zur Aussöhnung:

In der Kirche von Liescha fand dann der Gottesdienst zum Gedenken an die Opfer statt. In seiner Predigt erinnerte Ivan Olip an die Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges. Zu den Verschleppungen sagte Olip:

„Mord bleibt Mord, Unmenschlichkeit bleibt Unmenschlichkeit, ob im Krieg oder nach dem Krieg, Vertreibung bleibt Vertreibung.“

An der Gedenkfeier in Liescha teilgenommen haben der 83-jährige Otmar Mory und die 65-jährige Friederike Leitgeb. Mory ist ÖVP-Altbürgermeister von Bleiburg. Seine Mutter Maria wurde in den frühen Morgenstunden des 12. Mai 1945 in Bleiburg von Partisanen aus dem Elternhaus verschleppt. Der Vater wurde erst verhaftet, als er sich bei den Partisanen in Bleiburg nach seiner Frau erkundigen wollte, erzählt Otmar Mory:

„Nach zwei Stunden hat er sich Sorgen gemacht und ist dann hinauf zur Gemeinde, um zu schauen, was los ist. Da haben sie ihn auch geschnappt. Von dort an haben wir von unseren Eltern nichts mehr gewusst. Das Schlimmste war dann die Zeit der Ungewissheit, leben sie, leben sie nicht; und im Herbst, September, Oktober, ist ein Teil der Bleiburger zurückgekommen. Da haben wir dann gehofft, dass unsere Eltern auch noch auftauchen, was dann leider nicht der Fall war.“

Friederike Leitgeb schildert die Verhaftung ihrer Angehörigen so:

"In der Nacht des 12. Mai 1945 um 12 Uhr früh haben Tito-Partisanen meinen Vater und seine beiden Brüder aus dem Bett geholt und unter dem Motto "Sie müssen zu einer Unterredung" ins örtliche Gasthaus gebracht. Von dort wurden sie dann abtransportiert und im Volksheim in Prevali festgehalten. Den letzen direkten Kontakt konnte meine Mutter am 18. Mai bewerkstelligen und bekam noch eine kurze schriftliche Botschaft. Der weitere Weg ist widersprüchlich. Man weiß bis heute nicht, wann und in welcher Form und wo die drei Brüder zu Tode gekommen sind."

Die drei Leitgeb-Brüder traten nach dem Österreich-Anschluss im März 1938 der NSDAP bei, Maria Mory war seit September 1937 Parteimitglied. Die Verbrechen der NS-Herrschaft an den Slowenen und die Mitgliedschaft bei der NSDAP ziehen Partisanenverbände bis heute als Rechtfertigung für Verschleppungen heran. Dem halten die Historiker Alfred, Elste, Michael Koschat und Paul Strohmaier in ihrem Schlüsselwerk „Täter, Opfer, Denunzianten“ entgegen, dass kaum ein Kärntner Verschleppter nach dem Verbotsgesetz mit höheren Haftstrafen rechnen hätte müssen. Dazu sagt Alfred Elste:

"Von 78 Verhafteten etwa in Eisenkappel waren 37 Mitglieder der NSDAP. Man muss aber auch dazu sagen, dass hier nicht nur die Mitläufer mitgenommen wurden, sondern auch Bürgermeister, Ortgruppenleiter. Man muss aber auch hier festhalten, dass diese Abrechnung natürlich nicht legitimiert. Das Völkerrecht hätte hier eine Verurteilung nur für jene vorgesehen, die Kriegsverbrechen in Jugoslawien begangen haben, das trifft auf die Kärntner Nationalsozialisten nicht zu."

Verschleppungen dürften oft willkürlich erfolgt sein, erläutert Elste:

"Unmittelbar die Hälfte der Verschleppten, jedenfalls der unmittelbar Verhafteten, waren Frauen, und da kann man nicht sagen, dass das hochrangige Parteifunktionärinnen gewesen seien, sondern ganz im Gegenteil, allein als Verschleppungsmotiv hat gereicht, die Frau des Bürgermeisters von Eisenkappel zu sein."

Ein weiteres Motiv war wohl Habsucht, wie die Verschleppung der drei Leitgeb-Brüder zeigt. Sie besaßen ein Faserplattenwerk in Kühnsdorf, hatten die Partisanen im Krieg mit Geld unterstützt und besaßen sogar ein Dokument, in dem ein hochrangiger Partisan diese Hilfe bestätigt. Zu ihrer Verschleppung könnte ein Kärntner beigetragen haben, der es auf den Betrieb abgesehen hatte. Verschleppungen dienten auch der politischen Säuberung wie sie in Jugoslawien im Gange war. In Südkärnten diente dieses Mittel dem Hauptziel der Partisanen das der Historiker Stefan Karner so beschreibt:

"Die Partisanen kämpften für die Integration Südkärntens in das kommunistische Jugoslawien, und sich kämpften natürlich nicht für ein freies Österreich, das ist völlig klar."

Basis für die Verschleppungen waren vielfach Listen, die Kärntner Partisanen vor Kriegsende mit der jugoslawischen Geheimpolizei angelegt hatten. Bei der Listenerstellung spielte auch Denunzierung aus niedrigen Beweggründen eine Rolle. Sie könnte auch Maria Mory auf die Liste gebracht haben, vermutet ihr Sohn Otmar:

„Wir haben ein Geschäft gehabt, und da war ein Lehrbub, der hat gestohlen. Zwei Mal hat die Mutter ihm gesagt, dass darfst du nicht, dann hat sie gesagt, wenn das so weiter geht, dann muss ich Dich anzeigen, da hat er mit den Partisanen gedroht, das hat er verwirklicht. Er ist dann wirklich zu den Partisanen gegangen. Das könnte mitgespielt haben, muss aber nicht.“

Was auch immer das Motiv war, die Folgen für die Familie waren schrecklich. Für drei kleine Geschwister musste der damals 19-jährige Otmar Mory Vaterersatz sein und noch ein Geschäft führen:

„Meine Situation war mies, um nicht zu sagen beschissen. Mich hat es als 20, 30-jährigen in der Nach wie einen Kreisel gedreht. Ich hatte Sorgen, große Sorgen. Nach der Todeserklärung war ich gezwungen Notverkäufe zu machen. 1952 habe ich geheiratet, und wir haben damals in erster Linie vom Gehalt meiner Frau gelebt.“

Im Falle der Familie Leitgeb führte die Verschleppung der drei Brüder schließlich zum Untergang des Betriebs in Kühnsdorf und zum Verlust von 500 Arbeitsplätzen. Ihre Kindheit schildert Friederike Leitgeb, die zum Zeitpunkt der Verschleppung 11 Monate alt war, so:

„Drei Jahre später hat das Stubenmädchen, das den Partisanen die Haustüre geöffnet hat, Selbstmord begangen, weil sie mit dem Schuldgefühl, sie hätte das Unglück verursacht, nicht fertigt wurde. Ich kann mich auch erinnern, stets ein Elternhaus gehabt zu haben, das von Angst geprägt war. Meine Mutter hat im Jahr 1948 in Tirol ein Haus gebaut, weil sie der Meinung war, wir müssten flüchten, und wir ja bis zum Abschluss des Staatsvertrages nicht sicher waren, ob Südkärnten bei Österreich bleibt

Otmar Mory ist überzeugt, dass seine Eltern im Massengrab in Liescha liegen; seinen Frieden mit seinem Schicksal hat er gefunden. Dagegen ist Friederike Leitgeb verbittert über die ihrer Ansicht nach fehlende Unterstützung durch Österreich bei der Suche. Herausfinden will Friederike Leitgeb …

„…wann und wo meine Verwandten zu Tode gekommen sind, um dieses schreckliche Kapitel ein Mal abzuschließen, und auch die ewigen unterschwelligen Spannungen zwischen Kärnten und Slowenien abbauen zu helfen, weil mit Verleugnen wird man eine Zukunft nicht gestalten können."

Die Chance dazu besteht; Slowenien ist zur Aufklärung bereit, wenn Österreich initiativ werden sollte. Doch auch in Kärnten haben Josef Feldner, der Vorsitzende des Kärntner Heimatdienstes, und Marjan Sturm bedeutende Schritte gesetzt. So nahm Sturm als erster führender Slowenen-Vertreter an der Gedenkfeier für die Verschleppten in Liescha teil. Ihr Schicksal müsse geklärt werden, sagt Marjan Sturm, denn:

„Es ist ja offensichtlich, dass die Ortstafelfrage sehr vieles im fiktiven Rucksack mit sich trägt; eines ist natürlich auch diese Frage und insofern glaube ich, dass wen wir diese Frage lösen – es gibt natürlich auf der anderen Seite ebenso Traumata und schreckliche Dinge, die passiert sind – dass dann auch der letzte Bann gebrochen werden würde, die Ortstafelfrage zu lösen.“

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