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Lage in Görz vor dem EU-Beitritt Sloweniens

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Von dem EU-Beitritt Sloweniens am 1. Mai hofft auch die Region um die Stadt Görz im slowenisch-italienischen Grenzgebiet zu profitieren. Görz, Goricia, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Italien zugesprochen. Nur einige Außenbezirke der Stadt fielen an das damalige Jugoslawien und daraus entwickelte sich die Stadt Nova Gorica. Endgültig festgelegt wurde die italienisch-slowenisch/jugoslawische Staatsgrenze erst im Jahre 1975 durch die sogenannten Osimo-Verträge zwischen Rom und Belgrad. Damit wurde auch die geographische Teilung des alten Görz bestätigt, denn die Staatsgrenze verläuft entlang des Bahnhofs durch die Stadt. Doch in den vergangenen Jahren ist die Zusammenarbeit zwischen der italienischen und der slowenischen Stadtverwaltung intensiver geworden, und auch die zentrale Feier des slowenischen EU-Beitritts wird in der Stadt stattfinden. Verbessert hat sich auch das Zusammenleben zwischen Italienern und Slowenen, und die jeweilige Minderheit im jeweils anderen Staat hat heute weit mehr Rechte aus noch vor 15 Jahren. Unser Korrespondent Christian Wehrschütz hat Goricia, Nova Gorica und die Grenzregion besucht und folgenden Bericht über das Zusammenwachsen der geteilten Stadt gestaltet:

Vor einigen Wochen kam es im Stadtgebiet von Görz zu einem symbolträchtigen Ereignis. Der Bürgermeister von Goricia, der Italiener Vittorio Brancatti, und der Bürgermeister von Nova Gorica, der Slowene Mirko Brulc, durchschnitten gemeinsam vor dem Bahnhof ein Stück des grünen Metallzauns, der die Staatsgrenze zwischen beiden Städten markiert. Der Platz soll bis zum EU-Beitritt Sloweniens am 1. Mai neu gestaltet und für die Bewohner beider Städte weitgehend frei passierbar sein, obwohl der Staatsgrenze am 1. Mai noch nicht fallen wird. Trotzdem soll die Teilung der Stadt Schritt um Schritt beseitigt und damit auch die tragische Geschichte überwunden werden, die für Görz mit dem ersten Weltkrieg begann. Durch Artilleriebeschuss wurde die Stadt schwer beschädigt und am Fluss Isonzo fielen bei 12 Schlachten 210.000 Italiener und 150.000 Österreicher. Nach 1918 bei Italien brachte das Ende des Zweiten Weltkrieges die Teilung nicht nur für die Stadt. Die Grenze durchschnitt Weingärten und auf slowenischer Seite wurden viele Bauern enteignet. Erst die Osimo-Verträge regelten 1975 endgültig den Grenzverlauf, doch die wirtschaftliche Zusammenarbeit konnte tiefsitzendes Misstrauen auf beiden Seiten nicht überbrücken. Seit 10 Jahren arbeiten die beiden Städte jedoch immer intensiver auf kommunaler Ebene zusammen, wie der Bürgermeister von Nova Gorica, Mirko Brulc, betont:

„Wir arbeiten auch bei den Krankenhäusern zusammen, die nur 350 Meter voneinander entfernt sind. Gemeinsam kaufen wir sehr teure Geräte, die mobil sind und wechselweise bei uns und bei ihnen verwendet werden. Wir haben sehr angesehene Ärzte, die im Falle schwerer Unfälle Geräte mitnehmen und auch auf italienischer Seite operieren. Auch Patienten können in Notfällen ohne Probleme über die Grenze gebracht und im jeweiligen Spital behandelt werden. Die Grenze ist somit bereits sehr, sehr offen.“

Sichtbar ist die Kooperation auch beim städtischen Verkehr. Mirko Brulc:

„Der Autobus fährt bereits jetzt ohne Probleme über die Grenze. Am Vormittag fährt unser Bus und am Nachmittag der italienische. Die Fahrgäste sitzen einfach im Bus und an der Grenze zeigen sie ein Dokument. Die Fahrkarte kann in Tolar oder in Euro bezahlt werden.“

Doch das soll nur Schritte zu einer noch viel weitreichenderen Kooperation sein, wie der Bürgermeister von Goricia, der Italiener Vittorio Brancatti, betont:

„Was neue Projekte betrifft, so sind vor allem drei wichtig: ersten die Bewertung des historischen und natürlichen Potentials der beiden Städten sowie des reichhaltigen gastronomischen Angebots. Unser Ziel ist eine einheitliche touristische Vermarktung dieser Region. Zweitens soll eine einheitliche Reinigung des Wassers beider Städte verwirklicht werden. Schließlich sollen auch die urbanistischen Pläne beider Städte vereinheitlicht werden, dass was in einer Stadt geplant wird, ist auch für die andere wichtig.“

Die verstärkte Zusammenarbeit soll auch der Wirtschaft der Region neue Impulse verleihen. Sie hat einst vom grenzüberschreitenden Handel zwischen Italien und Jugoslawien besonders profitiert. Nunmehr sollen vor allem Tourismus und Weinbau aber auch der Ausbau der Universität von Goricia die Entwicklung der Region fördern. Das slowenische Nova Gorica hat etwa 16.000 Einwohner. Etwa 1000 von ihnen arbeiten täglich im italienischen Goricia, das etwa 36.000 Bewohner hat. Knapp sieben Prozent sind Slowenen. Ihr großer Vorteil ist die Zweisprachigkeit, die den meisten Italienern fehlt. Das bestätigt auch Vittorio Brancatti, der jedoch auch hier ein Umdenken ortet:

„ Ich muss sagen, dass es ermutigende Anzeichen gibt. So hat die Provinzverwaltung vor drei Jahren damit begonnen, Kurse in Slowenisch anzubieten. Dieses Angebot musste verdoppelt werden, weil das Interesse sehr groß war.“

Von der wachsenden Zusammenarbeit profitiert auch die slowenische Minderheit. Dazu sagt der slowenischer Stadtrat von Goricia, Damijan Terpin:

„Die Stadtverwaltung hat den Slowenen die Tore geöffnet und das hat sehr positive Folgen. Vor allem haben wir in der Gemeinde Görz beschlossen, dass das Schutzgesetz aus dem Jahre 2001 auf dem gesamten Territorium der Stadt angewandt wird. Das wird bedeuten, dass es weit mehr zweisprachige Aufschriften geben wird, die bisher nur selten sind. Jemand der nach Görz kommt, wird sofort feststellen, dass das eine zweisprachige, ja sogar dreisprachige Stadt ist, denn hier gibt es auch eine konsistente friulanische Minderheit.“

Trotzdem, und trotz Medien und Schulen für die Minderheit geht jedoch die Zahl der Slowenen in Italien ebenso stetig zurück wie die Zahl der Italiener in Slowenien. Zu den Gründen für die steigende Assimilation in Italien sagt Damijan Terpin:

„Tatsache ist, dass es immer mehr gemischte Ehen gibt und dass die Italiener in unserer Region nicht slowenisch sprechen. Wenn eine Italienerin einen Slowenen heiratet oder ein Slowene eine Italienerin, dann ist die Umgangssprache in der Familie italienisch. Obwohl die Kinder gewöhnlich in eine slowenische Schule gehen, ist das Ambiente in der Familie italienisch und das ist meiner Ansicht nach einer der Hauptgründe. Solange es uns nicht gelingt, dass die Italiener in ihrer Umgebung, vielleicht auch vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, Slowenisch lernen und die Umgebung nicht völlig zweisprachig wird, wird auch die Assimilation leider voranschreiten.“

Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Dazu zählt die 800 Einwohner zählende Gemeinde Steverin, die unmittelbar an der Grenze zu Slowenien liegt. Warum der Ort seinen slowenischen Charakter bewahren konnte, erläutert Bürgermeister Adriano Corsi so:

„Auf diesem kleinen Territorium haben wir derzeit zwei Chöre sowie einen Kinderchor. Für den ersten Mai wird ein Festival der Volksmusik organisiert, das drei Tage dauern wird, wobei einige Tausend Zuhörer kommen werden. All das sind Steine in einem Mosaik, die dazu beigetragen haben, dass die slowenische Minderheit hier Bestand hat.“

Den EU-Beitritt Sloweniens sieht Corsi als ersten Schritt zur Wiedervereinigung der Region von Brdo in der Steverin liegt:

„Es eine unleugbare Tatsache, dass das Gebiet von Brdo geschichtliche eine einheitliche Region war. Im Jahre 1947 wurde dieses Gebiet zum ersten Mal in der Geschichte geteilt und ein Drittel blieb bei Italien und zwei Drittel beim ehemaligen Jugoslawien, beim heutigen Slowenien. Ich denke, dass vor allem die ältere Generation alles in ihrer Macht stehende tun muss, dass die jüngere Generation sich wieder vereinigt und dass vor allem die Grenze in den Köpfen fällt. Denn in diesen 50 Jahren hat die Grenze vor allem gewisse Barrieren in unseren Köpfen geschaffen.“

Diese Barrieren haben bisher auch verhindert, dass es zu einer gemeinsamen Vermarktung des Weins diesseits und jenseits der Grenze gekommen ist. Weitgehend beseitigt sind die Hindernisse für Weinbauern, die auf italienischer und slowenischer Seite Weingärten haben. Endgültig fallen werden alle Beschränkungen erst mit dem Beitritt Sloweniens zum Vertrag von Schengen. Dazu sagt der Bürgermeister von Steverin Adriano Corsi:

„Wenn die Grenze völlig fallen wird, wird das noch viel leichter werden, denn dann werden wir nicht mehr an die Arbeitszeit der Grenzübergänge und des kleinen Grenzverkehrs gebunden sein, sondern dann jeder frei auf die eine oder andere Seite der Grenze wechseln. Allein in dieser Grenzregion sind slowenische Staatsbürger Eigentümer von 440 Hektar Land auf italienischem Staatsgebiet.“

Zu den hervorragenden Weinbauern der Region von Görz zählt auch Josko Sirk. Seine Eltern flohen 1948 nach Italien, wobei die bäuerliche Familie der Mutter durch kommunistische Enteignungen in Jugoslawien sehr viel verloren hat. Doch die Familie Sirk hat sich hochgearbeitet und heute führt Josko Sirk in Cormons das Restaurant La Subida. Es ist für seine ausgezeichnet Küche, seine Weine und die heimelige, rustikale Atmosphäre weit bekannt. Vom Beitritt Sloweniens erwartet sich Sirk zusätzlich Gäste, doch er weiß auch, dass Slowenien und Italien und die Region noch einen langen Weg vor sich haben. Josko Sirk:

„Es ist eine fantastische, epochale Sache, dass sich Europa vereinigt, wobei ich hoffe, dass das was am ersten Mai geschieht, in der Frist von ein bis zwei Generationen in unserer Region wieder jene Atmosphäre schafft, die jener ähnlich ist, wie sie herrschte als wir 300 Jahre unter Österreich gelebt haben.“

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