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Die Ausgestrichenen in Slowenien

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Berichte Slowenien
Stellen Sie sich vor, Sie leben 30 Jahre lang in einem Staat und eines Tages erfahren Sie, dass Sie Ihre Aufenthaltsgenehmigung und damit auch Ihre Sozialversicherung, Ihr Recht zu arbeiten und Ihre Pensionsversicherung verloren haben. In dieser Lage fanden sich in den 90iger Jahren 18.000 Bewohner Sloweniens wieder. Diese 18.000 gehörten zur Gruppe von insgesamt 200.000 Personen, die aus anderen jugoslawischen Teilrepubliken stammten und zum Zeitpunkt der Unabhängigkeitswerdung im Jahre 1991 in Slowenien lebten. Diese Gruppe machte etwa 10 Prozent der Wohnbevölkerung aus, und Slowenien versprach diesen Personen die Staatsbürgerschaft, um die aber binnen etwa eines halben Jahres angesucht werden musste. 18.000 versäumten aus diversen Gründen die Frist. Mit Stichtag 26. Februar 1992 wurde ihnen ohne Rechtsgrundlage und ohne Information die Aufenthaltsgenehmigung entzogen mit den eingangs erwähnten Rechtsfolgen. Nach jahrelangem Kampf und zwei Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes in Laibach haben 14.000 dieser sogenannten Ausgestrichenen ihren Status regeln können. Doch weiterhin kämpfen sie um eine rückwirkende Gewährung der Aufenthaltsgenehmigung sowie um eine Entschädigung. Unser Korrespondent Christian Wehrschütz hat einige der sogenannten Ausgestrichenen in Slowenien besucht und folgenden Bericht über ihr Leben und ihren Kampf gestaltet:

Die 50-jährige Fasila Beganovic ist eine der sogenannten Ausgestrichenen, die bis heute als „U-Boot“ in Slowenien lebt. Beganovic übersiedelte vor 30 Jahren, als das alte Jugoslawien noch bestand, von Bosnien nach Slowenien. In der zweiten Hälfte des Jahres 1991 suchte sie nicht um die slowenische Staatsbürgerschaft an und verlor Ende Februar 1992 ihre ständige Aufenthaltsgenehmigung. Warum sie diese Frist wissentlich versäumte, erklärt die Frau so:

1) 12’02 – 12’23:

„Ich wusste das, doch ich hatte keine Papiere. Sie verlangten von mir Papiere, doch damals war Krieg. Noch heute kann ich noch nicht nach Bosnien, um meine Papiere zu bekommen. Beschafft hat sie mir mein Schwager erst vor sieben Tage. Außerdem hatte ich kein Geld, wie sollte ich dorthin kommen.“

Fasila Beganovic lebt in einer Barackensiedlung am Stadtrand von Laibach. Sie ist eine Roma aus Bosnien, hat nie Lesen und Schreiben und bis heute auch nicht slowenisch gelernt. In Laibach arbeitete sie als Putzfrau, ehe sie mit der Aufenthaltsgenehmigung auch ihren Arbeitsplatz verlor. Fasila Beganovic entspricht damit dem Klischee, das so manche Slowenen haben. Sie sehen in den Ausgestrichenen Angehörige einer Randgruppe, die vielleicht sogar im Sieben-Tage-Krieg auf Seiten der jugoslawischen Armee gekämpft haben und nun vom Erfolg Sloweniens profitieren wollen. Doch dieses Bild ist mehr als einseitig wie der Fall von Mirjana Ucakar zeigt, die in Ptuj, dem alten Petau, lebt:

2) 28’08 – 28’56:

„Geboren bin ich in Ptuj, die Mutter ist Slowenin, der Vater Serbe. Mein Vater lebte in Vinkovci in Kroatien bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges und 1946 übersiedelte er nach Ptuj. Ich selbst bin 1953 geboren und nun 50 Jahre alt. In Ptuj habe ich Grundschule und Gymnasium besucht und anschließend in Laibach studiert.“

Warum sie die Frist versäumt hat, erklärt Mirjana Ucakar so:

3) 29’33 – 30’02:

„Um die slowenische Staatsbürgerschaft habe ich nicht angesucht, weil mir das als sinnlos erschien, denn ich habe mich immer und überall als Slowenin deklariert. Als meine Mutter noch lebte, war ich als Kind vielleicht drei Mal in Vinkovci. Später war ich nicht mehr dort, ich habe keine Wurzeln dort und habe mich nie anders gefühlt als eine Slowenin.“

Von ihrem Status als U-Boot erfuhr Mirjana Ucakar so:

4)30’36 – 31’28:

„1992 habe ich einen Sohn geboren und ich ging mit meinem Mann zum Standesamt, um das Kind eintragen zu lassen. Dort sagte mir die Standesbeamtin Anfang Juli, dass den Bürgern eine Bestätigung über die Staatsbürgerschaft zugeschickt wird. Ich werde aber keine bekommen, weil ich Kroatien sei. Das war der erste Schock.“

Dieses Schicksal blieb ihren Kindern aber erspart:

5)31’36 – 32’01:

„Mein Kind war sofort Slowene, doch auch meine Tochter, die noch im alten Jugoslawien geboren wurde, ist auch ohne Probleme Slowenin, auch mein Mann ist Slowene, nur ich bin Kroate, das heißt aus einem serbischen Vater und einer slowenischen Mutter wurde eine Kroatin geboren – ihrer Logik nach. Denn mein Vater war in Vinkovci registriert und so haben sie das auch mit mir gemacht.“

Mirjana Ucakar beantragte noch 1992 die slowenische Staatsbürgerschaft, doch es taten sich neue bürokratische Hindernisse auf:

6)34’26 – 34’57:

„Als ich um die Staatsbürgerschaft ansuchte, rechneten sie aus, dass der Lohn meines Mannes zu gering sei, um einen Vier-Personen-Haushalt erhalten zu können. Immer bekam ich diese Antwort. Dann brachte ich eine Bestätigung, dass meine Tante bereit sei, unserer Familie finanziell zu helfen, damit wir genug Geld haben, damit ich um die Staatsbürgerschaft ansuchen konnte, doch ich bekam keine positive Antwort.“

Acht Jahre lebte die Frau ohne Papiere in Ptju. Krankenversichert blieb sie nur durch Zufall. Ihr Mann, der in einer Schuhfabrik arbeitete, meldete sie bei sich an, und der Beamte verlangte keine Bestätigung der Staatsbürgerschaft. Die Aufenthaltsgenehmigung bekam Mirjana Ucakar im Jahre 2000, die slowenische Staatsbürgerschaft im Herbst 2003.

Die 18.000 Ausgestrichenen sind eine sehr vielfältige Gruppe mit Wurzeln, die in das gesamte ehemalige Jugoslawien zurückreichen. Ein Kosovo-Albaner, der seit 1983 in Slowenien lebt, zählt ebenso dazu wie ein Kroate, der 1963 mit 15 Jahren nach Marburg kam oder der Schlosser Jan Bolfek, der 1944 in Slowenien geboren wurde. Zu seinem Leidensweg sagt Bolfek:

23’38 – 24’23:

„Man hat mir alle Papiere abgenommen, ich hatte keine Dokumente, um ins Ausland zu reisen, ich konnte nicht ein Mal nach Kroatien fahren, um am Begräbnis meiner Tante teilzunehmen. Als ich Papiere verlangte, hätte man mir Papiere gegeben, damit ich aus Slowenien hinsaugeworfen werde und nicht mehr zurückkehre. Doch das wollte ich nicht. So habe ich hier ganze sechs Jahre ohne Papiere gelebt, ohne Sozialversicherung, habe nichts verdient und hatte keine Krankenversicherung.“

Bolfek und alle anderen hielten sich durch Schwarzarbeit, mit Hilfe der Familie und von Freunden über Wasser. Zu dieser Gruppe zählt auch der Archäologe Aleksander Todorovic. Der gebürtige Serbe kam vor 20 Jahren zu Ausgrabungen nach Ptuj, lernte seine Frau kennen und blieb. Todorovic bekam seine Aufenthaltsgenehmigung schon 1996 zurück. Vor zwei Jahren gründete er die Vereinigung der Ausgestrichenen, die etwa 700 Mitglieder zählt. Todorovic will erreichen, dass alle Ausgestrichenen rückwirkend ab dem Jahre 1992 die Aufenthaltsgenehmigung zurückbekommen und dass Slowenien eine Entschädigung bezahlt. Zur Vorgangsweise der slowenischen Bürokratie sagt Todorovic:

33’00 – 33’31

„Allen Personen, die vergessen haben, nicht wollten oder nicht informiert waren, hätte der Staat den Status eines Ausländers gewähren müssen Wenn wir schon derart unsinnige Gesetze haben, hätten sie uns in dem Moment, in dem sie die slowenischen Dokumente ungültig machten, Dokumente für Ausländer geben müssen, damit wir unser Leben kontinuierlich in unseren Häusern und Familien fortsetzen können.“

Doch diesen Status erhielten die 18.000 Personen nicht und weder Bürokratie noch Politik waren besonders bemüht, eine Lösung zu finden. Begünstigt wurde diesen Verhalten durch das geistige Klima, das in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit in Slowenien herrschte, obwohl einige wenige Journalisten sich des Themas bereits 1994 annahmen. Dazu sagt die Soziologin Jelka Zorn, die Mitautorin eines Buches über die Ausgestrichenen ist:

11’14 – 12’52:

„Das gesamte Klima war nach der Unabhängigkeit Sloweniens sehr negativ gegenüber all den Personen, die nicht slowenischer Abstammung waren. In den Straßen wurden sogar Unterschriften für ein Referendum gesammelt, um erteilte Staatsbürgerschaften wieder zurückzunehmen. Das warf diese Personen sehr zurück, die nicht slowenischer Abstammung waren, ließ sie verstummen, so dass sie nicht um ihre Rechte kämpfen konnten. Ich denke, dass gerade diese Tatsache, dass die Ausgestrichenen nicht um ihre Rechte kämpfen und zehn Jahre nicht ihre Stimme öffentlich erheben konnten, im wesentlichen für sie die schlimmste Verletzung ihrer Menschenrechte war.“

Erst im Jahre 1999 änderte sich die Lage durch ein Erkenntnis des slowenischen Verfassungsgerichtshofes. Das Parlament beschloss daraufhin ein Gesetz, dessen Wirkung der Jurist Mateuz Krivic so beschreibt:

„Dieses Gesetz ermöglichte es den Leuten, noch ein Mal eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen. Etwa 7.000 machte das, und sie bekamen eine neue Aufenthaltsbewilligung, aber nur von 1999 ab und nicht rückwirkend.“

Krivic ist ehemaliger Richter des Verfassungsgerichtshofes und Rechtsbeistand der Ausgestrichenen. Er formulierte auch die zweite Klage, die dazu führte, dass der Verfassungsgerichtshof eine rückwirkende Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung anordnete. Das Parlament beschloss dann Ende November 2003 ein sogenanntes technisches Gesetz. Dazu sagt Krivic:

„Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes verlange, diese rückwirkenden Bescheide etwa 12.000 Personen zu geben. Aber dieses technische Gesetz hat diese Zahl auf nur etwa 4.000 gemindert.“

Doch dieses Gesetz ist noch nicht anwendbar, weil konservative und nationalistische Oppositionsparteien eine Volksabstimmung darüber erzwangen, die nun Anfang April stattfinden wird. Die Opposition ist gegen eine kollektive Erteilung rückwirkender Aufenthaltsgenehmigungen. Sie warnt davor, dass in diesem Fall auch Angehörige der ehemaligen jugoslawischen Streitkräfte einen Entschädigungsanspruch erhalten könnten. Dazu sagte Branko Grims, Abgeordneter der stärksten Oppositionspartei SDS:

21’09 – 21’44

„Das kann zur absurden Situation führen, dass de facto einer, der im Krieg für Slowenien verwundet wurde, seinem früheren Angreifer eine Entschädigung zahlen muss. Auch jene, die 1992 ihren Status regelten, müssen dann jenen eine Entschädigung zahlen, die das nicht tun wollten.“

Grims kritisiert auch, dass das Innenministerium unter Anwendung eines juristischen Kunstgriffs trotz der bevorstehenden Volksabstimmung bereits rückwirkende Bescheide ausstellt. Die Regierung versucht zu vermeiden, dass die Ausgestrichenen zum Thema der im Herbst stattfindenden Parlamentswahl werden. Außerdem erkennt die Regierung, dass dieses Thema das Image Sloweniens zunehmend belastet und das kommt angesichts des bevorstehenden EU-Beitritts ebenfalls ungelegen. Doch eine rasche Lösung des Problems ist nicht in Sicht, zumal auch die Entschädigung der Ausgestrichenen noch unklar ist. Dass es zu einer Entschädigung kommen muss, steht für den Juristen Mateuz Krivic außer Frage:

„Diese Streichung der 18.000 Männer und Frauen aus dem Register war ein reiner Willkürakt ohne gesetzliche Basis. Das hat schon das Verfassungsgericht im Jahre 1999 festgestellt und im Jahre 2003 noch ein Mal wiederholt, das ist total klar.“

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