20241220 MiJ Serbien Studenten streiken gegen Führung Wehrsch Mod
3’00
In Serbien streiken seit Anfang Dezember die Studenten. Der Lehrbetrieb ruht bereits an den Universitäten in Belgrad und Novi Sad; auch andere Städte könnten noch vom Streik erfasst werden. Anlass sind keine bildungspolitischen Forderungen, sondern ein tragisches Unglück am Bahnhof von Novi Sad, das Anfang November 15 Menschen das Leben kostete. Dieser Vorfall hat nun die massivsten Studentenproteste in Serbien seit 25 Jahren ausgelöst, berichtet aus Serbien unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:
Der Einsturz des Vordaches am Bahnhof von Novi Sad war heuer wohl der letzte Tropfen, der das Fass politischer Unzufriedenheit in Serbien zum Überlaufen brachte. Zwar mussten einige Politiker gehen, und einige wurden verhaftet, und Präsident Alexander Vucic sagte zu, alle Bauakten zu veröffentlichen, doch der Unmut der Studenten legte sich nicht; warum, erläutert in Belgrad Natalija, eine Studentin an der elektrotechnischen Fakultät:
2'15
"Mein Informationsstand besagt, dass nicht einmal zehn Prozent der Akten veröffentlicht sind; insbesondere fehlen die entscheidenden Dokumente, die ans Licht bringen könnten, wer für diese Arbeiten und für diese Kettenreaktion verantwortlich war, die zu diesen Versäumnissen führte, die die Menschen das Leben gekostet hat. Somit ist die Forderung nach der Veröffentlichung aller Dokumente noch nicht erfüllt."
Und ihr Kommilitone Aleksa von der elektrotechnischen Fakultät ergänzt:
0'26
"Zur Rechenschaft gezogen werden müssen jene Personen, die Studenten geschlagen haben bei den Protesten in Belgrad und Novi Sad. Am wenigsten wichtig ist derzeit die Forderung nach der Erhöhung der Finanzierung der staatlichen Universitäten um 20 Prozent."
Auch diese Aussage zeigt, dass die UNI-Blockaden vor allem Ausdruck einer weitverbreiteten Unzufriedenheit mit der politischen Lage insgesamt sind. In Serbien dominiert Alexander Vucic seit mehr als zehn Jahren das politische Leben. Er polarisiert die Bevölkerung, hat zwar eine relative Mehrheit hinter sich, doch der Unmut unter vielen Serben ist enorm. Hinzu kommt, dass Vucic durch seine totale Medienpräsenz auch das zentrale Ziel aller Gegner ist. Dazu zählt der oppositionelle Abgeordnete und Universitätsprofessor Djordje Pavicevic; er sieht die politische Lage so:
4'29'5
"Erstens ist Vucic als Präsident von der Verfassung her nicht der Adressat der Forderungen. Denn Vucic ist dafür gar nicht zuständig ist. Darin liegt eines der Probleme im Staate, auf das die Studenten reagieren. Zweitens sehen die Studenten in Vucics Zugeständnissen eher ein Manöver, um den Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese Vorgangsweise wurde häufig gewählt; man kündigt etwas an, setzt die ersten Schritte, doch darauf folgt dann nichts weiter; doch damit hatte Vucic jetzt bei den Studenten keinen Erfolg "
Klar ist, dass keine zwei Monate nach der Tragödie noch keine Prozesse beginnen konnten; dafür ist die Zeit zu kurz und der Fall zu komplex. Doch die juristische Aufarbeitung wird der Lackmus-Test dafür sein, wie frei die Justiz in Serbien tatsächlich arbeiten kann.