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20231216 Kleine Zeitung Wahlen als Herrschaftsprinzip in Serbien Wehrschütz

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Berichte Serbien

Bewertung hat viel für sich, sind doch die Wahlen am kommenden Sonntag die dritten Parlamentswahlen binnen vier Jahren. Seit insgesamt zehn Jahren ist der großgewachsene Vucic im wahrsten Sinne des Wortes die dominante politische Figur Serbiens. Diese Tatsache zeigte sich auch in der nur wenige Wochen dauernden Kampagne für diese vorgezogene Parlamentswahl. „Sind Sie für ihn, oder gegen ihn?“ – lautete die zentrale Frage in einer Wahlbewegung, die inhaltlich kaum etwas zu bieten hatte. Denn nicht zur Sprache kamen: Demokratie, Rechtsstaat, die schwierige geopolitische Lage Serbiens, die der russische Krieg in der Ukraine hervorgerufen hat, seine Position im Spannungsfeld zwischen Russland und China auf der einen sowie den USA und der EU auf der anderen Seite, Medienfreiheit oder die Korruption.
Die zentrale Botschaft des serbischen Präsidenten Alexander Vucic, der selbst nicht nur Wahl steht und auch formell nicht mehr Vorsitzender der dominanten Regierungspartei SNS ist, lautete: „Serbien darf nicht stehenbleiben“. Ganz in diesem Sinne präsentierte sich Vucic als Modernisierer seines Landes, von der Auto- und Eisenbahn über das Fußballstadion bis hin zum Technologiepark und zur Reindustrialisierung; sie wird zwar mit großen Subventionen für Investoren erkauft, doch Erfolge in all diesen Bereichen sind dem Präsidenten und seiner Regierung nicht abzusprechen. Um diesen Weg fortsetzen zu können, brauche Serbien „Stabilität und Kontinuität als Vorbedingung für Fortschritt“, sagte der Präsident in einem Interview mit der Belgrader Tageszeitung „Politika“ drei Tage vor der Wahl.
Auf der anderen Seite stehen aber auch viele negative Begleiterscheinungen der bisher fast konkurrenzlosen Herrschaft von Alexander Vucic; dazu zählen eine weiterhin massive Auswanderung sowie eine innenpolitische Lage, die Dragan Djilac, der wohl bekannteste Oppositionspolitiker, im Interview mit dem Autor dieser Zeilen so beschreibt: "Alexander Vucic liebt Wahlen vor allem deshalb, weil das keine Wahlen sind. Er kontrolliert 80 Prozent aller Medien völlig, übt einen enormen Druck auf Wähler aus, dass sie für die Machthaber stimmen, wenn sie ihre Arbeitsplätze behalten oder einen Posten bekommen wollen. Somit ist das eine Lage, bei der es unmöglich ist, Wahlen zu verlieren. Staatspräsident Vucic trat dieses Jahr binnen 270 Tagen 200 Mal in Sondersendungen in TV-Stationen mit nationaler Frequenz auftrat. Wir waren nicht in einer einzigen Sondersendung präsent; somit ist mir klar, von welchen Wahlen wir sprechen."
Hinzu kommt die hausgemachte politische und ideologische Zersplitterung der Opposition, die keine Wendestimmung zu erzeugen mochte, jedenfalls nicht landesweit. Anders könnte die Lage in Belgrad sein, wo am Sonntag ebenso gewählt wird wie in weiteren 64 Gemeinden und in der Provinz Vojvodina. In Belgrad soll die Korruption besonders blühen, wobei Korruption auch der zentrale Punkt der Unzufriedenheit ist, den österreichische Firmen bei einer Umfrage der WKO in Serbien angegeben haben. Insbesondere Belgrad könnte Vucic verlieren, doch die große Unbekannte sind die Wahlbeteiligung und die Parteien, die an der Schwelle der Drei-Prozent-Hürde liegen, die es für einen Einzug ins (Stadt-)Parlament zu überspringen gilt. Kein Thema im Wahlkampf war die EU-Integration; nach Umfragen glauben fast 50 Prozent der befragten Serben, dass sie ohnehin nie stattfinden wird, und die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch Serben als eine der Bedingungen der EU ist ebenfalls nicht in Sicht.

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